/

Ein Kleeblatt bringt nicht immer Glück

Roman | Arne Dahl: Sechs mal zwei

Sie sind wieder da: Sam Berger und Molly Blom. Wer Arne Dahls ersten Band seiner neuen Thrillerserie im vergangenen Jahr gelesen hat, konnte es kaum erwarten. Denn ›Sieben minus eins‹ endete mit einem Cliffhanger, der es in sich hatte. Von DIETMAR JACOBSEN

Aus Jägern wurden plötzlich Gejagte und genauso wie das raffinierte Spiel, das Dahl seine beiden Hauptfiguren miteinander spielen ließ, ehe eine der anderen zu vertrauen begann, waren es plötzlich die eigenen Leute, die das Leben von Blom und Berger bedrohten. Würde Flucht überhaupt helfen können, wenn eine übermächtige Organisation wie der schwedische Geheimdienst einen ins Visier nahm?
Um die eingangs gestellte Frage gleich zu beantworten: Ja, offensichtlich. Denn Molly Blom und Sam Berger leben noch, wenn ›Sechs mal zwei‹ beginnt. Allerdings haben sie sich sehr weit absetzen müssen von jeglicher Zivilisation. Bis in Schwedens äußersten Norden, zum »Pol der Unzugänglichkeit«, hat ihre Flucht geführt. Ohne Internet und immer auf den Hut vor die Gegend überfliegenden Satelliten, Berger körperlich und psychisch angeschlagen, Blom den Gefährten pflegend, leben sie weitab von allem, was ihnen gefährlich werden könnte.

Und doch erreicht sie eines Tages eine Nachricht von Sams alter Kollegin Desiré Rosenkvist. Und schon finden sich Arne Dahls Helden wieder inmitten eines Falls, der nicht nur ihre ganze Kraft erfordert, sondern sie auch erneut mit der eigenen Vergangenheit konfrontiert.

Am »Pol der Unzugänglichkeit«

Denn ein Brief ist eingegangen bei der Nationalen Operativen Abteilung, der Nachfolgerin von Schwedens Reichspolizei. Adressiert ausschließlich an Kommissarin Rosenkvist und abgeschickt von einer den Behörden seit Langem bekannten, allen möglichen Verschwörungstheorien zuneigenden Frau. Niemand nimmt sie deshalb mehr ernst, nur Rosenkvist stößt in dem Schreiben auf Bemerkungen, die sie an ihren Jahre zurückliegenden ersten Fall erinnern, den sie mit Ex-Kollegen Berger gemeinsam bearbeitete. Für den brutalen Mord an einer Mutter und ihrem Kind hatten sie damals einen Verdächtigen überführt und ins Gefängnis gebracht. Nun legen Anspielungen in dem Brief nahe, dass die beiden Kriminalisten einem Irrtum erlegen waren, der richtige Täter sich weiterhin auf freiem Fuße befindet und weiter mordet.

Natürlich müssen Blom und Berger vorsichtig sein, als sie auf Rosenkvists Vorschlag hin beginnen, undercover in Nordschweden zu ermitteln. Schließlich stehen sie selbst auf der Abschussliste des schwedischen Geheimdienstes. Doch nach und nach entschlüsselt sich ihnen die Geschichte der Glückskleeblätter, mit denen ein psychopathischer Killer seine Opfer markiert. Sechs tote Frauen und ihre Kinder, gemeinsam ermordet, werden identifiziert und der Augenblick rückt näher, wo sich Jäger und Gejagte endlich gegenüberstehen. Wer Dahl kennt, ahnt freilich, dass das noch lange nicht das Ende der Geschichte ist, die dann tatsächlich auf den letzten 30 Seiten noch einmal richtig Fahrt aufnimmt.

Undercover in Lappland

›Sechs mal zwei‹ ist wie sein Vorgänger ein Thriller, der vor allem auf Überraschungsmomente setzt. Es braucht eine Weile, bis er in Schwung kommt, und Leser, die ›Sieben minus eins‹ kennen, finden sich deutlich schneller in der Welt von Sam Berger und Molly Blom zurecht als jene, die den neuen Arne Dahl mit diesem Buch erst kennenlernen. Wer den Vergleich mit Dahls früheren Thrillern über die sogenannte »A-Gruppe« um Paul Hjelm und Kerstin Holm (10 Bände, 1998 bis 2008) oder die von Brüssel aus europaweit operierende opcop-Einheit (4 Bände, 2011 – 2014) sucht, wird vielleicht enttäuscht sein. Der arg konstruiert erscheinende Fall von ›Sechs mal zwei‹ hat wenig, was ihn über eine durchschnittliche Serienkiller-Geschichte hinaushebt.

Aber vielleicht hat sich Dahl – zumindest gibt es ein paar Andeutungen in diese Richtung – für die folgenden Bände noch aufgehoben, was seine früheren Romane nicht nur ausgesprochen spektakulär, sondern auch höchst zeitgemäß erscheinen ließ.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Arne Dahl: Sechs mal zwei
Aus dem Schwedischen von Kerstin Schöps
München: Piper 2017
398 Seiten. 16,99 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe
| Dietmar Jacobsen in TITEL kulturmagazin über Arne Dahl

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Last in Proviant verwandeln

Nächster Artikel

»Bwaaraah« – Karnickel, Klempner und der Wahnsinn

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Big trouble in little Lawrence

Roman | Sara Paretsky: Altlasten

V.I. Warshawski heißt die Detektivin, die die US-amerikanische Autorin Sara Paretsky seit 1983 in bisher 19 Romanen auftreten ließ. Altlasten ist ihr 18. Abenteuer. Diesmal zieht es die Großstädterin in die Provinz des Mittleren Westens. Von DIETMAR JACOBSEN

Hetzjagd auf die Puppe

Roman | Richard Flanagan: Die unbekannte Terroristin Der australische Autor Richard Flanagan ist im deutschsprachigen Raum einem breiteren Publikum erst 2014 durch seinen mit dem Booker-Preis ausgezeichneten Roman ›Der schmale Pfad durchs Hinterland‹ bekannt geworden – ein bedrückendes Werk über die Grausamkeiten in einem japanischen Kriegsgefangenenlager im Grenzgebiet zwischen Thailand und Birma. Nicht minder dramatisch und bedrückend geht es im nun in deutscher Übersetzung erschienenen Roman ›Die unbekannte Terroristin‹ zu, der im Original bereits zehn Jahre alt ist, aber dessen Handlung aktueller denn je wirkt. Von PETER MOHR

Zeit der Reue

Roman | Arnaldur Indriðason: Tiefe Schluchten

Zum dritten Mal macht sich Arnaldur Indriðasons pensionierter Polizist Konráð auf die Suche nach einem verschwundenen Menschen. Wie in den beiden Vorgängerromanen der Reihe - Verborgen im Gletscher (2017, deutsch 2019) und Das Mädchen an der Brücke (2018, deutsch 2020) – wird er auch diesmal von seiner Ex-Kollegin Marta unterstützt. Die ist meist wenig begeistert, wenn sich Konráð in ihre Arbeit einmischt. Doch weil sie diesmal am Schauplatz eines Mordes einen Zettel mit seiner Telefonnummer findet, versucht sie natürlich herauszufinden, was dahintersteckt, ohne zu ahnen, in welche Tragödie ihr Anruf sie und ihren ehemaligen Kollegen verwickelt. Von DIETMAR JACOBSEN

Entführt für einen großen Plan

Roman | Robert Wilson: Die Stunde der Entführer Zum dritten Mal lässt Robert Wilson seinen »Kidnapping Consultant« Charles Boxer aktiv werden. Diesmal werden innerhalb von 24 Stunden gleich 6 Milliardärskinder in London entführt. Über ihre Forderungen schweigen sich die Täter erst einmal aus. Lediglich eine Aufwandsentschädigung von insgesamt 150 Millionen Pfund – je 25 Millionen von jedem der Superreichen aus aller Welt – soll zu einem bestimmten Termin bereitstehen. Damit die Opfer freilich zu ihren Familien zurückkehren können, verlangt man kein Geld, sondern Signale für ein globales Umdenken. DIETMAR JACOBSEN hat Wilsons Die Stunde der Entführer gelesen.

Zwischen den Kriegen

Roman | Krimi | Robert Hültner: Am Ende des Tages Mit Paul Kajetan hat Robert Hültner in seinem neuen Roman Am Ende des Tages eine Figur geschaffen, mit deren Hilfe es ihm gelingt, seinen Lesern das Deutschland zwischen den beiden Weltkriegen zu erklären. Die bisher vorliegenden sechs Romane um den unangepassten Mann, dessen Aufrichtigkeit und moralische Integrität ihm Anfang der 20er Jahre seine Polizeikarriere gekostet haben, verbinden spannende Unterhaltung mit einem facettenreichen Zeitporträt. Allerdings sieht es am Schluss des aktuellen Abenteuers ganz so aus, als wäre es Kajetans letzter Fall. – Von DIETMAR JACOBSEN