John Steinbecks ›Of Mice and Men‹ ist ein Klassiker der Weltliteratur. Die französische Zeichnerin Rébecca Dautremer hat ihn in expressive Bilder gepackt – und dabei den Rahmen herkömmlicher Romanillustrationen gesprengt. In deutschsprachiger Fassung liegt der Prachtband nun beim Splitter Verlag vor. Von CHRISTIAN NEUBERT
Anhand der beiden Wanderarbeiter George und Lennie, die in den 1930ern, während der Weltwirtschaftskrise, auf der Suche nach befristeten Anstellungen durch die ländlichen Gefilde Kaliforniens streifen, zerlegt John Steinbecks ›Of Mice and Men‹ den Mythos des »American Dream«.
Seit seinem Erscheinen 1937 wurde das Werk vielfach adaptiert. Neben Bühnenfassungen, Hörspielen, TV- und Kinofilmen sowie persiflierenden Cartoons gibt es nun auch eine Comic-Adaption. Sie stammt von der vorwiegend für ihre Kinderbücher gefeierten Illustratorin Rébecca Dautremer und erschien hierzulande beim Splitter Verlag. Der schreibt dazu auf seiner Webseite: »Jede unvollständige Adaption kann »Von Mäusen und Menschen« nicht gerecht werden. Daher nimmt Rébecca Dautremer sich des kompletten Textes an, ohne ihm eine völlig neue Lesart aufzwängen zu wollen.«
Comic oder kein Comic?
So gesehen ist der Band gar keine Adaption – genauso wenig wie er ein Comic ist. Stattdessen ist er eine reich illustrierte Ausgabe der ungekürzten Novelle in der Übersetzung von Mirjam Pressler. Wobei Dautremer immer wieder Seiten mit aneinandergereihten Zeichnungen füllt, die komplette Dialoge ganz und gar comic-like in rahmenlose Panelfolgen übertragen – was sich angesichts des formalen Aufbaus der Novelle auch anbietet. Denn Steinbeck hat »Von Mäusen und Menschen« wie einen Dramentext inszeniert, weswegen er sich leicht in andere Gattungen überführen lässt.
Bestimmt hätte Dautremer den ganzen Band in Panelfolgen packen können – aber Schluss damit: Es braucht kein »hätte, hätte«. Erst recht nicht, wenn man betrachtet, was die französische Künstlerin geschaffen hat. Denn das hat es in sich.
Expressive Bilderflut
Dautremer öffnet für ›Von Mäusen und Menschen‹ ein wahres Füllhorn unterschiedlicher Techniken und Stile. Der Band ist konsequent per Hand gezeichnet – mal naturalistisch, mal abstrakt, mal skizzenhaft oder sich gegenseitig überlagernd, mal im Stile der Reklame aus den 1930ern oder zeitgenössischer Zeitungscomics. Einige Bilder muten wie Kupferstiche an, andere wie vergilbte Fotografien, und immer mal wieder lässt Disney grüßen. Mäuse treffen auf Menschen, Art Deco auf Art Brut, Kinderbuchästhetik auf Karikatur, comichafte Überzeichnung auf collagenhafte Gleichzeitigkeit, Buntstiftzeichnungen auf plakative Grafiken und überbordende oder aufgeräumte Aquarelle – und oft geht vieles ineinander über.
Alles scheint möglich für Dautremer – und alles steht irgendwie im Dienste der Erzählung, trotz oder wegen der stilistischen Vielfalt. Ihre Vielzahl an großformatigen Zeichnungen macht die dünne Novell zu einem über 420 Seiten dicken Wälzer – und aus dem Band dann eben doch mehr als »nur« einen illustrierten Klassiker. Man kann richtig eintauchen in den Bilderwelten. Und schwuppdiwupp ist die meisterhafte Novelle obendrein ein expressives grafisch-literarisches Werk.
Titelangaben
John Steinbeck / Rébecca Dautremer: Von Menschen und Mäusen
(Of mice and men). Aus dem Amerikanischen von Mirjam Pressler
Bielefeld: Splitter Verlag 2022
424 Seiten, 49,80 Euro
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