Comic | Dan Abnett, Andy Lanning, Dale Eaglesham: Punisher. Das erste Jahr
In der Ursprungsgeschichte eines Comic-Superhelden liegt wohl das essentiellste Element seiner ganzen folgenden Geschichte; hier zeigen sich Herkunft, Charakter und Motivation der Protagonisten, die erklären, wie und warum sie zum Superhelden wurden, ob es sich nun um ein traumatisches Ereignis oder um die Verleihung von übermenschlichen Kräften durch einen Laborunfall oder metaphysische respektive außerirdische Phänomene handelt. Von PHILIP J. DINGELDEY
Bis in die 1990er Jahre hinein wurde dem jedoch bei der Heldenfigur Punisher nicht viel Beachtung geschenkt, was insofern nicht überrascht, als dass dieser Charakter lediglich im Rahmen einer Spiderman-Geschichte in das Marvel-Universum im Jahre 1974 eingeführt wurde. Doch 20 Jahre später haben die Texter Dan Abnett und Andy Lanning zusammen mit dem Zeichner Dale Eaglesham eine Miniserie veröffentlicht, mit dem Titel ›Punisher. Das erste Jahr‹. Die gesamte Serie liegt jetzt als deutscher Band vor.
Die Handlung des Comics ist einfach und klar: Die Familie des US-amerikanischen Elitesoldaten und Vietnamveterans Frank Castle wird im New Yorker Central Park von Angehörigen der Mafia-Familie der Costa-Brüder blutrünstig ermordet, und Castle selbst kommt nur knapp mit dem Leben davon, wobei bis zum Schluss nicht klar wird, warum es zu dem Blutbad kam. Zwar fasst Castle zunächst Vertrauen zu dem Police-Detective John Laviano, das jedoch bald enttäuscht wird, da die korrupte Führungsspitze der New Yorker Polizei die Ermittlungen einstellt und Laviano die legale Kompetenz eines Vorgehens gegen die Mafia entzogen ist. Auch Castles kurzzeitiges Vertrauen zu dem abgewrackten und alkoholkranken freien Journalisten McTeer, der die Leichen findet und auf einen medialen Coup hofft, den er in der Zeitung ›Daily Bugle‹ (für die beispielsweise Peter Parker alias Spider Man fotografiert) unterbringen will, wird erschüttert, als Castle merkt, dass er nur benutzt wird.
Schließlich macht sich Castle mit McTeer auf die Suche nach den Mördern und prügelt sich in der Gangsterhierarchie nach oben, mit Hilfe von Informationen, die Laviano ihm gab. Als jedoch auch McTeer getötet wird, beschließt Castle endgültig zum Punisher zu werden, eine Antiheldenfigur, die mit militärischen Fähigkeiten und allerlei Waffen den Auftragskiller Billy Russo überwältigt, dessen Mitarbeiter und Freunde tötet und damit dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt, da die etablierten Institutionen, sprich Presse und Polizei, versagt hätten.
Der Held im Ausnahmezustand
Der Punisher ist damit eine der interessantesten und zwielichtigsten Comic-Figuren im Marvel-Universum: Ohne Superkräfte, aber mit allerlei Spezialfähigkeiten ausgestattet, geht er gegen das organisierte Verbrechen vor. Dieser Weg funktioniert auf so wenigen Seiten nur, da die Texter die Metropole New York, wie es leider oft in Marvel-Heften der Fall ist, zu einem modernen Sündenpfuhl macht, in dem nur das Verbrechen regiert und in dem die wenigen Aufrichtigen (gemeint sind wohl mordende patriotische Soldaten) vernichtet oder exkludiert werden. Hier ist natürlich zu konstatieren, dass es sich Abnett und Lanning viel zu einfach machen und die Stadt zu sehr stereotypisieren, damit ihr krasses und simplifiziertes Konzept aufgeht.
Bezüglich der Fähigkeiten und der Ursprungsgeschichte ergeben sich de facto Parallelen zum DC-Superhelden Batman. Auch Bruce Wayne hat keine Superkräfte, aber Spezialfähigkeiten sowie ein militärisches Equipment und wurde zum dunklen Ritter, indem seine Familie vor seinen Augen ermordet wurde. Jedoch ist der Punisher extremer, roher, aber auch konsequenter als Batman, wodurch seine Geschichte spannender wird. Etwa sieht sich der Punisher am Schluss der Serie klar in einer Kriegssituation und rüstet sich dementsprechend. Auch setzt er sich selbst keine moralischen Grenzen, wie Batman – der zwar gerne mal foltert, also sehr wohl Menschenrechte bricht, aber nicht töten will –, nein, der Punisher ist extrem brutal und blutrünstig; etwa bringt er im fulminanten und actiongeladenen Finale in einer halben Stunde etwa 30 Menschen um.
Umso fadenscheiniger wirkt daher seine Begründung, dass es bei seinem Feldzug nicht um Rache ginge, sondern darum, Ordnung (welche eigentlich?) herzustellen. Für den Protagonisten ist das ein Ausnahmezustand: Castle sei tot, und der Charakter wandle sich (durch Trauer, Hass und Enttäuschung) zum Punisher. Alle moralischen Hürden, die Castle als Bürger noch hatte, streift er damit ab und tritt schon dem Superheldennamen nach – mit dem Rechtstheoretiker Carl Schmitt gesprochen – in den Ausnahmezustand, in eine Situation des Bürgerkriegs, will sich also selbst zum Souverän erheben und sich somit von Recht und Gesetz entbinden, sodass Ausnahme und Regel am Ende ununterscheidbar werden, so wie die Taten von Castle und der Costa-Familie schließlich ununterscheidbar werden. Damit wird er zu einem Antihelden, gefangenen in den verblendeten Idealen eines reaktionären und archaischen Soldaten, der mit der modernen Welt überfordert und vom Krieg und der Gedankenwäsche des US-Militärs geprägt ist. Die drei Macher des Comics treiben die Dialektik des Superheldentums damit auf die Spitze und karikieren gleichzeitig den kriegerischen Geist der USA; und das vielleicht sogar nur ungewollt und nur ersichtlich für einen kritischen Leser.
Vintage und Brutalität
Spannend und brutal sind auch die Zeichnungen von Eaglesham. Hier mischen sich der schrille Zeichenstil und die grell-bunte Farbgebung der 1970er, als Vintageprodukt in den 1990ern, mit einem enormen Blutbad, das sich durch den ganzen Comic zieht. Fast schon bizarr wirkt es, heutzutage bunte und schräge Figuren, wie McTeer zu sehen, mit typischer 70er-Jahre Kleidung und Frisur, oder die behaarten Arme von Castle, das farbige Ambiente der Büros, kombiniert mit den düsteren Elementen der blutigen Geschichte, die mit sehr viel Detailgenauigkeit die Brutalität aufzeichnet.
Doppelt seltsam wird der Comic optisch, wenn sich zusätzlich noch Pathos, überholte Maskulinismen und antiquierte Melodramatik hinzugesellen, etwa in der Trauer Castles um seine Frau Maria – kurioserweise trauert er nicht um seine Kinder! – oder den Zeichnungen zur übertriebenen kriegsbejahenden Schlussrede eines hirnlosen, mit Steroiden vollgepumpten Kämpfers. All das legt es schon nahe, da die drei Künstler sowohl inhaltlich als auch zeichnerisch ins Extreme und Banale gehen, dass die Geschichte des Punishers am ehesten diejenige eines Super- oder auch Antihelden ist, die den Leser das Konzept von Patriotismus und Selbstjustiz am ehesten unter den Superheldencomics kritisch hinterfragen lässt, denn eines ist dieser rohe Kerl sicherlich nicht: Ein Protagonist, mit dem man mitfühlt.
Kurz gesagt ist ›Punisher. Das erste Jahr‹ ist ein höchst zwiespältiger Comic, irgendwo zwischen Komik und Ekel, ein grausames, bildlich sehr konkretes Werk, das nichts für schwache Gemüter ist, und gleichzeitig typisch US-amerikanisch in den aggressiven Idealen, die manche Protagonisten hier demonstrieren. Ergo bringt der Punisher die sich eigentlich immer am Rachegedanken orientierte Selbstjustiz, die als Grundtopos vieler Superheldengeschichte fungiert, gekonnt auf die Spitze und denkt diese sozialdarwinistische Anarchie eines mordenden Superhelden zu Ende. Damit erschafft er eine Demontage der heroischen Figur, nämlich durch die Absurdität der faschistoiden Argumente des Antihelden – ob das nun von Abnett, Lanning und Eaglesham so intendiert war oder nicht. Frank Castle wird als Punisher zur Karikatur des antimodernen, amerikanischen Patrioten, der selbst zur Waffe greift.
Titelangaben
Dan Abnett/ Andy Lanning (Texte)/ Dale Eaglesham (Zeichnungen): Punisher. Das erste Jahr
Aus dem Amerikanischen von Reinhard Schweizer
Panini: Stuttgart 2016
108 Seiten, 12,99 Euro
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