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Jakob Francks zweiter Fall

Roman | Friedrich Ani: Ermordung des Glücks

In Friedrich Anis Roman Ermordung des Glücks spielt zum zweiten Mal nach Der namenlose Tag (2015, Deutscher Krimipreis national 2016) der Münchner Ex-Polizist Jakob Franck die Hauptrolle. Diesmal ist ein elfjähriger Junge ermordet worden – und während sich die Mutter im Schmerz vergräbt und der Vater Rachepläne schmiedet, weil er glaubt, den Täter zu kennen, versucht Anis Held alles Menschenmögliche, um zu verhindern, dass aus Unheil noch größeres Unheil erwächst. Von DIETMAR JACOBSEN

Lennard Grabbe ist ermordet worden. Und der Münchner Ex-Kommissar Jakob Franck, neueste Inkarnation eines Polizistentyps, wie er in den Büchern von Friedrich Ani immer wieder auftaucht, muss den Eltern des Kindes die Todesnachricht überbringen. Die hatten 34 Tage nach dem Verschwinden ihres Sohnes nur noch wenig Hoffnung, ihn lebend wiederzusehen. Nun also bestätigen sich ihre schlimmsten Vermutungen und eine Welt bricht für sie zusammen. Während sich Lennards Mutter als Reaktion auf das, was sie als die Ermordung des Glücks ihrer Familie begreift, völlig von der Welt zurückzieht, in Schweigen und Grübeln verfällt – nicht einmal ihren Mann lässt sie mehr an ihren Gedanken teilhaben –, sinnt der Vater, als unvorsichtigerweise durchsickert, dass die Polizei einen verdächtigen Mann aus dem Umfeld der Familie verhört hat, nur noch auf eine ebenso unsinnige wie letztlich falsche Rache.

Wer sich als Leser in Friedrich Anis Erzählwelt auskennt, wird von der Ausgangssituation seines neuen Romans Ermordung des Glücks nicht wirklich überrascht. Wieder einmal ist ein Mensch verschwunden und die Lücke, die er im Leben anderer hinterlässt, schmerzt. Umso mehr, da es sich diesmal bei dem Vermissten um ein Kind handelt, elf Jahre alt, begabt und wissbegierig, der ganze Stolz seiner Eltern und auch das, was deren Ehe noch den letzten Halt gab. Auf dem Heimweg von der Schule, an einem regnerischen, stürmischen Tag, an dem niemand von denen, die ihm nahestanden, die Zeit fand ihn abzuholen, befand sich Lennard, als er seinem Mörder begegnete. Ob er ihn kannte, ihm vertraute oder nicht – die polizeilichen Ermittlungen scheinen alle ins Leere zu laufen.

Mit einem Kind verschwindet das Glück

Dass Jakob Frank genauso wenig loszulassen vermag wie seine Vorgänger im Werk Anis – von Tabor Süden über Polonius Fischer bis hin zu Jonas Vogel –, wenn es um die Aufklärung eines Verbrechens geht, weiß man schon seit dem Roman Der namenlose Tag, in dem er 2015 seinen ersten Auftritt hatte. Diesmal vermutet der Pensionist, den man immer noch ruft, wenn Todesnachrichten an Hinterbliebene zu überbringen sind, dass die Polizei nicht gründlich genug recherchiert hat, als ihr das Verschwinden des Jungen gemeldet wurde. Denn schon die ersten Gespräche mit Familienmitgliedern, Nachbarn und Bekannten der Grabbes machen deutlich, dass es da vieles gibt, dem genauer nachgegangen hätte werden müssen. Das tut Frank nun selbst mit Akribie, stürzt sich ins Aktenstudium, sucht die Orte auf, an denen sich das Leben des Verstorbenen abspielte, und die Personen, denen er in seiner kurzen Zeit auf Erden begegnete. Und macht sich damit nicht nur Freunde unter seinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen.

Doch es gelingt ihm tatsächlich, Licht in das Dunkel des vertrackten Falls zu bringen, Verdächtige zu entlasten und den Hergang einer Gewalttat, die weder geplant war noch dem Täter auch nur den geringsten Nutzen brachte, zu klären. Sein Gespür für andere, die Fähigkeit, sich in Fremde hineinversetzen zu können, ihre Gedanken zu denken, ihre Wege nachzugehen, ihre Schwächen zu ahnen, seine, wie er es selbst nennt, »Gedankenfühligkeit« lassen ihn auch diesmal nicht im Stich. Doch was er nicht verhindern kann, ist das irrationale Handeln anderer. Und so erwächst aus dem Unheil, das der Tod des kleinen Lennard Grabbe darstellt, durch fehlendes Vertrauen, mangelnde Kommunikation und vermeidbare Missverständnisse am Ende eine noch größere Tragik.

Fehlende Kommunikation

Erneut ist es Friedrich Ani – einem der, vielleicht sogar dem produktivsten Autor im Thrillergenre hierzulande – gelungen, aus einem eher unspektakulären Plot ein großes Buch zu machen. »Irrungen und Wirrungen« hätte er es auch überschreiben können, wenn dieser Titel nicht schon prominent besetzt wäre. Denn die Figuren des Münchner Autors bewegen sich wie im Nebel: einander nicht wahrnehmend und ihren Weg allenfalls ertastend. Ihre Unfähigkeit, den Panzer des eigenen Selbst zu sprengen, sich mitzuteilen und Hilfe bei anderen zu suchen, macht sie nicht nur auf tragische Weise einsam, sondern führt sie immer weiter weg von jenen, deren Hilfe sie doch so dringend bedürften.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Friedrich Ani: Ermordung des Glücks
Berlin: Suhrkamp Verlag 2017
317 Seiten. 19,99 Euro
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| Leseprobe
| Dietmar Jacobsen über Friedrich Ani in TITEL kulturmagazin

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