Im vergangenen Jahr ist Ernst Augustin 85 Jahre alt geworden. Gefeiert wurde der Schriftsteller damals nicht nur wegen seines Geburtstages, sondern auch wegen seines jüngsten Romans Robinsons blaues Haus. Die todheitere Robinsonade brachte es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises und ihren mittlerweile nahezu erblindeten Verfasser noch einmal in die Feuilletons dieses Landes. Von FLORIAN WELLE
Für einen kurzen Moment schien es, als sollte der »ewige Geheimtipp der deutschen Literatur« (Augustin über Augustin) im hohen Alter doch noch seinen Status verlieren. Selbstverständlich ist Ernst Augustin bis heute ein writer’s writer geblieben
Hand aufs Herz: Daran wird auch die Neuauflage des 1996 bei Suhrkamp erschienenen Romans Gutes Geld nichts ändern. Der C.H. Beck Verlag hat den leichthändig geschriebenen Falschmünzer-Roman in seinem Jubiläumsjahr auf den Weg gebracht, sodass jetzt das Gesamtwerk des wundervollen Satirikers komplett vorliegt. Endlich. Zu Augustins 80. Geburtstag hatte der Verlag bereits einen schön aufgemachten Schuber mit acht Bänden veröffentlicht.
Darin zu finden ist auch Der Künzler am Werk. Das Bändchen enthält die größtenteils für Zeitungen verfassten Erzählungen Augustins. Nach 1996 geschrieben, beziehen sich viele von ihnen direkt oder indirekt auf Gutes Geld. Parallel zum Roman gelesen, erlauben diese Satellitentexte nun einen neuen Zugang zu dem bald zwanzig Jahre alten Werk. So schildert der Text Die Versuchung des Augustin seine ganze Entstehungsgeschichte: Augustin, lange Zeit als Arzt und Psychiater tätig, sollte eines Tages ein Gutachten über einen 80jährigen Betrüger erstellen. Dieser entpuppte sich im Gespräch als Geldfälscher. Was ihn allerdings von seinesgleichen fundamental unterschied, war sein Berufsethos. Augustin saß kein einfacher Krimineller, sondern ein Künstler gegenüber, dem es immer nur um »beste Qualität« ging.
Man tut gut daran, Gutes Geld als Künstlerroman zu lesen. Präziser: Als philosophischen Künstlerroman. Am Ende wartet auf den Leser eine abgründige Pointe. Mit einigem Recht könnte man sie existenzialistisch nennen. Denn nicht nur, dass Onkel Augustin Fajngold, von dem uns nach dessen Tod aus der Sicht seines Neffen Karl berichtet wird, immer wieder den »schwärzesten Gedanken« nachhängt. Sondern der »Onkel von der traurigen Gestalt« muss letztlich erkennen, dass er nur blütenreines »l’art pour l’art« hergestellt hat.
Das Buch ist ein einziges Vexier. Jeder gibt hier jedem Rätsel auf und legt mit diebischer Freude falsche Fährten. Ernst Augustin narrt uns Leser. Genauso wie die Romanfigur Augustin Fajngold den Neffen. Onkel Augustin hat auf akrobatisch-sprunghafte Weise seinen finalen Abgang inszeniert: Unfall oder Selbstmord? Das ist hier nicht die einzige Frage. Nun nimmt sich Alleinerbe Karl der letzten Dinge an und stellt bald fest, dass die Erbschaft noch viel raffinierter versteckt ist als das Testament zuvor. Das lag offen auf dem Schreibtisch des Onkels – ein Trick, bekannt aus der Literatur. In Edgar Allan Poes Der entwendete Brief wird das so beschrieben, der französische Denker Lacan hat darüber dann philosophiert, und in Gutes Geld schreibt Ernst Augustin schlicht: »Symbolisch.« Es ist nicht die einzige intertextuelle Anspielung des Buches.
Man übertreibt nicht, wenn man den verstiegenen Onkel – wir müssen ihn uns als eine Mischung aus Rembrandt, Don Quijotte, Molières Misanthrop und Charakterzügen des Autors Ernst Augustin vorstellen – einen pathologischen Fall nennt. Das Haus, in dem er wohnt, gleicht einem Hochsicherheitstrakt, überall Riegel, Blenden, Vexierschlösser. Nichts ist so, wie es scheint. »Neben der Haustür«, heißt es an einer Stelle, »Namensschilder mit Klingeln: Mauser, Hartenberg, Kalanke und Fajngold. Wovon die ersten drei fiktiv waren, ich darf das einmal vorausschicken, niemand wohnte dort, und die Klingeldrähte endeten blind, eine Eigenheit des Onkels, der noch mehr solcher Irreführungen installiert hatte […]«.
Wer einmal die Gelegenheit hatte, Ernst Augustin zu besuchen, der weiß, dass die Beschreibung von Fajngolds Haus keine Fiktion ist. Gesetzt den Fall, der Hausbesitzer öffnet die Tür, kommt man zwar in das Gebäude hinein, hinaus jedoch gelangt man nicht mehr so leicht. Türen führen bei dem Schriftsteller ins Nichts oder sind mit einem Schnappmechanismus ausgestattet. Für Ernst Augustin macht erst die Architektur den Menschen zu einem Menschen. In jedem seiner immer auch autobiografisch eingefärbten Romane von Raumlicht: Der Fall Evelyne B. über Eastend bis zu Robinsons blaues Haus spielt sie eine zentrale Rolle. In Gutes Geld steht: »Ein Haus ist wie ein Mensch, Zimmer und Gänge entsprechen seinen Innenräumen, er meinte es geistig. Nun ja. Danach hätte der Onkel ein allerdings etwas verbautes Inneres gehabt.«
Nichts ist so, wie es scheint, in dem doppelbödigen Roman. Das gilt nicht nur für Onkel Augustins Haus. Der alte Exzentriker führt hinter einer bürgerlichen Fassade eine exquisit kaschierte Doppelexistenz als »Meister der kleinen Scheine«. Gutes Geld: Ein meisterliches Schelmenstück, an dessen Ende auch der Leser im Besitz des Geheimnisses des Wasserzeichens ist. Wie einst der Arzt und Psychiater Ernst Augustin, nachdem er den echten Geldfälscher begutachtet hatte.
Ttitelangaben
Ernst Augustin: Gutes Geld
München: C.H. Beck Verlag 2013
184 Seiten, 19,95 Euro
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