Roman | Stewart O´Nan: Westlich des Sunset
Westlich des Sunset kann auch jenseits vom Paradies liegen. Kann Einsamkeit, Alkoholsucht, berufliches und familiäres Scheitern bedeuten. So wie in den letzten Lebensjahren des einst glamourösen amerikanischen Autors F. Scott Fitzgerald. Stewart O´Nan widmet sich in seinem neuen Roman wieder einmal minutiös genau dem menschlichen Scheitern, der Desillusionierung und dem torkelnden Sinkflug kurz vor dem Aufprall. Von INGEBORG JAISER
Die fetten Jahre sind vorbei. Die dekadenten ebenso. Als Francis Scott Fitzgerald im Jahre 1937 zum dritten Mal in seinem Leben in Hollywood Einzug hält, hat er einen Sack voll Schulden, eine schizophrene Ehefrau in einem überteuerten Sanatorium – und jede Menge Eskapaden hinter sich. Als Lohnschreiber bei Metro-Goldwyn-Mayer – in einer von der Stechuhr durchgetakteten Arbeitswelt – soll er verkorkste Drehbücher überarbeiten, modifizieren, aufhübschen.
Eine undankbare Sisyphusarbeit, die der niemals ganz trockene Ex-Alkoholiker nur mit unglaublichen Mengen von aufputschender Coca-Cola und eiserner Willenskraft bewältigt. Doch die versprochenen 1000 Dollar Honorar pro Woche braucht Fitzgerald ganz dringend: zur Finanzierung von Ehefrau Zeldas Aufenthalten in der Psychiatrie und Tochter Scotties Unterbringung im Internat, nicht zuletzt zur Tilgung der immensen Schulden, die ein jahrelanger exzessiver Lebensstil hinterlassen hat.
Flapper-Girl und Slicker
Einst galten Zelda und Scott Fitzgerald als das glamouröse Skandal-Paar der Roaring Twenties, des flirrenden Jazz Age: Zelda als Inbegriff des sportlichen, selbstbewussten, exaltierten Flapper-Girls; Scott als Abbild des unverschämt gut aussehenden, erfolgreichen, sich jedoch ständig selbst überschätzenden Emporkömmlings, der sensationelle Honorare für seine Kurzgeschichten und Erzählungen einstreicht.
Doch Koks und Gin, ausufernde Partys und ständige Eskapaden fordern ihren Tribut. 1930 erleidet die überdrehte Zelda den ersten Nervenzusammenbruch und wird fortan mit der Diagnose Schizophrenie (heutzutage würde man wohl eher Burnout oder eine bipolare Störung vermuten) in zahllosen, sündhaft teuren Sanatorien interniert und durch unmenschliche Behandlungsmethoden vollends zugrunde gerichtet. Die einst geistreiche, humorvolle Südstaaten-Schönheit mutiert zur aufgedunsenen, bibeltreuen Matrone.
Haltloser Sturzflug
Nach Jahren des Vagabundierens ist Scott zwar »anpassungsfähig wie ein Einsiedlerkrebs«, dennoch mit vierzig »durch eine Reihe von Rückschlägen, die er als Pech betrachtete, zu einem Heimatlosen geworden«. Sein Engagement in der Tretmühle von Hollywood wird zur letzten Station in der stetigen Abwärtsspirale seines verschlissenen Lebens. Hier setzt Stewart O´Nans literarische Biographie Westlich des Sunset ein, eine empathische Dokumentation eines unwiderruflichen sozialen Abstiegs, eines haltlosen Sturzfluges.
Hier werden vor uns die letzten drei Lebensjahre des einst grandiosen, jetzt jedoch gänzlich verlorenen und verarmten Schriftstellers Fitzgerald aufgeblättert, ebenso schonungslos wie aussichtslos. Ein letztes Mal bäumt sich Scott auf, geht mit der schillernden Persönlichkeit und ambitionierten Klatschreporterin Sheilah Graham eine Liebesbeziehung ein und scheitert dennoch kläglich als falsche Person am falschen Ort. »Er war ein armer Junge aus einem reichen Viertel, ein Stipendiat im Internat, ein Mittelwestler im Osten, ein Oststaatler im Westen.« Und Sheila, die eigentlich Lily Shiel heißt und aus schäbigen Verhältnissen stammt, gibt in einem schwachen Moment ärgerlich zu verstehen: »Ich habe mich nicht aus der Gosse hochgearbeitet, um mein Leben an Dich zu verschwenden.«
Diesseits vom Paradies
Stewart O´Nans biographischer Roman entmythisiert den großen Fitzgerald. Sie zeigt ihn als mürbe gewordenen, heruntergewirtschafteten, von Alkohol, Tuberkulose und Herzattacken geschwächten Anfangsvierziger, der sich in unmodische Anzüge aus besseren Zeiten zwängt und nur zögerlich realisiert, dass er nicht mehr an seine frühen Erfolge anzuknüpfen vermag. Westlich des Sunset gibt dazu ein beinahe realistisches Szenario ab, eine Abfolge von imaginären Bühnenbildern aus Hollywoods Drehbuchwerkstätten, mondänen Clubs und endlosen Überlandfahrten.
Die Faszination liegt in der Überfülle an Details, wobei doch das allzu eifrige Namedropping auf die Dauer ermüdet. Dorothy Parker, Ernest Hemingway und Humphrey Bogart – und viele Stars und Literaten mehr! – geistern beharrlich durch diesen Roman, ohne bleibend Kontur oder Form anzunehmen. Dennoch legt diese biographische Annäherung reizvolle Fährten aus, die nicht zuletzt zur neuerlichen Lektüre von Fitzgeralds Romanen und Storys verführen.
Titelangaben
Stewart O´Nan: Westlich des Sunset
Aus dem Englischen von Thomas Gunkel
Berlin: Rowohlt 2016
412 Seiten. 19,95 Euro
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