Comic | Sascha Hommer: Spinnenwald
Comic-Künstler Sascha Hommer entführt mit seinem neuen bei Reprodukt erschienenen Band in den ›Spinnenwald‹. Er entspinnt dort eine fantastische Geschichte, die ihre Figuren auf eine Heldenreise schickt. Die fremdartigen Abenteuer, die sie erleben, resümieren parallel über gesellschaftliche Fragen. Von CHRISTIAN NEUBERT
Sascha Hommer lebt in Hamburg, wo er an der Hochschule für angewandte Wissenschaften über Comics doziert und das von ihm mitbegründete Comicfestival schmeißt. Bis 2013 gab er das Comic-Magazin ›Orang‹ heraus. Für eigene Comics, die er z.B. in Anthologien oder beim Berliner Reprodukt Verlag herausbringt und die auch im Ausland erscheinen, bleibt ihm trotzdem noch Zeit.
Geboren ist er im Schwarzwald. In seinem neuen Comic entführt er Leserinnen und Leser in den ›Spinnenwald‹. Dort herrschen eigene, fremdartige Gesetze: Die Alten des Stammes, der auf den Felsen neben dem reichen, fruchtbaren Wald zu Hause ist, berichten von den mächtigen Augen, die einst die Welt schufen. Von den Waltraudern, die im Wald leben und in deren Schleim die Pukis wachsen, von denen sich die Felsenbewohner ausschließlich ernähren. Vom Boten, der einst aus dem Land der Augen kam und das Wissen brachte und der innerhalb ihrer Mythologie als Erlöserfigur fungiert. Vom kleinen Wall, der die Felsen vom Spinnenwald trennt. Und schließlich vom Großen Wall, den die Augen um den Spinnenwald herum errichteten – und als unüberwindliches Hindernis den Lebensbereich der Felsenbewohner strikt begrenzt.
Heimat als bekanntes Konstantes
Hommer schafft in ›Spinnenwald‹ eine Welt, die der unseren gleicht und dennoch weit von ihr entfernt ist. Ihre Regeln und Gesetze bleiben bruchstückhaft, mysteriös und merkwürdig. Das, was Hommer von ihr preisgeben will, erzählt er auf wenigen Seiten, die die Geschichte eröffnen.
Wobei er direkt einen erzählerischen Kniff parat hat, indem er den Erzählfokus mehrmals von einer Figur auf die nächste übergibt, die sich scheinbar zufällig über den Weg laufen.
Jeder Angehörige der Felsengemeinschaft scheint eine feste Rolle im offenbar harmonischen Gefüge innezuhaben. Neben den Alten, die man als so etwas wie geistige Führer ausmachen kann, gibt es Soldaten, die ihre Artgenossen vor den Augen beschützen. Und Jäger, die wohl das Gros der Gemeinschaft ausmachen und die Waltrauder als Nahrungslieferanten einfangen.
Auch die Heranwachsenden Albi und Dan sollen sich auf die Jagd begeben. Eine anstehende Jagdunternehmung, bei der sie den kleinen Wall überwinden müssen, um in den Spinnenwald zu gelangen, wird ihre Initiation sein.
Sie müssen sich dabei den Gefahren des Waldes aussetzen und sich eventuell gar den Augen stellen – was ihnen Entscheidungen abringt, die sie als Individuen ausweisen und Ansichten über Gruppenzugehörigkeiten und scheinbar determinierte Plätze in der Welt infrage stellt.
Heimat als Raum für Hoffnung
›Spinnenwald‹ ist eine fantastische Geschichte, die eine klassische Heldenreise in einer fremden Welt skizziert und dabei über bekannte irdische Konzepte wie Gemeinwesen, Gesellschaft und Religion resümiert. Dass all das aber lediglich mitschwingt, anstatt mit der großen Selbstfindungskeule in den Subtext geprügelt zu werden, ist ein Gewinn innerhalb Hommers Erzählweise: Der ›Spinnenwald‹ bleibt bis zum Schluss rätselhaft und unausgelotet, seine Rituale und Routinen mitunter reichlich fragwürdig. Indem die Lesenden selbst die vorhandenen Lücken schließen und Ungereimtheiten ausräumen wollen, sind sie gezwungen, eigene Schlüsse zu ziehen und Folgerungen abzuleiten.
Hommers reduzierte Zeichnungen, die es sich zwischen Ligne Claire und japanischem Manga bequem machen und deren Tierwelt stark an Pokémon denken lässt, stehen dem ›Spinnenwald‹ dabei gut zu Gesicht. Die kindlich-niedliche Bilderwelt füttert das vordergründig harmonische Miteinander der Felsengemeinschaft, wird an markanten Stellen allerdings konterkariert. Immer dann nämlich, wenn der Schein trügt. Wobei im ›Spinnenwald‹ nie ganz klar wird, was Schein und was Sein ist.
Titelangaben
Sascha Hommer: Spinnenwald
Berlin: Reprodukt, 2019
152 Seiten, 18 Euro
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| Webseite des Künstlers Sascha Hommer: