Roman | Jane Harper: Zu Staub
Ein Toter liegt unter der glühenden Sonne im Norden Australiens: Cameron, der mittlere von drei Brüdern, die hier im Outback ihre Farmen betreiben. Nathan und Bub heißen die beiden anderen. Ihr Vater, Carl Bright, früh bei einem Autounfall ums Leben gekommen, hat ihnen das weite Land zu je einem Drittel überlassen. Jetzt ist Cameron tot, an Hitze, Durst und Angst gestorben, und die Familie muss sich fragen, wie es weitergehen soll. Bald aber steht noch eine weitere Frage im Raum: Was, wenn der erfahrene Rancher doch keines natürlichen Todes gestorben ist? Von DIETMAR JACOBSEN
1.500 Kilometer nordwestlich von Brisbane liegt im Outback Australiens Balamara. Ein Ort mit einer Durchgangsstraße, dessen gesamte Einwohnerschaft, wie Jane Harper in dem großartigen Prolog zu ihrem dritten Roman Zu Staub schreibt, »in einem einzigen großen Raum Platz gefunden hätte«.
Doch man muss nochmals mehrere Autostunden zurücklegen, um von hier aus das Farmland der Gebrüder Bright zu erreichen: einen Ort voller Hitze und Staub, sandig und trocken elf Monate im Jahr und den Rest der Zeit »mit schlammigem Wasser überflutet«. Unwirtlich für die hier Wohnenden, tödlich für all diejenigen, die sich mit den Tücken der Natur in den unendlichen Weiten Queenslands und des Northern Territory nicht auskennen.
Drei Brüder
Allein Cameron Bright kann niemand nachsagen, dass er sich je unvorsichtig und der ständig präsenten Gefahren nicht bewusst auf seinem Land bewegt hätte. Und doch finden ihn seine beiden Brüder, Nathan und Bub, eines Tages tot und kilometerweit von seinem mit Wasser und Proviant vollbeladenen Wagen weg in der Nähe eines alten Grabmals, welches die Einheimischen das »Stockman-Grab« nennen. Hitze, Durst und Angst haben den starken Mann getötet. Niemand war in der Nähe, um ihm zu Hilfe zu kommen. Spuren, die darauf hindeuten würden, dass er zum Opfer eines Verbrechens wurde, findet der örtliche Vertreter der Polizeimacht, von den Brüdern benachrichtigt, keine.
Nathan und Bub bringen den Toten zurück auf die Ranch, die Cameron seit dem Unfalltod ihres Vaters verwaltet hat. Dort leben neben seiner Mutter Liz und seiner Frau Ilse noch seine beiden kleinen Töchter, Harry, ein alter Freund der Familie, der jüngere Bruder Bub sowie die beiden Backpacker Katy und Simon, die Cameron als Hilfen im Haus und auf dem Feld eingestellt hat. Nathan hat seinen halbwüchsigen Sohn Xander mitgebracht, der die nach der Scheidung von seiner Frau festgelegten Ferienwochen beim Vater verbringen darf. Und während man sich mit den Vorbereitungen auf das Begräbnis und der Frage zu beschäftigen beginnt, wer nach dem Tod des Farmbetreibers dessen Geschäfte übernehmen soll, erwachen langsam Zweifel daran, ob es sich bei dem Tod von Cameron Bright tatsächlich um einen tragischen Unfall gehandelt hat.
Erwachende Zweifel
Zu Staub ist ein kriminelles Kammerspiel in der absoluten Einsamkeit einer dem Menschen feindlichen Landschaft. Jane Harpers nach Hitze (Originalausgabe 2016) und Ins Dunkel (Originalausgabe 2017) dritter in ihrer australischen Heimat spielender Roman überzeugt mit bis zum Schluss nicht nachlassender Spannung, großartigen Landschaftsbeschreibungen und Figuren, deren Konflikte erst allmählich zutage treten. Dass es der Schatten des toten Vaters ist, der immer noch auf der Familie lastet und für Spannungen sorgt, erkennt der Leser ziemlich schnell. Carl Bright hat bis zu seinem Tod auf dem Familienanwesen mit eiserner Faust geherrscht. Vor allem seine drei Söhne hatten unter ihm zu leiden. Bei der geringsten Kleinigkeit wurden sie hart bestraft und ständig gegeneinander ausgespielt. Selbst nach dem plötzlichen Tod des Patriarchen hat die Verteilung des Erbes an Grund und Boden noch für Unfrieden gesorgt.
Aber es sind nicht nur Nathan und Bub, auf denen plötzlich der Schatten des Verdachts lastet. Auch andere könnten etwas mit dem für einen Farmer, der sich seit seiner Jugend mit den Tücken der Natur zu arrangieren wusste, ungewöhnlichen Tod zu tun haben. Etwa seine Frau Ilse, die, wie man aus den Rückerinnerungen Nathans erfährt, zunächst mit ihm zusammen war, bevor sie seinen jüngeren Bruder heiratete, und seitdem gute Gründe hat, sich vor ihrem Mann in acht zu nehmen. Die Wahrheit, die sich Jane Harper für die letzten Seiten ihres Romans aufgespart hat, ist dann aber doch noch einmal eine ganz andere. Und sie löst nicht nur das Rätsel um den mysteriösen Tod von Cameron Bright auf schockierende Weise, sondern eröffnet auch neue Wege und Perspektiven für alle Zurückbleibenden.
Titelangaben
Jane Harper: Zu Staub
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2019
409 Seiten, 16.- Euro
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