Herzschlag im Golde

Roman | Erik Fosnes Hansen: Zum rosa Hahn30

»Auf der Landstraße zwischen Cottbus und Berlin bewegten sich zwei Goldmacher.« So beginnt der 57-jährige norwegische Erfolgsautor Erik Fosnes Hansen seinen neuen Roman. Eine Landstraße zwischen Cottbus und Berlin ist ebenso real wie der Handlungsort Jüterbog. Die geografische Verortung des abenteuerlich anmutenden Geschehens geht zurück auf Fosnes Hansens Aufenthalt als Stipendiat auf dem nahe gelegenen Schloss Wiepersdorf. Von PETER MOHR

»Meine Frau hat zu mir gesagt: Ich beobachte Dich seit 15 Jahren beim Schreiben. Und das ist das erste Mal, dass ich gesehen habe, dass Du da sitzt und dabei lachst«, berichtet Fosnes Hansen über seine Zeit auf der Insel Fårö, wo er einen Großteil des nun vorliegenden Romans verfasst hat.

Nach dem in mehr als dreißig Sprachen übersetzten Roman Choral am Ende der Reise (1990), der Geschichte über die Bordkapelle auf der Titanic, und dem Löwenmädchen (2008), das aufgrund eines Gendefekts am ganzen Körper mit Haaren bedeckt ist, hat nun auch Zum rosa Hahn wieder Bestseller-Format.

Im Mittelpunkt der surrealistischen Handlung, die auf einen Traum des Autors zurück gehen soll, stehen zunächst die beiden Goldmacher, die sich in ferner Vergangenheit vor den Toren von Jüterbog begegnen. Nach einigen Problemen mit ihren Papieren, die Wachmänner beanstandeten ein beschädigtes Siegel (»Papiere müssen schön und in Ordnung sein.«), landen die beiden im Hotel »Zum rosa Hahn«, wo sie kritisch beäugt werden.

Mehr und mehr nimmt das surreale Treiben an Tempo auf: »Die Katze musterte die beiden Fremden noch einmal, dann wandte sie ihrem Freund das Gesicht zu und sagte: ›Nein, die sind mir nicht ganz geheuer. Ganz sicher bringen sie Unglück in unsere friedliche Stadt.‹ Der Freund, ein Hund, entgegnet: »Die sehen doch richtig nett aus.«

Nichts in diesem Roman ist normal und mit rationalen Kriterien zu taxieren. Wir befinden uns in einem freien Flug, in einer Art dichterischen Looping. Wer sich darauf einzulassen versteht, wird mit einem literarischen Feuerwerk aus Märchen, Fabel und historischem Thriller belohnt. Fosnes Hansen erzählt so kess und unterhaltsam, als sei es eine wahrhaftige Geschichte.

Das Leben in Jüterbog ist alles andere als ein Zuckerschlecken. Markgräfin Clotilde, die launische Regentin, versucht ihre Untertanen mit Massagen und Kiefernduft bei Laune zu halten, greift aber, wenn ihr der Sinn danach steht, auch zu brutalen Foltermethoden, denen einige Minister zum Opfer gefallen sind. Von ihrem Onkel hat die Markgräfin gelernt: »Aber das Schwerste ist, sich nicht zu langweilen, während man sich langweilt.«

Bei der Lektüre kommt jedenfalls keine Langeweile auf. Immer wieder begegnen wir neuen, den klassischen Märchen entlehnte »Ungeheuerlichkeiten« an wechselnden Schauplätzen. Sequenzen mit einer Katze, die »die Einkaufsliste von Frau Mutterbergs Pudel dabei hat« und damit beim Fischhändler Markus vorstellig wird, ein Brotteig schreit ängstlich, weil er einen Sturz aus dem Fenster fürchtet und eine sprechende Warze mahnt den Wachmann, als das Telefon schellt: »Du solltest lieber rangehen.«

Hinter all dem fantastisch-märchenhaften und auf den ersten flüchtigen Blick zusammenhanglos wirkenden Treiben verbergen sich Verschwörungen, Umsturzpläne und grausame Morde. Es geht um Machtverhältnisse und Willkür, um Gehorsam und Aufmüpfigkeit im Spannungsfeld zwischen arm und reich.

»Das Bewusstsein ist ein Wunderkasten«, hat Erik Fosnes Hansen kürzlich in einem Deutschlandfunk-Interview erklärt. Und auf den kurzweiligen, fast 500 Seiten begegnet der Leser tatsächlich allerlei wundersamen Dingen. »Eines morgens kurz vor Weihnachten hörte der Hund in dem Gold einen Herzschlag.  … und schmiegte sich wieder an Clotildes Brust«, heißt es versöhnlich auf der letzten Seite. Erik Fosnes Hansen, der literarische Dirigent mit dem Zauberstab, hat uns mit seinen Träumereien und mit der Launigkeit seiner Figuren gefangen genommen. Ein erzählerischer Parforceritt zwischen fantastischem Märchen und blutiger Dystopie.

| PETER MOHR

Titelangaben
Erik Fosnes Hansen: Zum rosa Hahn
Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger
Köln: Kiepenheuer und Witsch 2022
493 Seiten. 24 Euro
| Erwerben Sie diesen Band portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Eine Reise ins Innere des Körpers

Nächster Artikel

(K)ein Problemesel

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Leichen tropfen von den Bäumen

Roman | Stefanie vor Schulte: Junge mit schwarzem Hahn

Es gibt sie doch noch, die so rar gewordenen Momente, wenn man aus dem immer unüberschaubarer werdenden Berg an Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt auf ein echtes Juwel stößt, wenn man die berühmt-berüchtigte Stecknadel im Heuhaufen ausfindig gemacht hat. Die 47-jährige, mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in Marburg lebende Stefanie vor Schulte hat uns mit ihrem Romanerstling Junge mit schwarzem Hahn einen solchen Glücksmoment beschert. Von PETER MOHR

Große Erwartungen

Jugendbuch | Antonia Michaelis: Nashville oder das Wolfsspiel Eine neue Stadt erobern, den nächsten Schritt in einem spannenden Studienfach zu machen, Menschen kennenlernen und die Liebe, vielleicht sogar die große, kann es für junge Menschen mit achtzehn, neunzehn Jahren etwas Aufregenderes geben? Mit großen Erwartungen marschieren sie in das Leben. Aber der Weg ist voller Stolpersteine und Fallen und sie zeigen sich früher, als man es gedacht hat. Antonia Michaelis schickt in Nashville oder das Wolfspiel ihre junge Heldin auf einen Weg, der mehr Schrecken birgt, als diese je erwartet hätte. Von MAGALI HEISSLER

Und die Großen lässt man laufen

Krimi | Denise Mina: Blut Salz Wasser Alex Morrow arbeitet als Detective Inspector bei der schottischen Polizei in Glasgow. In ihrem fünften Fall, dem einer vermissten Frau, führt sie eine Spur in die Kleinstadt Helensburgh. Dass die im nahen Loch Lomond treibende Frauenleiche nicht die gesuchte Roxanna Fuentecilla ist, aber mit dem Fall von Drogengeld, das Fuentecilla nach Schottland geschafft hat, damit es über Immobiliengeschäfte gewaschen werden kann, zu tun hat, wird nach und nach klar. Von DIETMAR JACOBSEN

Comic-Helden on tour

Roman | Stefan Heuer: Katzen im Sack Katzen im Sack – so lautet der bedeutungsschwangere Titel des Romans von Stefan Heuer. Alles klar. Alles geritzt. Alles voll auf Spur. Denkt man sich und wird bereits auf den ersten Seiten bestätigt. Denn temporeich und mit einer Prise Humor entführt uns der Autor in die ferne, fast exotische Welt der Schausteller und Kirmesbudenbesitzer, der wir längst entwachsen zu sein schienen. Und werden dennoch eingeholt von unseren Kindheitserinnerungen und unserer Fantasie von heimlicher Flucht und Aussteigertum der Jugend. Ein Flashback in die wilden 80er – gelesen von HUBERT HOLZMANN.

In der Welt der Kryptowährungen

Roman | Tom Hillenbrand: Montecrypto

Ed Dante, Ex-Buchhalter und aktuell als Privatdetektiv unterwegs, betreibt eine Ein-Mann-Firma namens »Financial Forensics«. Was nach großem Geld klingt, hält den Mann in LA aber kaum über Wasser. Als er deshalb den Auftrag bekommt, nach dem verborgenen Schatz des über dem Golf von Mexiko mit seinem Privatflugzeug abgestürzten Internetunternehmers Gregory Hollister zu suchen, begibt er sich auf die Fährte von dessen Bitcoin-Milliarden. Worauf er sich bei der Suche nach »Montecrypto«, wie die Medien den digitalen Schatz bald liebevoll nennen, einlässt, ahnt er freilich nicht. Von DIETMAR JACOBSEN