Der Schriftsteller Christian Kracht lässt es wieder krachen und inszeniert – zweieinhalb Jahrzehnte und fünf Romane nach seinem Debüt Faserland – einen grotesken Roadtrip mit einer medikamentensüchtigen, alkoholkranken und dementen Mutter durch eine trostlose Schweiz der Gegenwart. Eurotrash nennt sich sein neuestes Werk, das in diesem Frühjahr für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert wurde. Von INGEBORG JAISER
Also, Barbour-Jacken tragen heutzutage höchstens noch Förster – und Bodysuits erwiesen sich schon bald als unpraktisch, doch 1995 war das modisch gesehen ziemlich state-of-the-art. Damals, als Christian Kracht seinen Antihelden in Faserland einmal quer durch die Republik taumeln ließ, dauerbetrunken und wahnsinnig wohlstandsgelangweilt, doch getrieben vom absoluten Willen der ästhetischen Selbstinszenierung. Nur in seltenen Momenten dräute unter der glatt polierten Oberfläche »so eine halbwache Vorahnung von, naja, etwas Kommendem, etwas Dunklem«.
Die schnöseligen Jahre sind vorbei
25 Jahre später setzt Eurotrash die Reise an der Stelle fort, an der sich Faserland einst auflöste: in Zürich. Der narzisstische Hedonist, dessen Jugend als »autistischer Snob« von einem lässigen Ennui durchdrungen war, ist zu einem heimatlos Umherziehenden geworden, zutiefst ernüchtert und desillusioniert. »Meine Güte, dieses Leben, was für ein perfides, elendes, kümmerliches Dramolett es doch war.«
Und um es vorweg zu nehmen: ein verwirrendes Vexierspiel treibt immer wieder einen Keil zwischen den Autor Christian Kracht und den gleichnamigen Protagonisten, jongliert bewusst mit Identitäten, Übereinstimmungen und Halbwahrheiten. Doch der Leser tut gut daran, die mögliche Irreführung auszublenden und diesen schillernden Roman einfach als das zu lesen, was in ihm steckt. Ein Werk, das Schrecken und Erkenntnis, Grauen und Faszination und eine gute Prise Amüsement in sich vereint.
Zurück zur Story. Der Ich-Erzähler Christian Kracht wird von seiner Mutter nach Zürich gerufen, dieser »Stadt der Angeber und der Aufschneider und der Erniedrigung«. Die 80-Jährige ist längst ein physisches und psychisches Wrack, mit einem von »Wodka und Phenobarbital und Enttäuschung und Schmerzen aufgedunsenen Gesicht«, umgeben von Tiffany-Leuchten, Hunderten von Ferragamo-Schuhen und in Plastikhüllen eingeschweißten Kaschmirpullovern. Ihren letzten Geburtstag hat sie noch in der Psychiatrie in Winterthur zugebracht, doch in klaren, luziden Momenten zitiert sie mühelos Malherbe und Borges. Weisheit und Wahnsinn liegen hier nah beisammen.
Tour de Force
Um der Zürcher Tristesse zu entgehen und das allzu konfliktbeladene Mutter-Sohn-Verhältnis etwas zu entzerren, startet das Duo zu einer glamourösen Schweiz-Rundfahrt per Taxi, ausgestattet mit einer drallen Plastiktüte voll hochwertiger Geldscheine, reichlich Psychopharmaka und einer elitären Attitüde, die nicht selten an Verzweiflung grenzt. Die Mutter schwankt zwischen mitleidheischender Weinerlichkeit und raffinierten Manipulationsversuchen; dem Sohn steht schlicht die Panik ins Gesicht geschrieben, als er erstmals den Stomabeutel der Schwerkranken zu wechseln hat – eine unappetitliche Verrichtung, die sonst von einer der bukowinischen Haushälterinnen hinter verschlossenen Türen erledigt wird.
So gerät die geplante Vergnügungsreise zur irrwitzigen Tour de Force, gar zur doppelbödigen Verwechslungskomödie, während der man eine Landkommune als Nobelhotel inszeniert und ein verpeilter Kommunarde den berühmten Sohn zu erkennen glaubt: sei er nicht der Autor von Die Vermessung der Welt? Doch hinter jeder Posse lauert schon der nächste Schreck.
Blick zurück im Zorn
Eurotrash entpuppt sich als erbarmungslose Familienaufstellung, als Abrechnung mit einer haarsträubenden Verlogenheit. Ein Blick zurück im Zorn und – ungemein bitter – auch eine nachgetragene, kaum erwiderte Liebe. Schwer zu sagen, was dem Sohn mehr aufs Gemüt schlägt: die hochstaplerischen Parvenü-Allüren des längst verstorbenen Vaters oder die Nazi-Vergangenheit und das schmierige Geld aus Waffenaktien der Familie mütterlicherseits?
Scharfsinnig, schonungslos und mit maliziösem Witz entlarvt Christian Kracht zweifelhafte symbiotische Verbindungen und menschliche Abgründe. Ohne eine Erlösung in Aussicht zu stellen. Der Roman endet mit vierzehn leeren, blanken, unbedruckten Seiten. Das Eingeständnis eines offenen Schlusses? Keine Sorge, die 25 Jahre bis zur möglichen Fortsetzung harren wir auch noch locker aus.
Titelangaben
Christian Kracht: Eurotrash
Köln: Kiepenheuer & Witsch 2021
224 Seiten. 22.- Euro
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