Vier Kinder allein zu Hause ist schon eine Herausforderung. Wenn dann auch noch ein Kriminalfall zu lösen ist, kann man schon an seine Grenzen geraten. ANDREA WANNER hatte viel Vergnügen an einem historischen Kinderbuch, das schon fast 90 Jahre alt ist.
Geplant ist alles ganz anders. Herr und Frau Baumann fahren nach Ragaz, damit Herr Baumann seinen Rheumatismus auskurieren kann. Bertha, die Haushälterin, soll sich in während der Abwesenheit der Eltern um die vier Schulkinder und das Kochen kümmern. Kein Problem. Eigentlich. Denn das Ehepaar ist kaum um die Ecke, als sich herausstellt, dass Bertha eine Blinddarmentzündung hat und sofort operiert werden muss. Die Kinder – die Älteste, Hanneli, die Zwillinge Mutz und Peter und das Nesthäkchen Nüßlein – sind sich einig, dass sie den Eltern die wohlverdiente Erholung nicht kaputtmachen wollen und wollen die kommenden Wochen alleine auf die Reihe bringen. Eine Entscheidung mit fatalen Folgen, spätestens als sie feststellen, dass sich ein Dieb an der Kiste im Keller, der mit dem großen S, mit den Glühbirnen für das Sommernachtsfest zu schaffen macht und die Zahl der Leuchtmittel bereits beträchtlich abgenommen hat. Aber auch das sind sie gewillt in den Griff zu bekommen und dem Täter auf die Spur zu kommen.
Richard Plant wurde in Frankfurt am Main als Richard Plaut geboren und emigrierte im Mai 1938 in die USA. Er war Germanist und Schriftsteller. 1986 erschien sein Buch über die Verfolgung der Homosexuellen im Dritten Reich ›The Pink Triangle. The Nazi War against Homosexuals‹; auf Deutsch erschien es vier Jahre später unter dem Titel ›Rosa Winkel. Der Krieg der Nazis gegen die Homosexuellen‹.
Schon vorher hatte er geschrieben: vor allem Detektivromane und 1936 das Kinderbuch ›Die Kiste mit dem großen S‹, das im Jahr darauf auch in niederländischer Übersetzung erschien und dort von seinem Schwager Leo Meter mit detailreichen Schwarz-Weiß-Illustrationen versehen wurde, die auch die aktuelle Ausgabe bereichern.
Die Geschichte ist alt, vieles ist anders als in unserer heutigen Zeit und trotzdem kommt sie erstaunlich unverstaubt daher. Plant widmet sich seinen Figuren, den vier Kindern und Karli, dem neuen Freund von Peter, mit großer Leidenschaft. Er lässt beim Lesen die Verantwortung spüren, die Hanneli, die schon an der Schwelle zum Erwachsenenalter steht, für ihre jüngeren Geschwister übernimmt. Nicht leichten Herzens, sondern mit viel Nachdenken, viel Grübeln und Plänen, die sie sich erst mal umzusetzen trauen muss, wie ein Besuch bei Schulleiter, der sie täglich früher nach Hause lassen soll, damit sie kochen kann. Aber nicht weniger intensiv widmet er sich der Jüngsten, ihren verrückten Einfällen und ihrem Imbiss-Spiel mit einer Freundin. Abwechseln geht es bei den Baumanns herrlich verrückt und dann wieder sehr besonnen zu. Die Überforderung ist allen anzumerken, die Sehnsucht nach Erwachsenen, die alles wieder ordnen, ist groß. So holen sie sich schließlich – auch das klug durchdacht – bei ihrem Onkel.
Man gerät beim Lesen in eine abenteuerliche Zeitreise und kann sich überlegen, wie so etwas heute aussehen könnte, im Zeitalter von Handys und ganz anderen Möglichkeiten. Kinder bleiben Kinder – und Abenteuer eben Abenteuer. Schön, dass der Gans Verlag sich um diese verschütteten Kostbarkeiten jüdisch-deutschsprachiger Autorinnen und Autoren kümmert.
Ein Grußwort von Barbara Meter, der Tochter des Illustrators, die das Buch in ihrer Kindheit gelesen und jetzt wiedergelesen hat, und biografische Notizen zu Richard Plant runden das Buch ab.
Titelangaben
Richard Plant: Die Kiste mit dem großen S
Ein Roman für Kinder
Neuedition der Ausgabe von 1936 mit den Abbildungen von Leo Meter der niederländischen Ausgabe von 1937
(Historische Kinder- und Jugendbücher jüdisch-deutschsprachiger Autorinnen und Autoren)
Berlin Gans Verlag 2023
224 Seiten
Kinderbuch ab 10 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander