Nicht nur Nixon erlebte sein Watergate

Roman | Ross Thomas: Dann sei wenigstens vorsichtig

Was wäre ein Krimijahr ohne ein neues Buch von Ross Thomas. Na gut, das »neu« sollte man richtig verstehen. Denn erstens ist der amerikanische Autor bereits seit 23 Jahren tot und zweitens stammt sein jetzt erschienener Thriller Dann sei wenigstens vorsichtig aus dem Jahre 1973. Das Adjektiv »neu« indes rechtfertigt nicht nur der aktualisierte deutsche Titel – die Ullstein-Erstausgabe von 1974 hieß Nur laß dich nicht erwischen –, sondern auch die Tatsache, dass man das Buch nun endlich ungekürzt und in einer neuen Übersetzung lesen kann. Alles wie gehabt beim Berliner Alexander Verlag, der sich seit Jahren vorbildlich um das Werk des großen Amerikaners kümmert und inzwischen bereits 19 der alles in allem 25 zwischen 1966 und 1994 erschienenen Ross-Thomas-Romane veröffentlicht hat. Von DIETMAR JACOBSEN

Dann sei wenigstens Vorsichtig - 9783895814761 - 350Bob Woodward und Carl Bernstein – im Film Die Unbestechlichen (im Original: All the President’s Men) 1976 von Robert Redford und Dustin Hoffman verkörpert – hießen die beiden investigativen Washington-Post-Reporter, denen es Anfang der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts gelang, die Hintergründe der sogenannten Watergate-Affäre aufzudecken, in deren Verlauf zum ersten Mal in der US-amerikanischen Geschichte ein Präsident (Richard Nixon) seinen Hut nehmen musste.

Ein einen kleinen Stab von Mitarbeitern beschäftigender Pressemann – der Kolumnist Frank Size – ist es auch, der in Ross Thomas kurz nach dem Watergate-Skandal geschriebenen Roman Dann sei wenigstens vorsichtig die Dinge ins Rollen bringt. Der für seine Spitzzüngigkeit gefürchtete Mann versorgt von Washington aus, wo er sich wie kein Zweiter im Haifischbecken der amerikanischen Politik auskennt, Tag für Tag mehr als 850 Zeitungen mit seinen im »Gott-isses-nicht-furchtbar-Stil« geschriebenen Kolumnen zur Lage der Nation, kleinen Texten, die durchaus in der Lage sind, »in einem Absatz einen Ruf« zu zerstören und den so Erledigten im schlimmsten Fall sogar in den Selbstmord zu treiben.

Der meistgefürchtete Mann in Washington

Warum Size es aktuell auf den bereits am Boden liegenden Ex-Senator Robert F. Ames abgesehen hat, ist dem Historiker und Antikorruptions-Experten Decatur Lucas allerdings nicht ganz klar, als er sich anheuern lässt, um bisher noch nicht ans Licht gekommene schmutzige Geschichten aus dem Leben des nach einer Bestechungsaffäre zurückgetretenen Demokraten zu eruieren. Der lebt nach der Trennung von seiner Frau inzwischen mit einer 27-jährigen Blondine in einer Suite des berühmten Watergate Hotels. An Scheidung freilich denkt er nicht, denn die würde ihn die Millionen kosten, die seine Frau mit in die Ehe gebracht hat.

Doch das Arrangement ist brüchig, was Lucas zunächst daran merkt, dass seine Nachforschungen schnell dazu führen, dass sowohl des Senators Tochter als auch deren Freund, die ihn mit brisantem Material unterstützen wollen, von skrupellosen Killern aus dem Weg geräumt werden. Und nachdem er schließlich mit Glück und Geschick einen Mordanschlag auf sich selbst überlebt hat, ist Thomas‘ Held, der selbst ein höchst unstetes Leben in der amerikanischen Hauptstadt führt, zu einhundert Prozent überzeugt davon, dass er einem für alle Seiten gefährlichen Geheimnis auf der Spur ist.

Ein brisantes Geheimnis

Ein Senator, dem die eigene Frau zum Geburtstag eine runde Million Dollar schenkt, soll sich mit im Vergleich dazu läppischen 50.000 Dollar bestechen lassen haben? Eine schöne junge Frau, auf die jeder scharf ist, lässt sich auf eine Liaison mit einem Jahrzehnte älteren, politisch verbrannten und gesundheitlich angeschlagenen Mann ein? Es sind diese und ähnliche Fragen, die Thomas‘ Held umtreiben und ihn schließlich auf die Spur eines Verbrechens führen, mit dem sich der aus dem Zweiten Weltkrieg heimgekehrte spätere US-Senator für alle Zeiten erpressbar gemacht hat.

Dass Lucas‘ Auftragsgeber Frank Size mit den pikanten Informationen, die ihm sein Angestellter schließlich liefert, nichts anzufangen weiß, weil »ein Krimi« nicht das ist, was er erwartet hat, ist eine der Pointen des Romans. Die zweite besteht darin, dass der Historiker zusammen mit seinem Abschlussbericht auch seine Kündigung einreicht. Genug Schmutz aufgewirbelt, um »irgendwas richtig Mieses« zu finden, soll das wohl heißen. In Zukunft wird der Mann sich nur noch um sein Fortkommen als Geschichtswissenschaftler kümmern und »die giftigen Dämpfe des Großen Sumpfs der Betrügereien […], durch den ich […] gewatet war« so schnell wie möglich vergessen.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Ross Thomas: Dann sei wenigstens vorsichtig
Aus dem amerikanischen Englisch von Jochen Stremmel, durchgesehen von Gisbert Haefs
Berlin: Alexander Verlag 2018
286 Seiten. 20.- Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Allerliebste Petitessen

Nächster Artikel

Meine Freunde lächeln sehen

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Kaputt in Hollywood

Roman | Stewart O´Nan: Westlich des Sunset Westlich des Sunset kann auch jenseits vom Paradies liegen. Kann Einsamkeit, Alkoholsucht, berufliches und familiäres Scheitern bedeuten. So wie in den letzten Lebensjahren des einst glamourösen amerikanischen Autors F. Scott Fitzgerald. Stewart O´Nan widmet sich in seinem neuen Roman wieder einmal minutiös genau dem menschlichen Scheitern, der Desillusionierung und dem torkelnden Sinkflug kurz vor dem Aufprall. Von INGEBORG JAISER

Money, Money, Money

Roman | Ernst Augustin: Gutes Geld (Neuauflage)

Im vergangenen Jahr ist Ernst Augustin 85 Jahre alt geworden. Gefeiert wurde der Schriftsteller damals nicht nur wegen seines Geburtstages, sondern auch wegen seines jüngsten Romans Robinsons blaues Haus. Die todheitere Robinsonade brachte es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises und ihren mittlerweile nahezu erblindeten Verfasser noch einmal in die Feuilletons dieses Landes. Von FLORIAN WELLE

Raus aus dem Stedtl

Debüt | Thomas Meyer: Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse Mit seinem witzigen Debüt Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse leistet der Schweizer Thomas Meyer nicht nur einen Beitrag zur Verständigung zwischen den Religionen. Er gibt vor allem ein kurioses Beispiel für die Anziehungskraft zwischen Männern und Frauen. Meyer erzählt hier die Geschichte eines jungen orthodoxen Juden, der sich trotz mütterlicher Überwachung auf der Suche nach seiner eigenen Identität macht. Und wie immer bewahrheitet sich die Weisheit: Der Weg ist das Ziel. Von HUBERT HOLZMANN

Zynismus statt Hoffnung

Roman │ Heinz Helle: Eigentlich müssten wir tanzen Die Apokalypse, untergebracht im gesellschaftskritischen Surrealismus der Gegenwart: Der 37-Jährige Heinz Helle hat mit seinem zweiten Roman ›Eigentlich müssten wir tanzen‹ ein Werk geliefert, das schockiert mit seiner trockenen Art und Weise, das brilliert mit seiner ausdrucksstarken Kürze und das zum Nachdenken anregt. Zum Nachdenken über die Gesellschaft, über Werte und über eine neue Art der literarischen Endzeitszenarien. Von TOBIAS KISLING

Hornbrillenwürschtl am Kilimandscharo

Roman | Matthias Politycki: Das kann uns keiner nehmen

Der inzwischen 65-jährige Schriftsteller Matthias Politycki – bekannt geworden durch seinen Weiberroman (1997) und Ein Mann von vierzig Jahren (2000) – hat sich zuletzt vor allem als kosmopolitischer Welterkunder betätigt. 2005 war der auf Kuba angesiedelte Roman Der Herr der Hörner erschienen, acht Jahre später entführte er seine Leser in Samarkand, Samarkand nach Usbekistan. PETER MOHR hat Polytickis aktuelle Neuerscheinung gelesen.