/

Bonnie und Clyde in Südschweden

Roman | Hjorth & Rosenfeldt: Die Früchte, die man erntet

Drei Morde in kurzer Zeit in einer südschwedischen Kleinstadt – das verlangt nach der Anwesenheit der Reichsmordkommission. Die wird inzwischen von Vanja Lithner geleitet. Und weil sich deren Beziehung zum Kriminalpsychologen Sebastian Bergman, ihrem Vater, weitgehend normalisiert hat, wird auch der bald wieder eingespannt, um das Rätsel um den geheimnisvollen, eine Racheliste abarbeitenden Heckenschützen zu lösen. Bergman hat allerdings nach wie vor mit seiner eigenen Vergangenheit zu tun. Und schließlich ist da auch noch Vanjas Kollege und Freund Billy und dessen Verhältnis zur Gewalt. Genug Konflikte also, damit Michael Hjorth und Hans Rosenfeldt in ihrem siebten gemeinsamen Kriminalroman erneut 500 Seiten ebenso spannender wie kurzweiliger Unterhaltung abliefern können. Von DIETMAR JACOBSEN

Im südschwedischen Karlshamn passiert gewöhnlich wenig. Doch nach einem Absolvententreffen der örtlichen Grundviks-Schule beginnt plötzlich ein Heckenschütze sein blutiges Werk. Drei Menschen tötet er innerhalb kürzester Zeit, bevor es die örtliche Polizei für angebracht hält, sich der Unterstützung der für solche Fälle zuständigen Reichsmordkommission zu versichern. Bei der hat inzwischen die Führung gewechselt. Der nach dem Tod seiner Frau schwer gehandicapte Torkel Höglund hat Platz gemacht für die junge, manchmal vielleicht etwas zu ehrgeizige Vanja Lithner, die nach einer kurzen Episode bei der Polizei von Uppsala zu ihren alten Stockholmer Mitstreitern zurückgekehrt ist. Und weil Vanja ihre Probleme mit dem Kriminalpsychologen und heimlichen Helden der Hjorth-Rosenfeldt- Serie, Sebastian Bergman, ihrem Vater, inzwischen im Griff zu haben scheint – Bergman schlüpft neuerdings sogar, wenn es angebracht ist, in die Rolle des liebevollen Großvaters für Vanjas Tochter Amanda –, trägt sie auch keine Bedenken, ihn um Rat zu fragen, was den aktuellen Fall angeht.

Ein Heckenschütze im schwedischen Karlshamn

Hjorth & Rosenfeldt liefern mit Die Früchte, die man erntet zum siebten Mal seit 2011, als sie ihre Sebastian-Bergman-Reihe starteten, solide Krimiunterhaltung ab. Dabei sind es nicht allein die Fälle, bei denen manchmal eine Spur zu dick aufgetragen wird, die die Leser des schwedischen Autorenduos fesseln, sondern nicht minder interessant ist auch die Entwicklung einzelner Figuren innerhalb der Ermittler-Crew. Etwa Sebastian Bergman, der nicht über den Tod seiner Frau und seiner Tochter in der Tsunamikatastrophe von 2004 hinwegzukommen scheint und sich jahrelang in zahlreiche oberflächliche Sexgeschichten flüchtet, ehe sich für ihn mit Tochter Vanja und Enkelin Amanda wieder eine Perspektive auftut. Oder Billy Rosén, Vanjas Kollege und Freund, der bei einem früheren Einsatz der Reichsmordkommission Freude am Töten gefunden hat und seitdem vergeblich versucht, diesen alles beherrschenden Trieb zu unterdrücken.

In Karlshamn jedenfalls sterben auch nach der Ankunft der Stockholmer Ermittler weiterhin Menschen von der Hand des geheimnisvollen Heckenschützen. Doch langsam ergeben viele einzelne Hinweise und ans Licht kommende Beziehungen zwischen den Opfern ein Bild, das Vanja und ihr Team auf die Spur eines sich wie Bonnie und Clyde durch die Gegend schießenden und damit Rache für ihre verpfuschte Kindheit und Jugend nehmenden Pärchens führt. Dass das hier verraten werden darf, liegt daran, dass die Leser praktisch von der ersten Seite an wissen, wer hier tötet und wen das Duo noch auf seinem Zettel hat. Dass das der Spannung nicht schadet, sei hier versichert. Sie entsteht nur diesmal nicht dadurch, dass sich aus einem Kreis von Verdächtigen langsam ein Täter herauskristallisiert, sondern aus der Frage, ob es das Team um Vanja Lithner schaffen wird, die Mörder zu stellen, ehe die ihre Todesliste abgearbeitet haben.

Austausch-Träume

Im Übrigen spielt die inzwischen 17 Jahre zurückreichende Traumatisierung Sebastian Bergmans durch den Verlust seiner Frau und seiner Tochter in der Tsunamikatastrophe auch in Die Früchte, die man erntet wieder eine wichtige Rolle. Denn die ihn früher in regelmäßigen Abständen quälenden Albträume, in denen es ihm nicht gelingen wollte, die Hand seines dreijährigen Kindes zu halten, während die Fluten über ihnen beiden zusammenschlugen, verschwanden, je besser er sich mit Vanja und deren Tochter Amanda zu verstehen begann. Inzwischen freilich sind sie wieder da, allerdings mit einer entscheidenden Variation. Nunmehr nämlich ist es seine Enkelin Amanda, die Bergman an der Hand hält, während sich Töchterchen Sabine bitter darüber beklagt, dass er sie ausgetauscht, durch Amanda ersetzt habe.

Wie nahe er mit diesem Austausch-Traum einer Realität kommt, mit der die Leser des neuen Sebastian-Bergman-Abenteuers erst auf den letzten Romanseiten konfrontiert werden, ahnt der Psychologe noch nicht. Genauso wenig wie dass die bevorstehende Hafterleichterung für eine alte Bekannte neue Gefahren auch für ihn heraufbeschwört. Gleich zwei Cliffhanger am Ende? Das deutet darauf hin, dass es Sebastian Bergman und die Reichsmordkommission auch in ihrem achten Fall – der, wie man hört, die Serie abschließen soll – nicht gerade leicht haben werden.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Hjorth & Rosenfeldt: Die Früchte, die man erntet
Ein Fall für Sebastian Bergman
Aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein
Hamburg: Wunderlich 2021
505 Seiten. 24 Euro
| Erwerben Sie diesen Band portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Fantasie zum Träumen

Nächster Artikel

What is in a Name?

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Starker Tobak

Film | TV: Tatort 914 Paradies (ORF), 31. August Ganz Österreich ist potenzieller Tatort beim ORF, wir erinnern uns an ›Kein Entkommen‹ aus dem Februar 2012, in dem mitten in Wien alte Rechnungen aus dem Bosnien-Krieg beglichen wurden, an Ermittlungen in der Kärntner Provinz (›Unvergessen‹, Mai 13), an Elendsprostitution in Wien (›Angezählt‹, September 13), an ein Horrorhaus im niederösterreichischen Gieselbrunn (›Abgründe‹, März 14). Das Geschehen in ›Paradies‹ spielt sich in der steiermärkischen Provinz in einem Altersheim für Mittellose ab. Von WOLF SENFF

Tod im Outback

Roman | Jane Harper: Zu Staub Ein Toter liegt unter der glühenden Sonne im Norden Australiens: Cameron, der mittlere von drei Brüdern, die hier im Outback ihre Farmen betreiben. Nathan und Bub heißen die beiden anderen. Ihr Vater, Carl Bright, früh bei einem Autounfall ums Leben gekommen, hat ihnen das weite Land zu je einem Drittel überlassen. Jetzt ist Cameron tot, an Hitze, Durst und Angst gestorben, und die Familie muss sich fragen, wie es weitergehen soll. Bald aber steht noch eine weitere Frage im Raum: Was, wenn der erfahrene Rancher doch keines natürlichen Todes gestorben ist? Von DIETMAR JACOBSEN

Lebensbankrott trifft auf Persönlichkeitsstörung

Film | Im TV: Polizeiruf Familiensache (NDR), 2. November Arne Kreuz (Andreas Schmidt) sieht unfassbar gemein aus, aber was kann er dafür. Er führt Böses im Schilde, dass es uns kalt den Rücken herunterläuft. Das ist die eine ›Familiensache‹, ein Familienvater verkraftet die Scheidung nicht und steigert sich in eine Realität, in der die Tatsachen nicht mehr greifen. »Die Straße vor mir wird immer enger, und dann steh‘ ich vor dieser Wand«. Von WOLF SENFF

Spannende Handlung, dicht sortiert

Film | Im TV: TATORT ›Château Mort‹ (SWR), 8. Februar In den letzten Monaten folgten wir schon einmal dem Versuch, Bildungsgut für den Sonntagabend fein aufzubereiten. Das ist leider schwieriger als gedacht. Neulich musste Shakespeare dran glauben, der mit Anklängen an einen Western in Szene gesetzt wurde. Man war verwirrt und dachte heftig darüber nach, ob das den Western beschädigte oder Shakespeare oder womöglich den ›TATORT‹. Von WOLF SENFF

Waffen, Warlords, Defense Robotics

Film | Im TV: TATORT 909 – Kaltstart (NDR), 27. April Eine Vorgruppe tritt auf und stimmt’s Publikum auf den Auftritt vom Dreamteam ein, so nähme der skeptische Blick die ersten Minuten wahr – ach diese Eröffnung hat trotz aller Dramatik etwas Pomadiges, war das wirklich nötig, die Zufälle sind arg durchsichtig drehbuchgesteuert. »Zwei tote Kollegen und der Chef schwer verletzt«, darauf läuft’s hinaus. Von WOLF SENFF