Roman | Gunnar Danckert: Mokka Noir
Die junge, hübsche Frau betrat ein Büro, in welchem sie sich über vieles wundern sollte. Da war zum Beispiel die Unbekümmertheit des Privatdetektiven, der ein allzu intimes Verhältnis zu seinem Flachmann pflegte, oder dessen Angewohnheit, seine Gehaltsforderungen aus Chandler-Romanen zu rezitieren, oder auch der befremdliche Umstand, dass eine Kochplatte in seinen Tisch eingebaut war. Über eines aber wunderte sich die junge, hübsche Frau nicht: dass der Privatdetektiv Jimmy Risiko ein Hase zu sein beliebte. Von JULIAN KÖCK
Und wieso hätte sie sich auch wundern sollen? Einer ihrer besten Freunde war ein Krokodil, in dem von ihr viel frequentierten Kasino sang hervorragend eine Flamingodame und der höchste politische Repräsentant der Stadt war ein Bär. In Lost Bottom, dem Handlungsort von Gunnar Danckerts Roman ›Mokka Noir‹, leben Tiere und Menschen nebeneinander, sind teilweise verheiratet oder auch nicht, und niemand wundert sich darüber.
Der Leser dagegen wundert sich und kommt aus dem Wundern gar nicht mehr heraus. Die meist kurzen Kapitel werfen Schlaglichter auf eine durch und durch fantastische Welt, die der unseren nur sehr entfernt ähnelt. Das macht den Roman überaus vergnüglich und ständig fragt man sich, wann dem Autoren denn endlich die kreativen Ideen ausgehen mögen. Sie tun es nicht. Genauso ist es um den Humor bestellt. Ein Wortspiel folgt auf die nächste amüsante Idee – besonders die teilweise skurrilen, oft geistreichen Dialoge stellen Höhepunkte des Buches dar. Neuschöpfungen wie das Verb »zynisieren« passen bestens in unsere Zeit und die philosophische Herleitung des Haustiercharakters von Bananen stellt ein gutes Beispiel für zeitgenössische philosophische Irrungen dar.
Die eigentliche Handlung um den Fall des Mokka Noir, einem mutmaßlich todbringenden Heißgetränk auf Koffeinbasis, zieht sich als eher loser Faden durch das Buch. Den Kern des Buches stellen eindeutig die Figuren und ihre Nebengeschichten dar. Mokka Noir ist eben kein herkömmlicher Krimi. Wer beim Anhalter durch die Galaxis schon abwinkt, für den dürfte Mokka Noir eher nichts sein. Wer hingegen ein Herz für Kreativität um ihrer selbst willen und schrägen Humor hat, sollte viel Freude am Buch haben.
Das Zusammenleben von Tieren und Menschen macht den utopischen Charakter von Lost Bottom unmittelbar deutlich. Allerdings verweist diese Utopie nicht auf einen paradiesischen und quasi natürlichen Urzustand zurück, sondern erweist sich ganz im Gegenteil als durch und durch zivilisiert; in dieser Welt haben Menschen wie Tiere ihre instinkthafte Natur überwunden und sind von triebgeleiteten zu ästhetischen Wesen geworden. Sie alle scheinen die Erfüllung eines ihnen individuellen Stils zur obersten Maxime ihres Lebens gemacht zu haben. Dadurch entsteht beim Leser der Eindruck, dass er zumindest erahnen könnte, was die Figuren wohl tun und sagen könnten, wenn sie nicht gerade in der geteilten Aufmerksamkeit von Verfasser und Leser stünden.
Der Detektiv Jimmy Risiko erfährt die größte Ausarbeitung. In seinem Streifen durch diese exzentrische Welt gleicht er eine Mischung aus Diogenes und Don Quijote, nur dass ihn nichts aus der Ruhe bringt. Seine Seelenruhe speist sich indes nicht aus einem wie auch immer gearteten Starrsinn, sondern stellt das Produkt eines gesunden Skeptizismus dar, der alles gleichermaßen für möglich und nichts für zwingend wahr erachtet. Solch mangelnder Dogmatismus ist es, der es ihm ermöglicht, mit jedem noch so schwierigen Gesellen – darunter dem Verfasser des Buches selbst, der in der Wohnung neben Jimmys Detektei zu wohnen scheint – gut auszukommen.
Der Detektiv des Noir-Romans ist in seiner edelsten Gestalt ein romantischer Zyniker, der von der Verderbtheit der Welt wie kein anderer weiß. Dennoch bleibt er seinen Prinzipien treu, was ihn zu einer Art Stoiker macht. Dadurch geht in diesen Romanen die Hoffnung auf eine bessere Welt nie ganz verloren, auch wenn sie nur so klein sein mag wie die auf ein Leben nach dem Tod. So betrachtet, zeigt der Noir-Roman eine zynische Welt, ohne selbst zynisch zu sein.
Anders ist es bei Mokka Noir. Hier ist die Welt des Romans von einer utopischen Unschuld geprägt, durch die der Zynismus des Verfassers umso deutlicher hervortritt: Er liegt in der Differenz zur echten Welt. Hier leben die Tiere gleichrangig mit dem Menschen, dort werden sie in Fabriken abgeschlachtet; hier werden Verbrechen geradezu erfunden, um etwas zum Aufklären zu haben, dort bleibt Verbrechen um Verbrechen ungesühnt; hier ist Melancholie eine genießbare Kunst und Wahnsinn eine leidensfreie Form der Kreativität, dort ertrinken ganze Gesellschaften in Depression und wahnhaftem Hass aus beliebig lächerlichen Motiven.
Aber bevor wir jetzt ganz melancholisch werden, folgen wir lieber Jimmy in seine Welt, wo gerade jetzt ein neuer Gimlet für ihn bestellt werden könnte:
»Hast du gehört Puppe, nicht zu quietschig. Der Hase hier hat große Zähne. Wir verstehen uns.«
Titelangaben
Gunnar Danckert: Mokka Noir
Berlin: epubli 2018
Reinschauen
| Leseprobe