Comic | Internationaler Comic Salon Erlangen 2014: Auf der Suche nach dem deutschen Genrecomic, Teil 3
Zeichner Felix Mertikat und Autorin Verena Klinke stellten in Erlangen den mittlerweile dritten Band ihrer eigenwilligen, atmosphärischen »Steampunk«-Erzählung ›Steam Noir‹ vor, unter anderem mit einer multimedialen Lesung und einer kleinen Ausstellung in einer Scheune, die zu finden den Autor dieser Zeilen drei Anläufe gekostet hat.
Zu sehen waren u.a. frühe Entwürfe der Figuren aus der ›Schollenwelt‹ – einem Universum, in dem die Erde auseinandergebrochen ist und sich fliegende Inseln durch den Äther bewegen. Und manchmal, wenn die Blinden Tage kommen und die Toteninsel Vineta den Kurs einer Scholle kreuzt, kehren die Seelen auf die Welt zurück.
Das Cover ziert dann auch die traurige Gestalt des aus dem Jenseits zurückgekehrten Leander, dem in diesem Album dann auch die melancholischsten und ergreifendsten Augenblicke gehören. Damit mausert er sich zur heimlichen Hauptfigur.
Der vom Sterben des eigenen Sohnes besessene Bizarromant Heinrich Lerchenwald muss allerdings ebenso schwere Prüfungen bestehen und gewichtige Entscheidungen treffen. Der dritte Band der Reihe setzt viel auf Emotionen und die Auserzählung der inneren Beweggründe seiner Protagonisten, erzählt aber parallel mit einem Ausflug von Frau D in das Ghetto von Aurich auch den Strang um die düsteren Machenschaften des Leonardsbunds weiter, der daran arbeitet, die zurückgekehrten Seelen zu vernichten. Die Saat für den Showdown im vierten Band ist gelegt.
Als erste Eigenproduktion des ›Cross Cult‹ Verlags und eine der wenigen funktionierenden Fantasywelten, die nicht nur hier geschrieben wurden sondern auch in einer parallelen Version von Deutschland spielen, ist ›Steam Noir‹ eine Ausnahmeerscheinung auf dem hiesigen Comicmarkt. BORIS KUNZ, der sich in diesem Jahr besonders dafür interessiert hat, was das Geheimnis guter, erfolgreicher deutscher Genrecomics sein könnte, hat sich zu diesem Zweck mit Verena Klinke und Felix Mertikat getroffen, der aus dem Trubel der Messehalle in das ruhige Hotelfoyer geflüchtet ist, um dort in Ruhe weitere Alben signieren und mit liebevollen Zeichnungen versehen zu können.
Das Team von Steam Noir im Gespräch
Ich beginne mit der obligatorischen Frage zur Entstehungsgeschichte eures Comics. Eigentlich liegen die Wurzeln in einem Spiel, richtig?
Verena Klinke: Ja, in einem Pen & Paper-Rollenspiel.
Felix Mertikat: Das heißt ›Opus Anima‹ und ist 2008 erschienen. Es war eine Produktion mit ›Prometheus-Games‹. Gleichzeitig hatten Benjamin Schreuder und ich uns damals mit dem Comic Jakob bei ›Cross Cult‹ beworben, und da habe ich das ›Opus Anima‹-Buch mitgenommen, um einfach zu zeigen, dass wir auch in der Lage sind, Bücher fertig zu machen …
Klinke: Man muss dazu sagen, dass das ein 400 Seiten starkes Buch ist, mit Beschreibung der Welt, mit Illustrationen, mit den Spielregeln …
Mertikat: Man kann sich das übrigens im Internet auch kostenlos runterladen, als komplettes 400-seitiges PDF. Der Deal mit ›Cross Cult‹ war damals jedenfalls: Sie wollten ›Jakob‹ rausbringen, wenn wir danach aus Opus Anima einen Comic machen. So ist ›Steam Noir‹ entstanden.
Ihr habt allerdings auch alle beide einen Hintergrund als Filmemacher.
Klinke: Felix hat an der Filmakademie in Ludwigsburg studiert. Ich war nur für ein Jahr Praktikum dort, weil ich mich eigentlich für Regie bewerben wollte. Ich habe aber schon während des Praktikums gemerkt, dass Regie nicht das Richtige für mich ist, sondern eher das Schreiben. Dann habe ich noch ein Jahr Germanistik und Anglistik studiert, habe das aber abgebrochen, weil ich so viele Chancen auf gute Projekte hatte, und ich einfach praktisch arbeiten wollte.
Mertikat: Ich habe an der Filmakademie bis 2010 Animation studiert und mit Jakob meine Abschlussarbeit gemacht.
An dieser Stelle nähert sich ein schüchterner junger Mann und fragt – dann doch nicht ganz so schüchtern – nach dem Verbleib seines signierten Exemplars. Schnell stellt sich heraus, dass Felix Mertikat das Album des Fans schon längst signiert hat, und dieser es bei seiner Schwester abholen kann. Der junge Mann zieht zufrieden von dannen und das Interview geht weiter.
Und was hat euch dann für das Medium Comic begeistert?
Mertikat: Bei mir war der Weg so: Ich hatte Film studiert und sollte eine Abschlussarbeit machen, habe aber gemerkt, dass ich als Zeichner im Filmemachen nicht wirklich meine Erfüllung finde. Deswegen dachte ich mir: Ich könnte jetzt als Diplomarbeit ein Storyboard- und Concept Art-Portfolio abgeben, oder ich erzähle eine Geschichte und mache das eben in Comicform. Ich wollte allerdings nie Comiczeichner werden, sondern Zeichner für Illustrationen. Deswegen habe ich zwar ›Jakob‹ als Diplomarbeit gemacht, hatte aber nicht vor, danach noch weiter Comics zu machen. Dann kam aber dieses Angebot von ›Cross Cult‹, und schon war ich im Comic.
Läuft Steam Noir denn so gut, dass es für euch in dieser Richtung weitergehen kann?
Klinke: Es läuft schon sehr gut, vom ersten Band ist bereits die zweite Auflage erschienen. Für eine deutsche Eigenproduktion – übrigens auch die erste Eigenproduktion von ›Cross Cult‹ – ist das schon sehr gut. Nur denken viele Leute immer, wenn ein Comic gut ankommt, hieße das, dass wir jetzt wahnsinnig viel Geld verdienen. Das ist nicht der Fall, weil der Comicmarkt in Deutschland eben sehr klein ist. Aber für die hiesigen Maßstäbe läuft es sehr gut, es gibt eine treue Fanbasis, die jeden neuen Band kauft und uns immer wieder bei Signierstunden besucht, auch wenn sie vielleicht schon alle Bände besitzen. Für unsere Welt hat sich inzwischen tatsächlich eine kleine Community aufgebaut.
Inzwischen haben wir ja zum Beispiel auch ein Kartenspiel, das nicht von uns entwickelt wurde, sondern von Daniel Danzer aus Stuttgart. Der hat passende Illustrationen für ein Spiel gesucht und ist auf Felix aufmerksam geworden, und dann gab es plötzlich ein ›Steam Noir‹ Kartenspiel, weil unsere Welt gut zur Geschichte gepasst hat, die das Kartenspiel erzählt. Da gibt es viele Leute, die das verfolgen, und soweit ich das einschätzen kann, ist der Verlag auch mit den Verkaufszahlen ganz glücklich. Das heißt aber nicht, dass wir Auflagen von 20.000 erreichen würden.
Jeden Tag ein neues Stück Welt
Das Kupferherz soll mit dem vierten Band abgeschlossen werden. War die Story von Anfang an auf vier Bände ausgelegt?
Klinke: Mit dem vierten Band ist unsere Geschichte abgeschlossen, nicht aber die Welt von Steam Noir, da könnte man weitererzählen.
Mertikat: Ursprünglich war die Serie auf zwei Bände ausgelegt, und dann hat der Verlag gefragt, ob es nicht möglich wäre, es auch über vier Bände zu erzählen, um eine etwas länger laufende Serie zu haben. Dann gab es auch noch den Autorenwechsel zwischen Benjamin und Verena, die sich dann noch einmal zur Aufgabe gemacht hat, die Story neu zu strukturieren und die vier Bände anders auszufüllen.
Klinke: Es gab im ersten Band bewusst die Entscheidung, den Leuten nicht erst einen Einführungstext über die Welt von ›Steam Noir‹ hinzuknallen, sondern die Welt nach und nach im Verlauf der Geschichte zu erklären, weshalb man eine längere Einführung brauchte. Deswegen war die Entscheidung gut, vier Bände daraus zu machen. Würde man die Welt schon gut kennen, hätte die Story um das Kupferherz auch in drei Bänden funktionieren können. So hatten wir aber auch viel Raum für atmosphärische Szenen, für Hintergründe.
Das gibt dir als Autorin auch mehr Raum, bei der Figurenentwicklung etwas mehr in die Tiefe zu gehen. Man merkt dem dritten Band schon an, dass ihr eher ausführlich erzählt.
Klinke: Der dritte Band ist deswegen so ausführlich, weil die Figuren am Anfang nicht so stark eingeführt worden sind, wie ich persönlich das im ersten Band gerne gemacht hätte – da war ich ja noch nicht involviert. Deswegen habe ich mich entschieden, jetzt im dritten Teil, wo eine kleine Ruhepause in der Geschichte eintritt, die Figuren noch etwas tiefergehend zu beschreiben. Es ist aber tatsächlich so, dass der hohe Textgehalt Leute abschreckt. Wir haben aber bewusst so erzählt, dass man als Leser verweilen und die Szenen länger auf sich wirken lassen kann: Die gedämpfte, nächtliche Stimmung, die Zweifel der Figuren an dem, was sie tun.
Mertikat: Unsere Story entsteht ja auch allein aus den Figuren heraus. Es ist also nicht so, dass die Dialogszenen und die Figurenzeichnung die Handlung aufhalten, sondern unsere Charaktere lösen dadurch die Handlung ja überhaupt erst aus. Wenn man die Motivationen der Figuren nicht versteht, dann versteht man auch die Handlung nicht. Manchmal gibt es dieses Missverständnis, es müsse einen übergeordneten Plot um den Kampf gegen einen ungreifbaren Bösewicht geben. Bei uns variiert es in den Figuren, wer der Protagonist und wer der Antagonist ist. Dadurch entstehen bei uns die Energie und auch die Vollendung der Geschichte im vierten Band.
Wie viel von der Geschichte stand denn fest, als Verena als Autorin übernommen hat? War der erste Band schon geschrieben?
Klinke: Richtig. Damit stand fest, welche Figuren wir in der Geschichte haben, aber im Ablauf der Geschichte habe ich noch einmal sehr viele Änderungen vorgenommen. Auch das Ende war anders geplant. Ich habe die einzelnen Stationen der Geschichte neu zusammengesetzt und eine neue Konstellation entwickelt. Wenn Benjamin das jetzt lesen würde, würde er einzelne Elemente wiedererkennen, aber eine andere Struktur vorfinden. Natürlich bin ich allem treu geblieben, was im ersten Band angelegt war. Trotzdem ist die Geschichte bei mir noch einmal zu etwas Neuem und Eigenem geworden.
Die Regeln der Welt waren aber schon klar?
Klinke: Richtig, und an ihrer Entstehung war ich ja auch schon beteiligt, weil ich die Anhänge für den ersten Band geschrieben habe. Schon bei ›Opus Anima‹ habe ich mit Felix zusammen an der Welt gearbeitet und kannte daher den ganzen Hintergrund schon. Je weiter man allerdings kommt in der Geschichte, um so mehr Details muss man sich auch immer neu ausdenken. Die großen Regeln sind gemeinsam entstanden, aber jetzt entsteht jeden Tag ein neues Stück dieser Welt.
Ihr habt euch sehr dezidiert für eine deutsche Fantasywelt mit deutschen Namen entschieden…
Mertikat: Auch das stammt noch aus ›Opus Anima‹. Da haben wir sogar ein fiktives Deutschland erfunden, in dem wir die Namen noch deutscher gemacht haben, als man sie in Wirklichkeit kennt. Wir haben zum Beispiel alle christlichen Namen rausgelassen. Es gibt bei uns keinen Christian, keine Maria und keinen Josef. Dafür haben wir z.B. aus Johannes »Johander« gemacht, oder »Manfeld« aus Manfred. Wir hatten eine ganze Tabelle mit solchen Namen wie »Thomen Lispergeber«. Diese alten deutschen Namen mochten wir einfach.
Mertikat: »Steampunk« ist sonst sehr englisch und spielt meistens auch in London 1880, sodass sich viele der Geschichten im Setting völlig gleichen. Wir haben uns für Deutschland 1890 entschieden. Wir haben zwar Französisch noch mit hineingenommen als Sprache, aber auf Englisch weitgehend verzichtet.
Klinke: Es werden zwar einmal Leute mit »Ladies & Gentlemen« begrüßt, aber das hat einen bestimmten Grund, der sich erst im vierten Band erschließt. Wir achten auf jeden Fall sehr auf den Umgang mit der Sprache und haben uns für ein deutsches Universum entschieden, weil wir ja selbst aus Deutschland kommen. Da verbindet uns einfach mehr mit Deutschland 1900 als mit Großbritannien 1900.
Mertikat: Ich glaube auch, dass ein Amerikaner oder Engländer von einem Deutschen keine Geschichten über Amerika oder England erzählt bekommen möchte, das interessiert die nicht. Wir erzählen eine alternative Geschichte aus Deutschland, weil wir das können, weil wir da ein Verständnis haben für die historische Entwicklung. Ich glaube, das kann im Ausland auch wieder Interesse wecken, weil es keine schlechte Kopie einer fremden Kultur ist. So ist es doch auch bei den Mangas: Die sind nicht deswegen erfolgreich, weil sie amerikanische Geschichten nacherzählen, sondern weil sie japanische Geschichten erzählen. Das finden wir Europäer dann total exotisch.
Klinke: Ich finde es auch interessant zu sehen, wie unser deutsches Setting gerade auch bei deutschen Lesern echt gut ankommt, weil sie so etwas nicht gewohnt sind.
Gibt es denn das Bestreben, Steam Noir auch ins Ausland zu bringen?
Mertikat: Es gibt schon ein Angebot aus Frankreich, und auch Spanien hat Interesse bekundet.
Klinke: Interesse gab es sogar aus China. Aber wir haben uns entschieden, erst nach dem vierten Band in die Verhandlungen zu gehen. Dann weiß jeder, dass die Geschichte abgeschlossen ist, und wir haben bei unserer Arbeit nicht noch den Zeitdruck von einem ausländischen Verlag.
Wenn´s raucht, funktioniert´s!
Seid ihr denn selbst richtige »Steampunk«-Fans? Habt ihr da auch Vorbilder?
Mertikat: Ich mag den Film ›Lemony Snicket – Rätselhafte Ereignisse‹ sehr gerne. Das ist jetzt nicht »Steampunk«, aber ich mag die skurrile Anmutung. Ansonsten muss man ja sagen, dass der »Steampunk« mehr eine »Selbstmach-Bewegung« ist, die weniger mit Büchern und Filmen zu tun hat als mit einer gewissen Idee von alternativer Technologie. Es gibt da sehr viele Bücher und Filme, die an diese Idee leider gar nicht heranreichen.
Klinke: Ich mag die ganzen »Steampunk«-Konstruktionen, die es inzwischen gibt. Eine Computertastatur, die aussieht wie von vor 100 Jahren – von so etwas bin ich ein großer Fan. Ich habe mir natürlich viele Bücher und Filme angesehen, stoße da aber auch auf viele Sachen, die mir überhaupt nicht gefallen – wie zum Beispiel ›Wild Wild West‹ mit Will Smith, den finde ich grausam. Ich glaube auch, dass es ganz gut ist, in diesem Bereich keine konkreten Vorbilder zu haben, weil wir damit unser eigenes Ding durchziehen. Natürlich machen wir »Steampunk« und das wird auch als solches beworben, aber es müssen jetzt nicht unbedingt überall Zahnräder rein, damit es »Steampunk« ist.
Mertikat: Das einzige Zahnrad, das wir haben, ist vorne auf dem Cover.
Klinke: Weil der Schriftzug des Covers natürlich eine Marketingentscheidung war. Da verwendet man dann schon Elemente, für die »Steampunk« einfach bekannt ist.
Wenn ihr jetzt neue Gerätschaften erfindet, denkt ihr euch dann auch deren Funktionsweise genau aus oder orientiert ihr euch an ästhetischen Gesichtspunkten?
Mertikat: Der Vorteil am »Steampunk« ist: Solange ein Schornstein dran ist, aus dem Dampf rauskommt, funktioniert die Maschine. Das ist die anerkannte Regel – eine Übereinkunft zwischen Autor, Zeichner und Leser.
Klinke: Ich erlebe allerdings schon, dass Felix sehr durchdacht an die Designs herangeht. Er macht sich auf jeden Fall viele Gedanken, wie die Maschinen funktionieren könnten.
Mertikat: Das natürlich, trotzdem gibt es auch einen »Magic-Faktor«: Die Dinge funktionieren, wenn man einfach voraussetzt, dass das mit der Energiequelle wirklich hinhaut und man Roboter tatsächlich auf Dampfbasis betreiben kann. Das ist natürlich offensichtlich unrealistisch, während ich die reine Bauweise natürlich darauf auslege, dass es unter dieser Prämisse funktionieren würde.
Klinke: Das gilt auch für unsere Wissenschaft, also die Bizarromantie, wo es um die Seelen geht, die aus dem Totenreich zurückgekehrt sind. Es gibt dann auch Geräte wie den Globengraphen, mit dem die Bizarromanten die Spuren dieser Seelen aufnehmen können. Dazu braucht es allerdings ein Salz, das wir erfunden haben. Das wird in der Welt von ›Steam Noir‹ abgebaut, und damit kann man den Globengraphen betreiben. Gäbe es dieses Salz und hätte es die Eigenschaften, die wir ihm geben, dann würde das alles funktionieren.
Wie arbeitet ihr zusammen? Wer entscheidet über die Seitenaufteilung?
Klinke: Da haben wir einen sehr beweglichen Prozess. Darum ist es gut, dass wir auch im gleichen Studio sitzen und räumlich nah beieinander arbeiten können. Bei den neuen Bänden kennen wir ja jetzt schon beide die Story sehr gut, die Szenen für den vierten Band existieren seit über zwei Jahren. Jetzt gehe ich dran, das zu schreiben, zeige Felix meine erste Fassung, der kommt dann schon auf Ideen für Panels und macht erste Skizzen, während ich weiter an den Dialogen feile. So gleicht man das immer mal wieder ab und kommt gemeinsam auf weitere Ideen, bis das Storyboard fertig ist, Felix die finalen Zeichnungen macht und ich noch einmal final über die Dialoge gehe, ob die irgendwo noch uriger werden können.
Vom Internet in die Wüste
Habt ihr denn schon Nachfolgeprojekte, über die ihr sprechen könnt?
Mertikat: Es gibt jetzt keinen Nachfolger, sondern eher einen »Zwischenfolger«: Das ist das ›Netwars‹-Projekt, eine Auftragsarbeit für die Berliner Produktionsfirma ›Filmtank‹, in die wir irgendwie so reingestolpert sind. Das ist ein eComic mit drei Episoden. Die erste davon kann man inzwischen schon als App für die meisten mobilen Geräte kaufen. Da sind Verena und ich wieder als Autor und Zeichner dabei, haben allerdings diese Welt nicht mit erfunden, haben aber ab Episode Zwei die Geschichte stark beeinflusst und umgeschrieben.
Klinke: Die erste Episode habe ich nur bearbeitet und betreut, ab der zweiten schreibe ich selbst. Felix hat alle Episoden aber komplett gezeichnet. Die Geschichte spielt in der nahen Zukunft, es geht um eine Gruppe von Hackern, die Sicherheitslücken in Systemen aufspüren. Die spielen ein sogenanntes Wargame, das eskaliert und in die Realität übergreift. Alles dreht sich um das Thema Cyberwar.
Mertikat: Nach ›Steam Noir 4‹ folgt dann unser neues Projekt ›Koshu‹. Der Grundgedanke ist relativ einfach: Eine riesengroße Wüste mit einer Karawane, die die einzige Verbindung zwischen den Städten bildet. Man kann nur mit dieser Karawane von A nach B reisen. Und unsere Hauptfigur Suana gerät in diese Karawane und wird mit ihr ein Jahr herumreisen müssen, bevor sie nach Hause zurückkehren kann. Das ist das Setting.
Unser Ziel ist es, diesen Comic in der Öffentlichkeit zu entwickeln, das heißt, wir begleiten den Prozess per Video und auf Facebook und dokumentieren den Entstehungsprozess, sodass die Fans daran teilnehmen können. Außerdem sind andere Künstler dazu aufgerufen, sich zu beteiligen und diese Welt zu beleben. Während wir uns um die Handlung des Comics kümmern, können mehrere Leute an der Welt mitarbeiten. Damit haben wir jetzt schon angefangen und wollen das nach ›Steam Noir‹ dann weiter betreiben.
Wann soll ›Steam Noir 4‹ erscheinen?
Klinke: Ende des Jahres. Wir wollen es auf jeden Fall noch dieses Jahr durchziehen, aber einen genauen Monat können wir jetzt noch nicht nennen.
Macht es für dich, Felix, einen großen Unterschied, ob du an einem Comicalbum arbeitest oder für einen eComic?
Mertikat: Das macht einen gewaltigen Unterschied. Bei ›Netwars‹ gibt es nämlich keine Seitenaufteilung. Es gibt nur Einzelbilder, die dann weitergescrollt werden. So steht jedes Panel für sich alleine. Das ist ein ganz anderes Lesegefühl als eine Comicseite. Allerdings ist ›Netwars‹ für Neueinsteiger in den Comic sehr viel einfacher anzugehen, weil man wie beim Film ein Bild nach dem anderen sieht und nicht mehrere auf einmal.
Und welche Arbeit macht dir mehr Spaß?
Mertikat: Mir macht es immer dann Spaß, wenn ich Sachen ausprobieren kann, und das kann ich in beiden Medien. Beide haben ihre Vorzüge und Nachteile, und ich habe festgestellt, dass es unmöglich ist, beides zu kombinieren. Die Kombination aus Seitenlayout und eComic beißt sich und zerstört die jeweiligen Stärken der Medien. Das ist wie Fahrradfahrern und Autofahren: Beides ist sinnvoll, geht aber nicht gleichzeitig.
Was habt ihr für ein Verhältnis zu Erlangen?
Mertikat: Ich bin jetzt das dritte Mal hier, Verena das zweite Mal.
Klinke: Ich war 2012 hier mit dem zweiten Band von ›Steam Noir‹, dem ersten Buch, das ich herausgebracht habe. Daran habe ich sehr gute Erinnerungen und komme jetzt zwei Jahre später zurück und bin etwas erfahrener in der Sache. Dadurch kann ich es auch mehr genießen. Damals kannte ich niemanden, alles war neu für mich, ich hatte auch etwas Angst, aber jetzt kennt man schon viele Leute, hat eine Art Freundeskreis und ist viel entspannter. Ich mag Erlangen sehr, sehr gerne.
Mertikat: Es ist ähnlich wie ein Familienfest. Man kommt alle zwei Jahre zusammen und macht fast an der gleichen Stelle in der Unterhaltung weiter, wo man das letzte Mal aufgehört hat. Dabei lernt man jedes Jahr noch neue Leute kennen, was viel Spaß macht. Aber wie bei einem Familienfest ist es auch jedes Mal sehr anstrengend. Wir kommen immer sehr gerne wieder hierher, trotz der mega-stressigen Vorbereitung.
Klinke: Ja, kurz davor denkt man: Ich will jetzt gar nicht mehr zur Messe fahren, weil die letzten Tage schon so anstrengend waren, aber sobald man da ist, macht es wahnsinnig viel Spaß. Das ist ein tolles Gefühl. War das nicht ein schönes Schlusswort?
Und ob. Dann vielen Dank für das Gespräch.
| BORIS KUNZ
Titelangaben
Verena Klinke (Text), Felix Mertikat (Zeichnungen): Steam Noir – Das Kupferherz Band 3
Ludwigsburg: Cross Cult 2014
64 Seiten, 16,80 Euro
Reinschauen
| Jakob bei Cross Cult
| Homepage von Steam Noir
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| Interview zum Steam Noir Kartenspiel