Roman | Maxim Biller: Biografie
Maxim Billers opulentes Epos Biografie in einer Rezension von PETER MOHR
»Ich habe, wenn ich anfange zu schreiben, nie eine Ahnung, wie lang ein Buch wird«, hatte Maxim Biller kürzlich in einem ZEIT-Interview erklärt und noch erläuternd nachgeschoben, dass er sein Manuskript schon um 200 Seiten gekürzt habe. Dafür gebührt ihm unser uneingeschränkter Dank, denn die nun vorliegenden, immer noch fast 900 Seiten erfordern vom Leser schon ein Höchstmaß an Toleranz und eine an Extremsportler erinnernde Ausdauer mit selbstquälerischen Zügen – mit der Gabe, an die eigenen physischen wie psychischen Grenzen zu gehen.
Manchmal fragt man sich geradezu händeringend, inwieweit sich der inzwischen auch schon 55-jährige Maxim Biller seit seiner »jugendlichen« Kolumnistenzeit beim einstigen Zeitgeist-Magazin »Tempo« überhaupt weiter entwickelt hat. »100 Zeilen Hass« lautete damals der reißerische, aber durchaus programmatische Titel. Lässt sich aus der Plünderung der eigenen (jüdischen) Biografie, aus Provokation, Kalauern und faden Geschmacklosigkeiten ein Roman komponieren?
Wohl kaum, und erst recht nicht, wenn man sich vom Habitus des neunmalklugen Autors, der die eigene Inszenierung zum literarischen Gesamtkunstwerk hier auf eine peinliche Spitze treibt, geradezu überrollt fühlt. Ja, das ist jener Maxim Biller, der 2003 mit seinem Roman Esra ein juristisches Tauziehen entfacht hat und der einiger Zeit ehrgeizig bemüht ist, in den zu großen Fußstapfen von Marcel Reich-Ranicki im »Literarischen Quartett« des ZDF munter drauf los zu polemisieren.
Nun hat er einen Roman – oder besser: ein erzählerisches Konvolut – vorgelegt, in dem zwei jüdische Freunde im Mittelpunkt stehen. Solomon Karubiner ist ein mittelmäßig erfolgreicher Schriftsteller. Gemeinsame biografische Wurzeln verbinden ihn mit Noah Forlani, ein steinreicher Lebenskünstler, dem eigentlich alles daneben geht. Beider Familien stammen aus Buczacz (in der heutigen Ukraine), und ihre Väter haben beide ihre Familien verraten – der eine an die Nazis, der andere an den kommunistischen Geheimdienst. Die Schuld wurde stets geleugnet. Daraus resultiert eine beinahe neurotische Erbschuld in den Familien. Solomon und Noah kennen einander aus gemeinsamen Gymnasialzeiten.
Dies ist der zentrale Baustein der monströsen Erzählung, der einzig verbindende rote Faden, der sich durch dieses opulente und so disparate Werk zieht. Die Männerfreundschaft zwischen Solomon und Noah, die irgendwann in der Frage »Ein Leben ohne Noah – wie sollte das gehen?« zugespitzt wird. Noah inszeniert seine eigene Entführung und Ermordung durch Islamisten und will ein neues Leben in Israel beginnen.
Das wirkt alles so aufgesetzt und so künstlich auf Effekt getrimmt, wie auch all die neurotischen Nebenfiguren. Ob es Solomons übergewichtige und ausladend hässlich beschriebene Schwester Serafina oder ein lüsterner Hamburger Rabbi ist, der israelische Elitesoldat Tal oder der halbseidene deutsche Schriftsteller Clausi-Mausi, der nicht nur an der eigenen Zeugungsunfähigkeit leidet – man fühlt sich wie in ein Kuriositätenkabinett versetzt. Die Orte wechseln, aber stets das gleiche Leid – Hamburg und Tel Aviv, Berlin und Buczacz in der Ukraine, Prag, New York, Los Angeles.
Alle Figuren eint, dass deren Familien vom Holocaust und / oder vom Stalinismus betroffen waren. Von »Halbüberlebenden« ist die Rede, die sich mit handfesten Sexual-Neurosen herumplagen. Sex spielt auf diversen Ebenen eine ganz zentrale Rolle. Die Freunde Noah und Solomon tauschen sich über »Portnoys Beschwerden« von Philip Roth aus und glauben ihre Ur-Ängste durch ein ausschweifendes Sexualleben kompensieren zu müssen. Solomon wird von Clausi-Mausi in einer Sauna als Spanner entlarvt und erpresst. Soli will ihn daraufhin beseitigen. Aber keine Angst, in die Sphären des Krimis entführt uns Maxim Biller nicht auch noch.
Es bleibt bei der Drohgebärde, aber mit großen Posen kennt sich dieser Autor bekanntlich gut aus. Nur – sie gelingen nicht immer: »Eine ungewöhnlich kräftige Erektion hatte ich außerdem. Nein, das war kein noahhafter Halber, das war der Opera-Tower in der Hayarkon! Ich dachte an den großen, weißen, keltischen Arsch aus der Elstar-Sauna.«
Zwischen Tragik und Komik, zwischen Ernst, political correctness und Geschmacklosigkeiten (inszenierte Gewaltvideos) changiert Biller hin und her, und immer befindet er sich irgendwie auf der Jagd nach billigen Pointen. Um es einmal im wahrlich nicht originellen Biller-Jargon auszudrücken, das liest sich allenfalls pseudo-humorvoll. So wie die Episode, in der ein Mann sich mit Kondom selbstbefriedigte, weil er Angst hatte, seinen teuren Computer mit seinen ätzenden Spermien zu beschädigen.
Nach fast 900 Seiten extrem nervender Neurosenpflege, Spermaexzessen und billigsten Kalauern ist man geneigt, auf ähnlichem Niveau zurückzuschlagen und sich auf den schon legendären Bayern München-Trainer Giovanni Trapattoni zu berufen: »Was erlauben Herr Biller? Biller schreibt, wie Flasche leer. Ich habe fertig!«
Titelangaben
Maxim Biller: Biografie
Köln: Kiepenheuer und Witsch 2016
896 Seiten. 29,99 Euro
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