Elizabeth, die Ex-Spionin, Joyce, vorzeiten Krankenschwester und gegenwärtig eine Schriftstellerkarriere planend, sowie Ron, der als Gewerkschafter den nom de guerre »Der Rote Ron« trug, und der feinsinnige Psychiater Ibrahim bilden den »Donnerstagsmordclub«. Ungelöste Kriminalfälle sind das Hobby der rüstigen Rentner, die sich, wenn es nottut, auch Hals über Kopf in die gefährlichsten Aktionen stürzen. Diesmal, im dritten Band der international höchst erfolgreichen Romanreihe des Autors, Produzenten und Fernsehmoderators Richard Osman, ist das zehn Jahre zurückliegende Verschwinden einer Investigativjournalistin Anlass für die Nachforschungen der vier. Und kaum auf der Spur, wird die auch schon so heiß, dass man sehr vorsichtig sein muss, um nicht selbst Schaden zu nehmen. Von DIETMAR JACOBSEN
Agatha Christie stand Patin beim »Donnerstagsmordclub«. 1932 erschien ihre Kurzgeschichtensammlung The Thirteen Problems, die ein Jahr später in den USA unter dem Titel The Tuesday Club Murders herauskam. In der ersten Geschichte dieses Bandes trifft sich im Haus der berühmten Miss Marple ein kleines Grüppchen von Menschen aus unterschiedlichen Berufen. Im Verlauf der Gespräche stellt man fest, dass ausnahmslos alle Versammelten großen Spaß daran haben, über Kriminalfälle zu diskutieren, deren Lösung nur einer Person aus der Runde bekannt ist. Und es entsteht der Plan, sich regelmäßig dienstagabends zu treffen, um zu versuchen, einen von einem jeweils anderen Teilnehmer vorgestellten rätselhaften Fall zu diskutieren.
Der Tuesday Night Club ist gegründet. Was ihn von Osmans Thursday Murder Club unterscheidet, ist die Tatsache, dass sich die von Agatha Christie erfundenen Herrschaften nicht aus ihren bequemen Clubsesseln rühren, um selbst in ungelöste Fälle einzugreifen. Da sind die vier Pensionisten aus der Seniorensiedlung Coopers Chase freilich von anderem Schrot und Korn. Und das in Der Donnerstagsmordclub und die verirrte Kugel bereits zum dritten Mal.
Vier Pensionisten und die Lust am Abenteuer
Elizabeth, Joyce, Ron und Ibrahim mögen nichts lieber als Fälle, die Rätsel aufgeben. »Cold cases« sind das Hobby der Ex-Geheimdienstmitarbeiterin, des ehemaligen Gewerkschaftsbosses, der einst als Krankenschwester Tätigen und des auch als Pensionist immer noch feinsinnig die menschliche Psyche Analysierenden. Weil man sich regelmäßig am Donnerstagmorgen Punkt 11 Uhr trifft, nennt sich das Grüppchen mit dem Faible für Kriminelles den »Donnerstagsmordclub«. Und hat es am liebsten, wenn außer ihnen vier kein anderer in der Lage ist, einen vertrackten Kriminalfall zu lösen. Diesmal geht es um das Verschwinden einer Journalistin, die einen 10-Millionen-Steuerbetrug aufgeklärt hatte und unmittelbar davorstand, die Drahtzieher hinter dem Verbrechen öffentlich anzuprangern. Hundert Meter in die Tiefe war ihr Wagen an der südostenglischen Steilküste gestürzt. Ihr Leichnam, wahrscheinlich herausgeschleudert in die tobende See, blieb verschwunden. Wer hatte ein Interesse daran, Bethany Waites zum Schweigen zu bringen?
Die Lage ist vertrackt. Und als wäre der Fall um die verschwundene Journalistin nicht schon kompliziert genug, gesellen sich zu der immer gefährlicher werdenden Suche nach dem Mörder von Bethany Waites und seinem Motiv dafür, die beliebte junge Frau verschwinden zu lassen, noch ein paar ebenfalls nicht zu verachtende Nebenkriegsschauplätze. Da spinnt zum Beispiel aus dem Gefängnis von Darwell heraus Connie Johnson, die eine Art Kollateralschaden der vier bei ihrem letzten Abenteuer – Der Donnerstagsmordclub und der Mann, der zweimal starb (2022) – darstellte, finstere Rachepläne. Weil das Lebensmotto der böse hereingelegten Drogenring-Chefin »Sofortige und brutale Vergeltung« lautet, soll nach ihrer Entlassung mindestens Ron Ritchie aus dem Quartett dran glauben. Derweil bekommt es die mit der Demenz ihres Ehemannes Stephen schon genug gestresste Elizabeth Best mit einem nordischen Hünen zu tun, der die Ex-Agentin vor die Wahl stellt, entweder einen ihrer alten Bekannten zu töten oder selbst daran glauben zu müssen. Und ihre beste Freundin Joyce muss nicht nur mit ansehen, wie Elizabeth kaltblütig auf einen russischen Ex-Agenten schießt, sondern trägt sich neuerdings auch mit dem Gedanken, selbst einen Krimi zu Papier zu bringen.
Aus Büchern werden Verbrechen und umgekehrt
Langeweile kommt bei dieser Gemengelage rund um die Seniorensiedlung Coopers Chase nicht auf. Und weil Police Constable Donna de Freitas und Detective Chief Inspector Chris Hudson, die beiden Polizisten, in deren Geschäfte sich die rüstigen Pensionäre immer wieder einmischen, gerade schwer verliebt sind – de Freitas in den jungen Polen Bogdan, Hudson in de Freitas‘ Mutter – , ist kaum mehr einer da, der das Quartett in seine Grenzen weisen könnte. Es sei denn, Andrew Everton, der Polizeichef von Kent, würde sich ermannen und ein Machtwort sprechen – aber der hat im Moment ganz andere Probleme.
Richard Osmans drittes Buch um seine sympathisch-skurrile Rentnergang besitzt erneut viel Humor, Esprit und Lebensklugheit. Am Ende gelingt es seinen Helden sogar, noch ein paar weitere interessante Charaktere an sich zu binden, die hoffentlich beim nächsten Fall des Donnerstagsmordclubs wieder mit dabei sein werden. Dass die Geschichte um die verschwundene Investigativjournalistin Bettany Waites noch viel Staub aufwirbelt und ihre Lösung schließlich auf sehr überraschende Weise erfährt, versteht sich im Übrigen bei Richard Osman und seinen sympathischen Figuren von selbst. Denn wie groß die kriminelle Energie eines Täters auch sein mag – gegen die vereinten Kräfte von Elizabeth, Joyce, Ron und Ibrahim ist schwer anzukommen.
Titelangaben
Richard Osman: Der Donnerstagsmordclub und die verirrte Kugel
Aus dem Englischen von Sabine Roth
Berlin: List Verlag 2023
431 Seiten, 17,99 Euro
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