Krimi | Horst Eckert: Wolfsspinne
Zum dritten Mal lässt der Düsseldorfer Autor Horst Eckert in Wolfsspinne seinen Kommissar Vincent Ché Veih ermitteln. Der kommt aus einer tief in die deutsche Geschichte verstrickten Familie. Der Großvater ein unbelehrbarer Nazi, die Mutter eine RAF-Terroristin, der Vater – wie man erst in diesem Roman erfährt – zunächst linksextrem, dann zur extremen Rechten konvertiert und ein Cousin aus dem thüringischen Jena als V-Mann des Verfassungsschutzes in die NSU-Affäre verstrickt. Kein Wunder, dass sich Veih mit Vorliebe in Fälle stürzt, die einen politischen Hintergrund besitzen. Auch diesmal dauert es nicht lang, bis er sich mit seinem wachen Bewusstsein und ohne Rücksicht auf politische Korrektheit in einem Szenarium wiederfindet, das niemand gern aufgedeckt sehen möchte, der staatlicherseits daran teilhatte. Von DIETMAR JACOBSEN
Eisenach, 4. November 2011. In ihrem angemieteten Wohnmobil setzen die aus Jena stammenden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach dem Überfall auf eine Filiale der Wartburg-Sparkasse ihrem Leben ein Ende. Beate Zschäpe, seit den frühen 90er Jahren mit den beiden in der Thüringer Neonazi-Szene aktiv, versucht am gleichen Tag im rund 80 Kilometer entfernten sächsischen Zwickau, wo das Trio seit über drei Jahren in einer konspirativen Wohnung Unterschlupf gefunden hat, Beweise dafür zu vernichten, dass die sich Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nennende Gruppe seit ihrem Untertauchen 1998 zehn Morde, mehrere Sprengstoff-, und Nagelbombenattentate sowie Banküberfälle begangen hatte.
Vier Tage später stellte sie sich der Polizei. Auf den Tag genau ein Jahr darauf erhob die Bundesanwaltschaft Anklage gegen die damals 37-Jährige. Am 6. Mai 2013 begann der Prozess gegen Zschäpe vor dem Oberlandesgericht München, der nach weit mehr als 300 Verhandlungstagen im nächsten Jahr in seine entscheidende Phase eintreten wird.
Blutige Spur des Hasses
Alles klar – sollte man denken. Doch von Anfang an warf die Geschichte um das NSU-Trio Fragen auf, die die mit der Aufklärung des Falls Beschäftigten nicht beantworten konnten bzw. wollten. Weder erschloss sich der Doppelselbstmord von Mundlos/Böhnhardt zur Gänze noch die Verwicklung von zahllosen in die Neonazi-Szene eingeschleusten V-Männern des Verfassungsschutzes in den Fall.
Dass Aufklärung gebende Akten zuhauf geschreddert wurden, Handys mit brisanten Daten verschwanden, Zeugen verstarben, bevor sie ihre Aussagen vor dem Münchner Gericht machen konnten – alles Dinge, die Spekulationen und Verschwörungstheorien Tür und Tor öffneten. Und natürlich auch einer Literatur, die sich solcherart informeller Leerstellen nur zu gern bedient, um der Wirklichkeit mit ihrer Fantasie ein bisschen auf die Sprünge zu helfen. Einer Literatur, wie sie hierzulande in Horst Eckert einen ihrer prominentesten Vertreter besitzt.
Der siedelt seinen neuen Roman, den dritten um den Düsseldorfer Hauptkommissar Vincent Ché Veih, zeitlich hauptsächlich vier Jahre nach den Geschehnissen um das NSU-Trio an. Ein brutaler Mord im Düsseldorfer Drogenmilieu ist der Auslöser für eine Ermittlung, die plötzlich Dimensionen bekommt, die auf die Neonazi-Szene verweisen. Mischt die inzwischen im Drogengeschäft mit, um mit dem Erlös aus Crystal-Meth-Verkäufen geplante Anschläge auf staatliche Einrichtungen zu finanzieren? Und welche Rolle spielt Ronny Vogt, Veihs Jenaer Cousin, der zunächst gar nicht erfreut ist, seinen entfernten Verwandten in Düsseldorf wiederzutreffen, denn der mit den Hintergründen der NSU-Affäre bestens vertraute Ex-Stasimann arbeitet inzwischen verdeckt für das Düsseldorfer LKA und hat einiges zu verbergen.
Eisenach 2011 – Düsseldorf 2015
Zum Beispiel seinen Anteil an den Eisenacher Ereignissen vier Jahre früher. Mit in den Text eingestreuten Rückblenden auf jene Tage im November 2011 bietet Eckerts Roman eine ganz eigene Lesart der Geschehnisse um das Ende des NSU an. Und die erscheint – so fiktional sie auch sein mag – fast schlüssiger als all das, was zu diesem Thema bis dato aus offiziellen Quellen verlautete und der Zschäpe-Prozess, in dem die Angeklagte ja über Jahre hinweg schwieg, ans Tageslicht zu bringen vermochte.
Bei der Vergangenheit bleibt Wolfsspinne – der Titel bezieht sich auf die geheime Operation, mit der der Thüringer Verfassungsschutz im Roman eine aus dem Ruder gelaufene Unterwanderung der Neonaziszene beendet und seine eigene Beteiligung an den NSU-Morden zu verschleiern sucht – aber nicht stehen. Denn das Ende des Nationalsozialistischen Untergrunds bedeutet für Eckert keineswegs auch das Ende von rechtem Terror in Deutschland. Im Gegenteil: Der aufflammende Fremdenhass im Zuge der Flüchtlingskrise und Bewegungen wie die sächsische Pegida – beides fließt am Rande mit in den zeitgesättigten Roman ein – schaffen eine Atmosphäre, die rechter Gewalt Vorschub leistet.
Wolfsspinne ist ein äußerst respektabler Politthriller. Mit ihm hat sich der Düsseldorfer Autor wohl endgültig in die erste Reihe jener deutschen Autoren von Polizeiromanen geschrieben, die mit ihren Büchern mehr bezwecken als lediglich spannend zu unterhalten. Eckert bietet – ganz im aufklärerischen Sinne – Unterhaltendes wie Belehrendes, Spannung vermischt mit Zeitkritik. Er schaut genau hin, hinterfragt scheinbar Feststehendes und prangert Missstände an.
Was Vincent Veih betrifft, so ist dessen Geschichte noch lange nicht zu Ende erzählt. Der Roman enthält gleich ein paar lose Enden, an denen ein vierter Band anknüpfen könnte. Und gerade scheint ja mit der möglichen Verwicklung von Mitgliedern des NSU in Kinderpornografie und -missbrauch auch ein neues verbrecherisches Kapitel dieser Neonazi-Gruppierung aufgedeckt zu werden. Horst Eckert, übernehmen Sie!
Titelangaben
Horst Eckert: Wolfsspinne
Reinbek bei Hamburg: Wunderlich 2016
491 Seiten. 19,95 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander
Reinschauen
| Leseprobe