Menschen | Neue Bücher zum 75. Geburtstag von Botho Strauß
Botho Strauß hat über viele Jahre als konservativer Querdenker, als polemisch-provozierender Intellektueller auch abseits von Literatur und Theater für Furore gesorgt. Vor fünfzehn Jahren hatte er noch »verführen, amüsieren, provozieren und beleben« als wichtigste Aufgaben des Autors bezeichnet und diese Attitüde auch noch in seinem letzten Essayband ›Der Fortführer‹ (2018) mit großem Furor gepflegt. Von PETER MOHR
Da war sie noch einmal deutlich vernehmbar, die mahnende Stimme des Zweiflers und Skeptikers, der einst das Internet als »Logbuch einer weltweiten Mitteilungsinkontinenz« bezeichnet hatte.
Und doch ist der exzentrische Nonkonformist Botho Strauß, der zur Melancholie neigende erzählerische Philosoph und vehemente Zeitgeistkritiker, deutlich ruhiger geworden und schlägt neuerdings versöhnliche Töne an.
Es begann vor fünf Jahren mit dem autobiografischen Band »Herkunft«. Er blickte geradezu melancholisch auf seine Kindheit in Bad Ems zurück. Das schmale autobiografische Bändchen »Herkunft« las sich wie ein verspätetes Liebesbekenntnis zu seinen Eltern. Er versöhnte sich mit seinem autoritären Vater, der einst schwer verwundet aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrt war. Als Kind hatte Strauß ihn im Gefängnis besucht, wo er wegen angeblicher Schmuggelvergehen in der damaligen SBZ einsaß.
Um zwischenmenschliche Beziehungen kreist auch der neue Band »Zu oft umsonst gelächelt«, ein Textkonglomerat ohne Gliederung und Zwischentitel, eine Aneinanderreihung von Prosafragmenten, Kurzgeschichten, Mini-Reflexionen und Notizen.
Im Mittelpunkt stehen Paare und Beziehungen unterschiedlichster Couleur. Strauß kommt als überraschend gelassener Komödiant und subtiler Arrangeur kleiner zwischenmenschlicher »Unfälle« daher. Seine humorvolle Ader kam in der Prosa bisher eher selten zum Vorschein – anders in seinen Theaterstücken, in denen oft tollpatschige Figuren, die etwas »durch den Wind« waren, über die Bretter huschten.
Bei der Lektüre der Episoden des Bandes glaubt man, unendlich viele, kleine Bühnenskizzen zu lesen. Pointierte Arrangements aus der Welt der Paare, die geprägt sind von Liebe, Leidenschaft, emotionalen Missverständnissen, Sehnsüchten und Enttäuschungen. Von »Ehetrümmergrundstücken« und »Umarmungen unter Niveau« ist die Rede in Strauß‘ tragikomischen Szenen, in denen er ein fantasievoll gestaltetes, leicht skurriles Figurenensemble auftreten lässt.
Das ist der Ja-Sager Gisbert, der in Gesellschaft zu allem nickt, um partout nicht anecken zu wollen . Er ist »Begründer der Gisbertologie, der Lehre vom Zustimmen.
Dann ist da die ›Miesmacherin«, die ihren Mann permanent schikaniert, der Mann im Safarihemd, der nach dem Tod seiner Frau alle Reisen, die er mit ihr gemacht hat, noch einmal antreten will, oder der umtriebige Unternehmer mit den vier Frauen – Ehefrau, Geliebte, die ›Fernstenliebe‹ und die »hilfreichen Närrin«.
»Das große Glück, der große Schmerz passen nirgends hinein«, lässt Strauß eine seiner Figuren sagen. Ihm geht es (zumindest latent) um eine Ent-Intellektualisierung der Liebe und der Beziehungen – weg von akademischen Reflexionen, wieder hin zum freien Lauf der Gefühle.
Bekannt geworden ist Botho Strauß, der am 2. Dezember vor 75 Jahren in Naumburg an der Saale geboren wurde, in jungen Jahren zunächst als Dramatiker, nachdem er nach seinem abgebrochenen Studium zuvor drei Jahre als Journalist für die Zeitschrift ›Theater heute‹ gearbeitet hatte. Seine beiden ersten Theaterstücke ›Die Hypochonder‹ (1972) und ›Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle‹ (1974) wurden bereits von der Kritik heftig gerühmt. 1975 gab er seinen Job als Dramaturg an der Berliner Schaubühne auf und widmete sich ausschließlich seiner schriftstellerischen Arbeit. Noch immer ist er einer der meist gespielten zeitgenössischen Bühnenautoren. Pünktlich zum Geburtstag ist nun auch ein schmaler Band mit dem Bühnenfragment ›Saul‹ erschienen.
›Paare, Passanten‹ (1981), ›Der junge Mann‹ (1984), ›Das Partikular‹ (2000) und ›Mikado‹ (2006) sind einige der wichtigsten Prosaveröffentlichungen aus der Feder des abwechselnd in Berlin und in der Uckermark lebenden Georg-Büchner-Preisträgers von 1989.
»Man ist im Alter bereit zum geschlossenen Vollzug der Langeweile. Aber der Wahnsinn, Ausbund falscher Freiheit, ist nicht mehr interessant«, lässt Strauß eine Figur in seinem neuen Band »Zu oft umsonst gelächelt« sagen. Und diese Worte muten wie eine Selbstcharakterisierung an.
Nicht zornig, nicht rebellisch, schon gar nicht provozierend: Botho Strauß hat für sich einen neuen Ton gefunden. Er kommt daher wie ein tänzelnder Harlekin mit einer federleichten, spöttelnd-hintersinnigen Prosa.
Titelangaben
Botho Strauß: Zu oft umsonst gelächelt
München: Carl Hanser Verlag 2019
213 Seiten, 22 Euro
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Botho Strauß: Saul
Hamburg: Rowohlt Verlag 2019
92 Seiten, 20 Euro
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