/

A Neverending Story

Bühne | Train to Pakistan im Theater das Zimmer

Ein Zug voller Leichen, ein geteiltes Land, eine friedliche Gemeinschaft vor der großen Frage: Flucht oder Vertreibung? Kann eine junge Liebe den Hass besiegen? Wir sehen die Glaubenskonflikte vor unseren Augen, jedoch meist nicht den Rest der Welt. Wir verschließen sie – kann es denn nur »Auge um Auge« geben, um zu überleben? Von MONA KAMPE

»Es sind schlimme Zeiten« für das kleine Dorf Mano Majra, welches an der Grenze zwischen Indien und Pakistan liegt. 1947 wird das Land Britisch-Indien in beide Regionen geteilt. In der Grenzgemeinschaft leben Muslime, Hindus und Sikhs friedlich miteinander. Doch als ein Zug voller Leichen letzterer in Mano Majra hält, gerät das Dorf in Aufruhr. Schwappt die Welle von Minderheitsmorden, die durch das Land geht, nun auch zu ihnen rüber? Sind sie noch sicher? Sollten sie ins Flüchtlingslager gehen und auf den rettenden ›Train to Pakistan‹ warten? Doch es ist bekannt, dass Züge überfallen werden…

Mittendrin ein junges Paar, Nuru, die Tochter des Imam und der Dorfgangster Juggut, ein Sikh. Hat ihre Liebe in Zeiten des Hasses und des Kampfes ums Überleben eine Chance? Und wenn ja, könnte sie ein Zeichen des Friedens setzen?

Train to Pakistan
Muslimin Nuru (Hanna Hagenkort) und Sikh Juggut (Jascha Schütz) – kann ihre verbotene Liebe das Dorf retten?

Nächstenliebe oder Fanatismus?

Das Hamburger ›Theater das Zimmer‹ inszeniert zur »Indian Week 2019« die Bühnenversion des Romans ›Train to Pakistan‹ von Khushwant Singh. Auf kleinstem Raum gelingt Lars Ceglecki die intime Interpretation des Werks mit reduzierter, lebendiger Bühne und grandiosen Charakterdarstellern. In kräftige Farben getaucht sind nicht nur die Requisiten, sondern auch die Gewänder der vier Protagonisten, die bewegend, tiefgehend und mit toller Symbiose spielen. Es gelingt ihnen, die komplizierten politischen und religiösen Geschehnisse in der Region zu verdeutlichen und anhand persönlicher Geschichten – so auch der Lovestory – verständlich zu machen. Was sie im Grunde auch sind – wir sitzen am anderen Ende der Welt, deshalb sehen wir sie nicht. Und wenn wir sie uns vor Augen führen, dann sind wir sprachlos.

Finden ihn unfassbar, den Hass, den Mord, die Selbstjustiz, die Gewalt, die die Menschen im Namen ihrer Religionen ausüben. Sie kämpfen fanatisch Auge um Auge, wollen Rache für ihre getöteten Brüder und Schwestern, wollen überleben. Die Nächstenliebe muss dem Kampf, der Angst, der Flucht weichen. Selbst dann ist man nicht sicher, denn Fanatismus ist überall, selbst in den eigenen Reihen. Und die, die friedlich leben wollen, müssen sich der Mehrheit fügen. Man wartet auf einen Helden, der sich ihnen tapfer in den Weg stellt und den Glauben auf Frieden wiedererweckt. Glauben Sie mir, Sie werden ihn finden.

Glaubenskonflikte sind eine unendliche Geschichte, sie wüten überall – für uns meist unbewusst oder fern – wie dieser in Mano Majra. Doch das Dorf steht für jeden Ort, jede interkulturelle Gemeinschaft, jede heterogene Nation, in der Religionen aufeinandertreffen. Die große Frage der Integration und Toleranz – sie ist die der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Liebe gegen Hass, Akzeptanz versus Fanatismus – Mut ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, denn ohne ihn kann es keine Veränderung geben. Ohne Wissen auch nicht. Erst sehen, dann handeln. Ersteres können Sie noch bis zum 2. November im Zimmer.

| MONA KAMPE
| FOTOS: PATRICK BIEBER

Titelangaben
Train to Pakistan im Theater das Zimmer Hamburg
Mit: Hanna Hagenkort, Alexander Scala, Bela Hoche und Jascha Schütz
Regie: Lars Ceglecki
Bühne und Kostüme: Heike Böttcher

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Schwarzgrauweiße Heldenreise

Nächster Artikel

Good Day Josephine… Free Jazz, Free Space & Impro

Weitere Artikel der Kategorie »Live«

Jazz Extra, Jazz Future, Jazz Day…

Musik | International Jazz Day: Herbie Hancock

Der internationale Jazz Day listet weltweit eine ganze Reihe Termine für einen Tag auf und er geht diesmal verstärkt online – es wird gestreamt. Aufrufer ist Herbie Hancock und das bietet eine schöne Gelegenheit, sich zum x-ten Mal nebenbei seinem Werk zu nähern, in dem es die einen oder anderen Facetten zu entdecken, besonders aber einen unignorierbaren Klassiker der Jazz-Songs zu featuren gibt: ›Watermelon Man‹. Von TINA KAROLINA STAUNER

Bigmouth Strikes Again: Morrissey Live In Belfast!

Music | Bittles‘ Magazine: The music column from the end of the world In Belfast we are somewhat starved of concerts by people you would actually pay money to go see. Local ›talent‹ and terrible tribute bands seem to make up the majority of the gig-goer’s choice here. And, when someone does decide to make the short trip over the Irish sea it tends to be people like McBusted or Nicki Minaj who aren’t going to excite anyone over the age of twelve. By JOHN BITTLES

Die Magie des Breakdance

Bühne | Tanzshow | Flying Illusion Genau zwölf Breakdancer braucht es für die Inszenierung des alten Kampfes: Gut gegen Böse. Was die Zuschauer erwartet? Spektakuläre Akrobatik mit effektgeladenen Bühnenbildern. Diese wurden mit aufwändigen 3D-Projektionen versehen. Dabei scheinen die Grenzen tänzerischen Könnens auf magische Weise aufgehoben zu werden. ANNA NOAH feiert die lang erwartete Show-Premiere der Breakdance Weltmeister.

Das sind die Bretter, die die Welt bedeuten!

Bühne | Mikro-Musical am Altonaer Theater Hamburg »Und nimm‘ jetzt auch mal bitte die Hand von meinem Knie, ich bin zweimal so alt und stehe nicht auf Päderastie!« »Madame, was die Zahl der Jahre angeht, das sag‘ ich einfach mal, das ist mir so was von schnurzpiepscheißegal!« Als Delio bei einem Casting auf seine frühere Lehrerin trifft, flammen nicht nur alte Gefühle wieder auf. Ein hochamüsantes Duett über die Liebe zum Leben und zur Bühne. Aber Vorsicht: Hier bleibt kein lachendes Auge trocken. Von MONA KAMPE

Ein schmaler Grat zwischen Fiktion und Wirklichkeit

Bühne | Wer hat Angst vor Virginia Woolf? Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Lieben sich Martha und George wirklich? Zwischen Fiktion und Wirklichkeit, Zuneigung und Hass, perfektem Spiel und schönem Schein, sind sich weder die Protagonisten noch die Besucher sicher, was wirklich auf der Bühne vor sich geht. Von MONA KAMPE