Comic | Saga Drei / Waisen 3. Der Mann mit dem Gewehr / Aâma 1. Der Geruch von heißem Staub
Hat das Genre der Science-Fiction eigentlich vor Fantasy und Zombies, vor Vampiren und Werwölfen kapituliert, oder hat es dem Leser auch heute noch etwas Neues zu bieten? BORIS KUNZ hat sich die drei meistgelobten aktuellen Science Fiction-Comicserien der letzten Zeit angesehen, um dieser Frage nachzugehen.
Saga
Diese kultige und dieses Jahr auch von den Comicfans für den Max und Moritz Preis nominierte SF-Soap Opera ist den Lesern dieser Seite vom Verfasser dieses Textes ja bereits ans Herz gelegt worden. Worum geht es? Alana und Marko, Angehörige verfeindeter Rassen und frischgebackene Eltern eines kleinen Mädchens flüchten mit ihrem Hosenscheißer und einem untoten Kindermädchen in einem »Baumschiff« quer durch die Galaxis, verfolgt von diversen Kopfgeldjägern.
In den mittlerweile erschienenen Bänden #2 und #3 erweitern Autor Brian K. Vaughan und Zeichnerin Fiona Staples ihren Figurenreigen um das komplette Ensemble, das zu einer Familiengeschichte dazugehört: Die jeweiligen Schwiegereltern tauchen auf (wobei sich Markos Eltern als schlagkräftige Unterstützung für die Flüchtlinge erweisen und die Braut ihres Sohnes akzeptieren, während Alanas Stiefmutter eher eine White-Trash-Tussi mit Flügeln ist) und auch die Ex von Marko macht gehörigen Stress. Schließlich ist Letztere eine ebenso attraktive wie gefährliche Agentin. Familienzuwachs gibt es auch beim Kopfgeldjäger »Der Wille«, der ein versklavtes Waisenkind mit Waffengewalt adoptiert und mit auf seine gefährliche Mission nimmt. Und dann tauchen da noch ein paar im wahrsten Sinne des Wortes »schleimige« Klatschreporter auf …
Das Motto ist klar: Saga hat mehr Elemente einer Sitcom als einer Space-Opera. Auch wenn große Themen wie Krieg oder auch Völkerverständigung im Hintergrund mitschwingen, erzählt Saga keine großen Schlachten, keine unüberschaubaren galaktischen Intrigen, sondern Geschichten über Beziehungen, über Liebe und Familie, über Freundschaft und Verrat. Natürlich gibt es immer wieder ein paar schräge und sehr originelle Kreaturen, doch diese Einfälle sind schmückendes Beiwerk einer klassischen, universellen Beziehungsgeschichte. Zudem interessiert sich Vaughan weniger für den technischen Aspekt von Raumfahrt, weswegen er wie in ›Star Wars‹ die Magie der Technologie gleichberechtigt gegenüberstellt.
Das ist originell und humorvoll erzählt und liebevoll gezeichnet. Doch ein wenig schade ist es schon, dass ›Saga‹ sehr stark und sehr eng um sein Personal kreist: Die Geschichte spinnt sich zwar unterhaltsam fort und bietet auch in jedem Band zwei bis drei witzige neue Figuren, doch die Geschichte zieht keine weiteren Kreise. Sie wird nicht größer, es eröffnen sich keine weltenumspannenden Zusammenhänge, sondern nur neue Figurenachsen. Die Story schreitet zwar voran, hat aber kein eindeutiges Ziel. Wird die Geschichte beendet sein, wenn Marko und Alana eine sichere Zuflucht gefunden und ihre Verfolger ausgeschaltet (oder auf ihre Seite gezogen) haben werden, oder wird es noch weitere politische Umwälzungen geben? Das lässt sich am Ende des dritten Bandes noch nicht erahnen.
Noch hat Vaughan dank seines Einfallsreichtums, was Kreaturen und Situationen angeht, die Sympathien des Lesers auf seiner Seite, doch eine endlos gedehnte Verfolgungsjagd könnte irgendwann auch ermüdend werden. Hier könnte Vaughan ein wenig vom Kollegen Robert Kirkman abgucken, dem es in ›The Walking Dead‹ immer wieder gelingt, einer ähnlich »ziellosen« Geschichte immer wieder neue, tragfähige Spannungsbögen abzugewinnen.
Waisen
Auch diese Serie aus dem italienischen Verlagshaus Sergio Bonelli Editore erzählt einen intergalaktischen Krieg anhand eines streng reduzierten Figurenensembles, doch hier spürt man schnell, dass der Autor Roberto Recchioni und seine Mitstreiter vom ersten Band an eine ausgeklügelt erzählte, abgeschlossene Geschichte im Auge haben, die parallel auf zwei Zeitebenen erzählt wird: Die »Waisen« sind eine Gruppe von Kindern, die einen gewaltigen Strahlenanschlag einer außerirdischen Zivilisation auf den Planeten Erde wie durch ein Wunder überlebt haben, während ihre Eltern, wie der größte Teil der Menschheit, dem Strahlenblitz zum Opfer gefallen sind. Sie landen in einem hochmodernen, militärischen Bootcamp, wo sie zu Soldaten ausgebildet werden – und etwa 20 Jahre später erobern sie als erwachsen gewordene Elitetruppe den Heimatplaneten der sog. Spektren, die hinter den Anschlägen stecken. Jeder Band spielt zur Hälfte im Bootcamp, zur Hälfte auf dem fremden Planeten.
Was sich zunächst wie eine knallharte Actiongeschichte anhört, bekommt mit jedem neuen Band einen weiteren doppelten Boden. Die Spektren, eigentümliche Energiewesen mit halbkristallinen Körpern, stecken voller Rätsel, tauchen immer wieder aus dem Nichts auf, scheinen irgendwie an die Psyche ihrer Gegner anzudocken und dementsprechend ihre Gestalt ändern zu können – und sind vielleicht gar nicht wirklich die Urheber des Anschlages. Dagegen werden die Methoden, mit denen die Ausbilder Colonel Takeshi Nakamura und Wissenschaftlerin Jsana Juric die Waisenkinder zu Elitekämpfern machen wollen, immer drastischer und auch ihre Beweggründe immer fragwürdiger. Und welche der sieben Waisen, die wir in ihrer Ausbildung erleben, werden am Ende unter den undurchsichtigen Helmen des fünfköpfigen Elitetrupps stecken – und welche Protagonisten sind hier auf der Strecke geblieben?
›Gung Ho‹ trifft ›Starship Troopers‹ trifft ›Morning Glories‹: Im Fokus steht eine Gruppe Jugendlicher in einem knallharten System, an dem sie zu zerbrechen drohen, dessen geheime Regeln sie nicht durchschauen und die sich gleichzeitig auch noch untereinander feind sind. Doch nicht nur das System, auch die Form der äußeren Bedrohung wird zu einem wesentlichen Bestandteil der Handlung. Es gilt, die Geheimnisse und Besonderheiten der Alienrasse zu ergründen. Nicht nur um sie zu besiegen, sondern auch, um zu begreifen, in welchem Spiel man hier zur Schachfigur geworden ist.
Die Geschichte ist horizontal und verschachtelt erzählt. Mit jedem neuen Band tun sich neue Abgründe in und zwischen den Figuren auf, das Konstrukt wird immer dichter, für jedes neue Rätsel wird eines gelöst, so dass die Story bei aller erzählerischen Komplexität den Leser nicht mit so vielen Mysterien überfrachtet, wie ›Morning Glories‹ dies teilweise tut.
Der erste Zyklus wird in sechs Hardcoverbänden (die jeweils zwei italienische Originalbände enthalten) abgeschlossen sein. Auch ohne das jedem Band beigefügte Bonusmaterial aus Interviews, Figurenentwürfen u. Ä. merkt man den Comics die viele Vorarbeit an, die auf allen Ebenen (Plot, Design, Technologie) in das Projekt eingeflossen ist – ebenso wie die zahlreichen Vorbilder, die es gehabt haben muss. Hier ist die Serie durchaus am Puls der Zeit, auch von aktuellen Kinofilmen wie dem Tom Cruise-Streifen ›Edge of Tomorrow‹ ist ›Waisen‹ nicht weit entfernt.
Da ›Waisen‹ aus einem Comicmarkt heraus entstanden ist, der anders strukturiert ist als in Frankreich oder den USA, ist es ein Gemeinschaftsprojekt, in dem jeder Band von einem neuen Zeichner ausgeführt wird. Da gibt es natürlich grundsätzliche stilistische Vorgaben, die die Reihe visuell strenger zusammenhalten, als dies beispielweise bei amerikanischen Superheldenreihen der Fall ist, den Zeichnern aber gerade genug Freiheit lassen, ihren eigenen Strich sichtbar werden zu lassen.
Man merkt bei den Zeichnern mal mehr und mal weniger die Manga-Einflüsse heraus, vor allem was die hochaufgelösten Actionsequenzen angeht: Prügeleien und Schießereien erstrecken sich gerne über mehrere Seiten, mit angedeuteten Speedlines wird Dynamik erzeugt, doch insgesamt besticht die Serie weniger durch sensationelles als mehr durch höchst solide ausgeführtes Artwork. Einerseits ist das Niveau hoch, andererseits wird nicht jene filmische Dynamik erreicht, die einen bei ›Gung Ho‹ teilweise den Atem anhalten lässt. Als einheitliches Element wirkt vor allem die aufwendige, plastische und effektreiche Kolorierung, die für Produkte aus dem Hause Bonelli sehr untypisch und dort auch eines der Alleinstellungsmerkmale der Serie ist.
Das Design der Raumschiffe und der Kreaturen ist gelungen und einprägsam, orientiert sich aber auch an gängigen Genrevorbildern. Doch auch wenn der visuelle Aspekt der Story nach allen Regeln der Kunst auf hohem Niveau gestaltet ist, ist es vor allem die moderne erzählerische Herangehensweise, die die alte Geschichte vom Kampf gegen außerirdische Invasoren so originell und lesenswert macht.
Aâma
Verloc Nim ist ziemlich weit unten angekommen. Pleite und Verlassen von Frau und Tochter erwacht er in einer Pfütze in einem der schäbigsten Viertel der Stadt aus dem Drogenrausch. Aufgeweckt wird er von seinem Bruder Conrad, der für einen großen intergalaktischen Konzern arbeitet und ihm anbietet, ihn auf seine aktuelle Mission mitzunehmen: Conrad soll auf einen unbewohnten Planeten reisen, auf dem seit mehreren Jahren die Teilnehmer einer wissenschaftlichen Expedition ohne Kontakt zu anderen Menschen festsitzen. Sie waren dort mit der Erprobung einer eigentümlichen Substanz beschäftigt, dem sogenannten Aâma, mit dem sie dem Wüstenplaneten Leben einhauchen wollten.
Auf Ona (Ji), dem Ziel ihrer Reise, begegnen Verloc, Conrad und ihr treuer Begleiter Churchill (ein vielseitiger Roboter in Gorillagestalt und zweifellos die kultigste Figur des Albums) nicht nur einem desolaten Haufen paranoid gewordener Wissenschaftler mit Lagerkoller, sondern auch einem merkwürdigen kleinen Mädchen, die Verlocs Tochter Lilja bis aufs Haar gleicht. Diese hält sich derzeit aber in einem ganz anderen Sonnensystem auf …
Auch Autor und Zeichner Frederik Peeters hat augenscheinlich große Freude am Genre der Science Fiction und man erkennt auch hier die Vorbilder. Diese sind allerdings weniger in Film und Comic zu verorten, als vielmehr in der klassischer SF-Literatur, in der Hauptsache wohl bei Philipp K. Dick und Stanislaw Lem. Die Vorgänge auf dem Planeten Ona (Ji), wie etwa das Auftauchen eines identischen Zwillings der verlorenen Tochter des Helden erinnern natürlich stark an Solaris. Die futuristische Technologie, die Peeters erfindet, hat weniger mit martialischen Raumschiffen, Kampfanzügen und Laserwaffen zu tun, als vielmehr mit Nano- und Biotechnologie, mit Körperimplantaten und ihren schrecklichen Folgen; mit emotionalen Robotern, mit Raumschiffen, die wie Seifenblasen oder Kristalle aussehen und ihre Form verändern können.
Peeters Zeichnungen stellen diese Science Fiction-Elemente angenehm unaufgeregt und in leicht altmodischer Ausführung dar und verzichten auf jeglichen Computer-Effekt-Klimbim. Die Plastizität entsteht durch Schraffierung und Tuschelinien, nicht durch Farbeffekte. Dadurch wird ein Geist lebendig, der doch auch wieder an ›Star Wars‹ erinnert: Die Welt von ›Aâma‹ hat etwas bodenständig Realistisches. Es gibt im ersten Album nur eine echte Actionsequenz, einen Kampf zweier Roboter, bei dem unser Protagonist Verloc nur ein faszinierter Zeuge ist. Der Kampf ist wie ein eigentümliches Ballett zweier Kreaturen inszeniert, die sich durch absolute Körperbeherrschung auszeichnen, und wirkt in der Geschichte weniger als mitreißendes, sondern eher als merkwürdig poetisches Element (wogegen es in solchen Szenen bei ›Saga‹ eher simpel und blutig und bei ›Waisen‹ wie in einem Manga zugeht). Es scheint so, als hätte Peeters ganz bewusst auf jegliches übertriebenes Eyecandy, auf jeden Effekt verzichtet, der den Leser blenden könnte. Er vertraut voll und ganz auf die poetische inhaltliche Kraft seiner mit einfachem Strich gezeichneten und in erdigen Farben kolorierten Bilder.
Wo die Geschichte weiter hinführen wird, ist nach dem Ende des bisher erschienenen ersten Bandes noch offen. Natürlich, es wird darum gehen, die verschollene Wissenschaftlerin zu finden, die mit der titelgebenden Substanz, dem Aâma, in ein prähistorisches Sumpfgebiet verschwunden ist, um dort ihre Experimente durchzuführen. Man kann damit rechnen, dass Peeters einen abgeschlossenen Kreis vollführen wird, die Erinnerungslücken von Verloc sich schließen und an den Beginn des ersten Albums hinführen werden, wo er alleine in einem merkwürdigen Krater erwacht ist. Und es steht zu erwarten, dass im Lauf der Geschichte die Suche eines Vaters nach seiner verlorenen Tochter in irgendeiner Weise zu einem Ende gelangt.
Wie auch in den anderen hier vorgestellten Serien scheint es Peeters allerdings nicht darum zu gehen, den technologischen Phantasien der Science-Fiction wesentlich Neues hinzufügen zu wollen. Auch er nutzt bekannte Versatzstücke als Hintergrund für eine Erzählung, in der die Innenwelten der Figuren und ihre Beziehungen untereinander das wesentliche Element sind. Das Genre wird nicht neu definiert, aber es werden ihm neue erzählerische Möglichkeiten abgerungen. Das Rad wird nicht neu erfunden, aber es wird mit viel Liebe zum Detail daran gedreht. Und so bleibt es in allen drei Reihen weiterhin sehr spannend, wo die Reise der Figuren noch hingehen wird!
| BORIS KUNZ
| Abbildungen: Cross Cult/Reprodukt
Titelangaben
Brian K. Vaughan (Autor), Fiona Staples (Zeichnerin): Saga Drei
(Saga Volume 3) Aus dem Amerikanischen von Marc-Oliver Frisch
Ludwigsburg: Cross Cult 2014
160 Seiten, 22 Euro
Roberto Recchioni (Text), Luca Maresca, Werther Dell`Edera (Zeichnungen): Waisen 3: Der Mann mit dem Gewehr
(Orfani 5 & 6) Aus dem Italienischen von Monja Reichert
Ludwigsburg: Cross Cult 2014
206 Seiten, 16,80 Euro
Frederik Peeters: Aâma 1. Der Geruch von heißem Staub
(Aâma 1 – L´Odeur de la Poussière Chaude)
Aus dem Französischen von Marion Herbert
Berlin: Reprodukt 2014
88 Seiten, 20 Euro