Jugendbuch | Johannes Groschupf: Der Zorn des Lammes
Die ersten Schritte ins Erwachsenenleben sind nicht unbedingt leicht, besonders, wenn man ein Trauma aus der Kindheit mit sich herumträgt. Wenn unter den ersten Schritten dann noch ein böse falscher ist, wird es mehr als ernst. Die Heldin in Johannes Groschupfs zweitem Thriller für Jugendliche ›Der Zorn des Lammes‹ muss auf unangenehme Weise erfahren, dass Überleben Nervensache ist. Von MAGALI HEISSLER
Jasmin mag ihren Vornamen nicht und auch nicht das erdrückende Leben bei ihren ewig trauernden Eltern. Getrauert wird um den kleinen Bruder, der vor Jahren beim Baden ertrank. Jasmin fühlt sich mitschuldig, sie hat ein schwaches Herz, was sie am Schwimmen hinderte. Doch nun ist sie neunzehn und will nur eines: fort aus der schrecklichen belastenden Enge. Ihr Ziel ist Berlin, sie hat beim ›Tagesspiegel‹ einen Praktikumsplatz gefunden. Die Eltern sind entsetzt, Jasmin ist das egal, sie geht. Zuerst gibt sie sich einen neuen Namen, Jazz. Dann erkundet sie Berlin. Am liebsten fährt sie mit einem Bus durch die Straßen, immer mit der gleichen Linie. Irgendwann fällt ihr der junge Mann auf, der ein Stück hinter ihr sitzt. Als sie ihn der Kantine des ›Tagesspiegels‹ wiedertrifft, hält sie das für einen Zufall.
Sie irrt sich. Milan, der junge Mann, hat Jazz ausgesucht. Sie liebt ihn, weil er sie liebt, davon ist er überzeugt. Milan hat viele fixe Ideen, die seinen Blick auf die Realität trüben, und er schreckt vor nichts zurück, um Jazz zu besitzen.
Gefrorene Seelen
Groschupfs Geschichte beginnt im Herbst. Er ist golden für Jazz, die von einer selbstbestimmten Zukunft träumt. Eigentlich aber fühlt sie sich schrecklich allein. Sie führt es auf die unbekannte Großstadt zurück, doch ihre Einsamkeit reicht tiefer, der Mangel an echter Beziehung zu Menschen begann schon innerhalb ihrer Familie nach dem Tod ihres Bruders. Obwohl die Mitbewohnerin von Jazz ihr freundlich entgegenkommt und auch die Kolleginnen und Kollegen nichts an der neue Praktikantin auszusetzen haben, lebt Jazz wie abgeschirmt von ihnen, fern, sie beobachtet eher, als dass sie teilnimmt. Sie ist gefangen in sich, was es ihr schwer macht, andere einzuschätzen.
Milan ist ein sehr kranker junger Mann, was er aber nicht erfassen kann. In seiner Krankheit und den daraus resultierenden wirklichkeitsfremden Vorstellungen ist er gleichfalls gefangen, nur macht ihn das äußerst gefährlich. Abwechselnd von ihm und Jazz erzählt, breitet sich in der Geschichte Beklemmung und wachsende Kälte aus, schon lange, bevor die eigentliche Handlung Fahrt aufnimmt. Dass das Schreckliche dann im Winter geschieht, ist ein wirkungsvoller Kniff, das Seelenleben der beiden Hauptfiguren nach außen zu tragen. Am Ende, im nahenden Frühling, bricht das Eis nicht nur um Jazz’ Seele, sondern auch im Wortsinn, ein fulminantes Bild. Das Gleiche gilt für die Illustration von Milans Reaktion mit dem gegenteiligen Motiv, dem Feuer. Das harte Nebeneinandersetzen der Gegensätze steigert ihre Wirkung noch.
Aug in Auge mit dem Entsetzen
Die Geschichte ist kurz, prägnant und versiert erzählt. Groschupf achtet genauestens darauf, die Regungen seiner beiden Hauptfiguren detailliert einzufangen. Nebenfiguren geraten ein wenig zu knapp, hin und wieder rutschen sie an den Rand von Klischees, Jazz’ erfahrene Redaktionskollegin, etwa. Da das Ganze aber zugleich dem noch eingeschränkten Erfahrungshorizont einer Neunzehnjährigen angepasst ist, kann man es hinnehmen. Die eigentliche Schreckensszene ist äußerst genau ausgemalt, als Leserin findet man sich Aug in Auge mit dem Entsetzen wieder. Geschont wird hier niemand.
Eine interessante Variation findet der Autor dann für den Umgang von Jazz mit dem erlebten Schrecken. Das hebt diesen Roman deutlich von anderen Jugendthrillern ab. Grundsätzlich kann man sich wieder einmal wundern, wie gut die klassische Mischung von damsel in distress, psychisch krankem Aggressor und, selbstverständlich, einschlägigen Zitaten aus dem einschlägigsten Buch des Buchs der Bücher, der Offenbarung, immer noch funktioniert. So gesehen scheint die als so hinfällig beklagte Kultur des Abendlands nicht im Mindesten angekratzt.
Das Ergebnis ist hier aber so überzeugend, dass man sich unter dem Blickwinkel einer hochspannenden, ausgezeichnet gemachten Lektüre ganz sicher nicht beschweren kann.
| MAGALI HEISSLER
Titelangaben
Johannes Groschupf: Der Zorn des Lammes
Hamburg: Oetinger Taschenbuch (Klappbroschur) 2014
189 Seiten. 12,99 Euro
Jugendbuch ab 15.