»Er ging schonungslos mit seinem Leben um und liebte nichts und niemanden«, heißt es vollends zutreffend über die durch und durch unsympathisch gezeichnete Hauptfigur Kristian Hadeland in Karl Ove Knausgårds neuem Roman Die Schule der Nacht. Von PETER MOHR
Knausgårds literarischer Output ist bewundernswert, er schreibt seit mehr als 15 Jahren wie ein Uhrwerk. Während der Corona-Pandemie hatte der 56-jährige norwegische Erfolgsautor eine neue Romanreihe begonnen. Der Morgenstern (2022) war der erste Band mit knapp 900 Seiten Umfang, 2023 war Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit mit kapitalen 1050 Seiten erschienen.
Knausgårds in 35 Sprachen übersetzte und vielfach ausgezeichnete Bücher sind für den Leser ganz schwere Kost und eignen sich nicht für die Lektüre zwischendurch. Die kapitalen Umfänge und die ausfransenden Handlungsstränge erfordern jede Menge Ausdauer. Je tiefer man in die Romane eindringt, umso anstrengender wird es.
Nun wird die Geschichte von Aufstieg und Fall eines Fotografen erzählt, der die Kunst revolutionieren und ihre ästhetischen und moralischen Grenzen überschreiten will. Tod und Vergänglichkeit sind seine bevorzugten Sujets und haben ihn zu einem international anerkannten Künstler werden lassen. Er wird als »Porträtist des Todes« hymnisch gefeiert, und für seine Bilder werden Millionen gezahlt.
Die Hauptfigur ist von einer Ausstellung aus New York zurückgekehrt und zieht sich auf eine entlegene norwegische Insel zurück. Dort will Hadeland seine Erinnerungen aufschreiben – an seine Kunst und an sein Leben, was bisweilen kaum voneinander zu trennen ist. Dann will er seinem Leben ein Ende setzen. Protagonist Kristian Hadeland ist ein introvertierter Einzelgänger, empathielos, egozentrisch und manisch ehrgeizig. Menschliche Nähe ist nicht seine Sache. Seine größte Freiheit ist die selbstgewählte Abgeschiedenheit.
Als junger Kunststudent hatte Hadeland einst versucht, in London Fuß zu fassen – radikal und schockierend. Eine der Schlüsselszenen des Buches kreist um einen Heimatbesuch bei den Eltern in Norwegen. Am Heiligen Abend unternimmt eine seiner beiden Schwestern einen Selbstmordversuch – Kristian zeigte keinerlei emotionale Regung und zückte stattdessen die Kamera und fotografierte. Als Künstler sah er seine »Zukunft im Monumentalen«. Offenbar ist ein egozentrischer Selbstverwirklichungsdrang nötig, um in der Kunstwelt für Furore zu sorgen, denkt Knausgårds Hauptfigur. Um seinen Wunsch, eine skelettierte Katze abzulichten, zu realisieren, kocht er einen gestohlenen Kadaver stundenlang, um das Fleisch von den Knochen zu lösen. Das ist wahrlich nichts für zartbesaitete Geister.
Äußerst akribisch lässt Knausgård seine Hauptfigur erinnern und beschreiben, z.B. welche Musik sie mag und wie die Schallplatten archiviert und sortiert sind. Es dreht sich fast alles um Kunst und vor allem die tiefen Abgründe eines exzessiven Künstlertums. 2019 war der Norweger als Poetik-Dozent in Tübingen zu Gast und hatte dort zwei Vorlesungen über Romantheorie unter dem bezeichnenden Titel »Der Roman ist die Form des Teufels« gehalten. Das in die Handlung integrierte »Faust«-Motiv lässt den Roman über Gebühr ausschweifen. Als junger Mann soll der Fotograf in London einen Obdachlosen erschlagen haben und wird seitdem von einem geheimnisvollen Mephisto mit Fotomaterial erpresst. Ist der hoffnungslose Egozentriker Täter oder Opfer? Ist er ein großer Künstler oder ein hemmungsloser Selbstinszenierer? Gibt es moralische und ästhetische Grenzen in der Kunst? Quälende Fragen, für die (vermutlich) jeder Leser andere Antworten finden wird. Die Schule der Nacht ist ein endloser, sich selbst befruchtender Gedankenstrom. Ein Buch so anstrengend wie eine Gebirgswanderung. Manchmal wird auch bei der Lektüre die Luft kurz vor dem Ziel dünn. Nur die fantastische Aussicht vom Gipfel wird diesmal wegen all zu vieler prätentiöser Schlenker etwas vernebelt.
Titelangaben
Karl Ove Knausgård: Die Schule der Nacht
Aus dem Norwegischen von Paul Berf
München: Luchterhand 2025
665 Seiten. 28 Euro
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