Händewaschen war und ist eine der wichtigsten Hygieneregeln in Coronazeiten. Um die um die Ausbreitung von krankmachenden Keimen zu stoppen, wurden in öffentlichen Toiletten Händewaschplakate aufgehängt, das Prozedere in mehreren Sprachen erklärt, das Robert Koch Institut empfiehlt, die Hände etwa 20 Sekunden lang zu waschen. Das beginnt damit, dass man sie nass macht. Und dann kommt die Seife zum Einsatz, direkt aus dem Seifenspender. ANDREA WANNER freut sich, dass dem jetzt ein ganzes Buch gewidmet ist.
Ehe wir in seinen Alltag eintauchen, der durchaus überraschende Momente bereithält, die man so jemandem zunächst gar nicht zugetraut hätte, entführt uns Pascale Osterwalder in die Vorgeschichte des traurigen Helden. Wer hätte geahnt, dass bereits 1876 in der Nähe von Brighton ein Spenderskelett gefunden wurde? Und wären wir so ohne Weiteres darauf gekommen, dass die prähistorischen Objekte stark behaart waren? Sicher nicht.
Nach dieser Exkursion in die Vergangenheit sind wir beim eigentlichen Thema angelangt, dem Alltag eines Gegenstandes, der uns allen nur zu vertraut ist: dem eines Seifenspenders.
Bereits nach wenigen Szenen hat das Ding, das uns ins flüssiger oder pastenartiger Form wasserlösliche Mittel zur Reinigung liefert, seine Daseinsform für uns geändert: Das Objekt erscheint uns zutiefst menschlich. Ist nicht ein Spender eben auch eine Person, die uneigennützig Geld, Organe oder andere Dinge gibt? So steht auch unser Spender da: bereit, dass wir seine Dienste nutzen und er uns spendet, was er zu geben hat. Bis dahin wartet er, denn »Von alleine mache ich nichts. Mir fehlt der eigene Antrieb.« Schlimmer noch: Es braucht Druck. Druck, den wir ausüben. Und damit auch die Verantwortung dafür tragen, dass sich der Spender manchmal leer fühlt.
Pacale Osterwälder ist tief eingedrungen in Leben und Gefühle eines Seifenspenders. Sie hat ihn beseelt und ernst genommen, sein Sinnieren über die Sinnhaftigkeit des Daseins protokolliert, seine Berichte über Artgenossen zu Papier gebracht, sich intensiv dem gewidmet, das wir sonst im Alltag übersehen. Sie hat die Sensibilität der treuen Diener wahrgenommen, die wir ihnen nie zugetraut oder zugestanden hätten.
Augenzwinkernd dokumentiert sie den Alltag, die Ängste, das Ende, das alle von ihnen erwartet. Wie in der gleichnamigen Gattung der täglich gesendeten Fernsehserien, die mit Trivialem unterhalten, ist auch die Existenz der seifenspendenden Elemente nicht von Heldentaten und Außergewöhnlichem geprägt. Osterwalder fängt die kleinen Momente in ihren Bleistiftzeichnungen ein, fügt ihnen Texte und Ich-Botschaften hinzu, die sie menschlich werden lassen. Sie bekommen Namen, stellen sich wie Wilma vor ein eigenes Kind zu haben (statt nur eines in ihr Bauchfach integrierten Schwamms) oder genießen wie der in eine Wandhalterung gesteckte Bernard die Aussicht von seinem Balkon. Wir erfahren von Ed und seinem Schicksal, dem Gefühl der Einsamkeit von Lester und der Trennung von Sidney und Pearl.
Die detaillierten Bleistiftzeichnungen halten fest, was sich in Bädern und Duschen, in Spülbecken und Supermarktregalen an alltäglichen, von uns bisher unbemerkten Dramen abspielt. Formen und Gestalten sind mit genauem Blick erfasst und mit liebevoller Wertschätzung Strich für Strich fixiert. Sich auf dieses Spiel einzulassen, führt zu einer neuen, ungewohnten Einstellung gegenüber den Dingen, zu einer besonderen Form der Achtsamkeit, die man lachend beiseiteschieben kann oder als einen besonderen Moment des Innehaltens staunend genießt. Die Erschöpfung der Heroen, die es bereits vor der Pandemie gab, ist aber in diesen Tagen doch noch einfacher und deutlicher zu spüren.
Und wer sich dann dabei ertappt, wie der den geheimsten Wunsch eines Seifenspenders erfüllt, hat ihm und sich damit vielleicht ein besonderes Geschenk gemacht.
Titelangaben
Pascale Osterwalder: Daily Soap
Aus dem Leben eines Seifenspenders
Wien: Luftschacht 2021
134 Seiten, 18 Euro
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