/

Der Traum von einer besseren Welt

Krimi | Arne Dahl: Neid

Nach Gier (Piper 2012) und Zorn (Piper 2013) kann man nun mit Neid den dritten Teil von Arne Dahls Serie um die OPCOP-Gruppe auf Deutsch lesen. Erzählt wird, wie um eine Erfindung, die die Welt revolutionieren könnte, ein blutiger Krieg entbrennt. Und trotz aller Zukunftsmusik, die in dem rasant zu lesenden Roman erklingt, bleibt Dahl erfreulicherweise mit beiden Füßen auf der Erde und plädiert für ein Europa, dass sich seiner weltweiten Verantwortung bewusst werden sollte. Von DIETMAR JACOBSEN
Dahl
Arne Dahl ist ein Meister der Exposition. Lässt man sich auf das erste Kapitel eines seiner Bücher ein, hat man kaum mehr eine Chance, vorzeitig von ihm wieder loszukommen. Im nunmehr dritten der geplanten vier Bände um die von einem alten Bekannten, nämlich Paul Hjelm, geleitete, von Brüssel aus europaweit operierende OPCOP-Gruppe ist das nicht anders.

Da fährt der Leser nämlich gemeinsam mit der EU-Umwelt-Kommissarin Marianne Barrière auf »Deutschlands gefährlichster Autobahn«, der A 2, zwischen Helmstedt und Peine, als auf der gegenüberliegenden Fahrbahn ein Tanklaster ins Schleudern gerät und explodiert. Mit den Augen der zu Tode erschrockenen Politikerin blickt man auf das flammende Inferno, das auf alles übergreift, was sich in seiner Nähe befindet.

Bis sich – wie eine Epiphanie – die schwarzen Nebel lichten und ein kleines weißes Auto entlassen, das nicht mit Benzin, sondern mit Strom unterwegs war. Und plötzlich ist die Richtung des Romans, der einen gerade völlig in seinen Bann schlägt, klar: Natürlich wird Marianne Barrière sich künftig für Autos wie dieses stark machen und damit die Wut und den Hass all jener auf sich ziehen, die sich an Produkten, die nicht mehr zeitgemäß sind, nach wie vor eine goldene Nase verdienen.

Flammendes Inferno auf der A2

Weshalb nicht nur die EU-Kommissarin ab sofort gefährlich lebt, sondern auch jene Wissenschaftler, die ihr dabei helfen, den Traum von einer sicheren und sauberen Welt zu verwirklichen. Viel Arbeit für die Angehörigen der OPCOP-Gruppe, die ja genau dazu ins Leben gerufen wurde, solchen und ähnlichen Projekten auf dem Wege zu ihrer Verwirklichung alle möglichen Hindernisse aus dem Weg zu räumen.

Doch die Männer und Frauen um Paul Hjelm haben zunächst ganz andere Probleme. In mühevoller Beschattungsarbeit sind sie nämlich in Amsterdam einem international agierenden Menschenhändlerring auf den Fersen, der die Bettelmafia in ganz Europa mit »menschlichem Material« versorgt.

Zwei Fälle, die der Schwede Dahl auf eine Art und Weise, die nur er im Moment so perfekt beherrscht, miteinander in Beziehung bringt. Denn das Handy, auf dem ein genialer Wissenschaftler sensible Daten gespeichert hat, landet nach einem Mordanschlag an dem Mann ausgerechnet in der Tasche eines blinden jungen Roma, der dabei ist, seinen Peinigern zu entkommen.

Showdown in Brüssel

Es gab eine Zeit – so ab der zweiten Hälfte seines Dekalogs über die noch von Stockholm aus operierende A-Gruppe etwa – als Arne Dahls Romanplots etwas die Bodenhaftung verloren. Da ging es plötzlich jedesmal ums Große und Ganze und dieses Große und Ganze konnte nicht groß und nicht ganz genug sein. Zeitgleich wurden die wunderbaren Figuren, die er – in Thrillern nicht gerade die Regel – mit je eigenen Biografien und Problemen versehen hatte, zu geradezu unverwundbaren Übermenschen. Und weil man weiß, dass einem Superman eigentlich nichts passieren kann, verliert man auch das Interesse an seinen menschlichen Hintergründen.

Spuren der großen Weltverschwörungen, mit denen die A-Gruppe es bei ihren letzten Fällen zu tun bekam, begegnet man auch noch in den beiden ersten OPCOP-Bänden. Mit Neid aber ist der heute 51-jährige Dahl wieder zu unser aller Gegenwart verbundenen Szenarien zurückgekehrt, wenn man davon absieht, dass es wohl noch eine ganze Weile dauern dürfte, bis sich der Traum seiner engagierten EU-Kommissarin mit Leben füllen dürfte.

Allein dass sie ihn träumen und für ihn mit der Unterstützung der OPCOP-Einheit eintreten darf, zeigt aber, dass Dahl bei aller Europa-Kritik die Hoffnung auf einen Staatenbund, in dem man sich für Fortschritt und Gerechtigkeit einsetzt gegen die Macht des Geldes und die Herrschaft undurchschaubarer Lobbygruppen, noch nicht aufgegeben hat. Das mag manchem etwas blauäugig anmuten. Einen Autor, der am Ende eine aufrechte Politikerin und eine Gruppe mutiger Polizisten, die an ihrer Seite kämpft, über alles, was das gegenwärtige Vertrauen in das Projekt »Europa« nicht gerade stärkt, triumphieren lässt, sollte man aber dennoch den Respekt nicht verweigern.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Arne Dahl: Neid
Aus dem Schwedischen von Kerstin Schöps
München: Piper Verlag 2014
510 Seiten. 16,99 Euro

Reinschauen
Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Nervensache

Nächster Artikel

Nazis auf’m Mond

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Drogen per Drohnen

Roman | Zoë Beck: Die Lieferantin Elliot Johnson, von ihren Freunden Ellie genannt, versorgt das London der nahen Zukunft mit Drogen bester Qualität. Ihr Stoff, im Darknet bestellbar, wird per Hightech-Drohnen zum Kunden befördert. ›Die Lieferantin‹ bleibt dabei immer im Dunklen. Doch weil Ellies Geschäftsmodell den traditionellen Straßenvertrieb plötzlich uralt aussehen lässt, kommt Londons Unterwelt natürlich ins Grübeln. Drei Bosse verbünden sich, um die billigere und bessere Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen. Als dann auch noch der Tod zweier Gangster die Szene in Unruhe stürzt, wird es auf den Straßen der englischen Metropole zunehmend unruhig. Von DIETMAR JACOBSEN

Der 100-Millionen-Coup

Roman | Lee Child: Der Ermittler

Die Nachricht sorgte für einige Unruhe. Lee Child will sich nach mehr als 20 Jahren und zwei Dutzend Romanen von seiner Figur Jack Reacher trennen. Da der Ex-Militärpolizist freilich inzwischen an der Schwelle zur Unsterblichkeit steht, soll Childs – der im bürgerlichen Leben den Namen James Grant trägt – Bruder Andrew Grant als Andrew Child Reacher übernehmen und die Saga fortsetzen. Kann das funktionieren? Man wird sehen. Oder auch nicht, sollte der Plan wieder aufgegeben werden. Für seine deutschen Leser wäre das im Übrigen momentan nicht ganz so dramatisch. Denn noch warten drei Reacher-Romane auf ihre hiesige Erstveröffentlichung. Enough time to say Good-bye! Von DIETMAR JACOBSEN

Kommissar Daquin und die Büchse der Pandora

Roman | Dominique Manotti: Schwarzes Gold Nachdem zuletzt in der Ariadne-Reihe des Hamburger Argument Verlages vor allem ältere Bücher von Dominique Manotti erschienen sind, hat man mit Schwarzes Gold nun den jüngsten Roman der erst spät zum Schreiben gekommenen Wirtschaftshistorikerin auf Deutsch herausgebracht (Übersetzerin ist die im Verlag für Lektorat und Produktion verantwortliche Iris Konopik). Er besitzt alle Qualitäten, für die man seine Autorin seit dem Erscheinen ihrer Romane hierzulande rühmt, hat 2016 in Frankreich den Grand prix du roman noir gewonnen und präsentiert mit Théo Daquin eine Hauptfigur, die Manotti-Leser bereits kennen. Von DIETMAR JACOBSEN

Neunköpfige Schlange

Film | Im TV: ›TATORT‹ Hydra (WDR), 11. Januar »Woll’n Sie mit der Türkin wieder vor den Neonazis rumwedeln, ja?« Der Umgang unter den Ermittlern ist direkt, auch Peter Faber nimmt kein Blatt vor den Mund, und man sollte außerdem wissen, dass Nora Dalay und Daniel Kossik seit der Abtreibung eh auseinander sind. Schwierig. Die Stimmung ist im Keller. Nun kommt mit dem Mord an Kai Fischer noch das brisante Neonazi-Thema ins Spiel. Von WOLF SENFF

Der gehörlose Ermittler

Roman | Emma Viskic: No Sound. Die Stille des Todes

Australische Thrillerautoren haben in den letzten Jahren bei uns Konjunktur. Garry Disher, Candice Fox oder Jane Harper (um nur drei der interessantesten zu nennen) – sie alle werden gelesen und haben mit ihren Büchern mehr zu sagen über das Leben auf dem fünften Kontinent, als dass es ab und an auch mal gefährlich werden kann Down Under. Jetzt hat sich eine neue Stimme zum ohnehin schon eindrucksvollen Chor der australischen Kriminalschriftsteller hinzugesellt: Emma Viskic. Von DIETMAR JACOBSEN