Musik | Free Jazz, Free Space & Impro
Hergewehte Jazzmelodien, angekommen wie Flaschenpost, gebracht als Briefpäckchen, geschickt als Datei, herbeigeflattert als Neuigkeit, Erinnerung, Anspieltipp. You can see open space. Von TINA KAROLINA STAUNER
jazzy moments
Einige Generationen durchforstet: sicheren Griffs ins Plattenregal, Jazzgrößen, Vorlieben, verloren, gesucht, gefunden, auch unbekannte Namen genannt, interdisziplinäre Relationen mit einbezogen. Mal bei Platten und einem Glas Wein am Schreibtisch, mal bei Live Music in altbekannter Clubatmosphäre mit Neuveröffentlichungen und Bühnenkonzepten, Eigenentdeckungen und Meilensteinen. Immer Tausende Optionen und ein paar extra Ideen. Aufgelesen aus diesem oder jenem Grund oder einfach so. Ausgewählte Memories, Visionen, Alltagseingebungen, Zukunftsvorstellungen. Sonnenfänger und Nachtschatten. Neben Bird, Art und Sun Ra.
Nach ein paar Spätsommertändeleien werden die Tage kürzer und kälter. Und der Jazz dieser Saison eigens für sonderbare Barstimmungen, komische Sonntagspaziergänge, quirlige Stadtexkursionen zu jeder Tag- und Nachtzeit ist aufgesplittert in Partikel aus Swing, Bop, Folk, Soul, Bossa Nova und andere europäische und amerikanische Jazzmomente.
contemporaty lifestyle
In der Contemporary Scene des Jazz taucht unter starken Jazzfrauen die Saxophonistin Josephine Davies mit ihrem Hauptprojekt »Satori« und »In The Corner Of Clouds« auf als Sax/Bass/Drum-Trio. Improvisation, Expression, Japanphilosophie, Lifestyle und Erfahrungen durch das London Jazz Orchestra und Pete Hurt’s Jazz Orchestra heißen die Ingredienzien des Individualismus der Hauptakteurin Davies am Saxofon im Wirken in ihren Formationen.
Jetzt mit Basis in London kommt Davies ursprünglich von den Shettland Islands und hat eine nordische Ader. Einfluss auf Josephine Davies hat die Arbeit des schottischen Tenoristen Bobby Wellins und die Komponistin Maria Schneider. ›Satori‹ betont im freien Querdenken in der Musik buddhistische Konstrukte, minimalistische Strukturen erschaffen in einer Trio-Besetzung mit Dave Whitford (Bass) und Paul Clarvis (Drums).
surreal space
Die in Frankfurt und New York beheimatete Thea Florea hat Studiumssemester und Jazzcluberfahrung verinnerlicht und eine ihrerer mehreren Gruppen ist das Thea Florea Quartett. Klassische Attitude, surreale Ideen, hier und dort eine kleine innovation, bester Stoff, das scheint für Florea selbstverständlich. Dabei ist sie als deutschstämmige Jazzdrummerin eher eine Seltenheit. Florea scheint die Jazzgeschichte mit Leichtigkeit verinnerlicht zu haben und bringt sie contemporary und mit eigener Kreativität in den heutigen Jazzkontext.
Die Schlagzeugerin, Percussionistin und Komponistin nennt ihre ›Surreal Days‹ so etwas wie »open space« und hat als Vorbilder eine Reihe Schlagzeuger: David Garibaldi, Vinnie Colaiuta, Tony Williams, Steve Gadd, Elvin Jones, Dave Weckl, Stewart Copeland. Und auch Terri Lyne Carrington, die »Social Science« und »Jazz And Gender Justice« als Themenbereich von Boston aus aufgreift. Damit ist der Raum für Insider genauer definiert. Zu ihrem Quartett gehören Bernd Stoll (sax), Katrin Zurborg (git), Ralf Cetto (bs). Ihre Bands heißen: Thea Florea Quartett, Duo Here! – Trio Now!, The Floreas,The Florea Quartett, Helen Pfaff, Midnight Ladies, Pillo Verde, Mara Quartett, Miss Mobile, Escola de Samba. Bei Floreas und Konsorten könnte sich noch viel herauskristallisieren … in der Außenwelt der Innenwelt des Jazz. Jazz is the teacher and Funk is the preacher!
canebreak
Das Projekt Roseaux II des Trio Roseaux sind drei Musiker aus Paris mit Namen Emile Omar (Musikredakteur, Produzent, Sounddesigner, Labelmacher, DJ), Alex Finkin (Multiinstrumentalist, Komponist, DJ, Produzent, Tontechniker, Studiobesitzer) und Clément Petit (Cellist und Regisseur). Der Bandname bezieht sich auf die Röhrichtpflanze, französisch Roseaux, und suggeriert dabei die Nähe zu Flüssen wie dem Mississippi,dem Nil und der Gironde, an denen Schilf-Röhricht wächst. Es sind Soundideen wie Biotope, die aus afrikanischer und lateinamerikanischer Folkmusik stammen. Raised in the canebrake. Zu der akustisches Songwriting und elektrifizierter Soul, Pop, Chanson und Jazz internationaler Couleur gemischt werden.
Dem Debüt Roseaux aus dem Jahr 2012 mit Coverversionen folgte Roseaux II mit nur zwei gecoverten Songs: ›Heart&Soul‹ des Schweden Olle Nyman und ›You Can Discover‹ des Folkgiganten John Martyn, gesungen von der kanadisch-haitianischen Melissa Laveaux. Die anderen Lieder sind nun Eigenkompositionen. Entstanden und eingespielt mit dem Kameruner Singer/Songwriter Blick Bassy, dem französischen Soulman Ben l’Oncle Soul, der kanadisch-französischen Vokalistin Anna Majidson und dem Amerikaner Aloe Blacc. Tracks von … down in the canebrake… mit folky Sounds und jazzy Vibes, die nicht nur als »don’t worry, be happy«-moments erklingen, wie bei dem Song ›Island‹. Transformationen und Stimmungen in avantgarde-angelehnten Schwingungen und soulig Inspiriertes aus alter Zeit in zeitlosen Klängen.
vivid complexity
Mit Ken Vandermark, war es im Moods oder The Stone, zeigten sich kürzlich Nate Wooley, Sylvie Courvoisier und Tom Rainey auf der Bühne in New York. Vier Musiker mit eigenen Bands und Projekten haben im Quartett als VWCR-Kollektiv nun das Album ›Noise Of Our Time‹ aufgelegt. Jeder der Musiker brachte seine Kompositionen und Ideen ein und gemeinsame Improvisationen wurden aufgenommen. »They play by intuition, yet retain a vivid complexity«, heißt es zu ›Noise Of Our Time‹. So kennt man diesen Teil der New Yorker Szene und hört mal hier und mal da zu.
Im Trio mit Kenny Wollesen und Drew Gress wird Sylvie Courvoisier allerdings als Nächstes auf den Bühnen erscheinen und sich auf ›D’Agala‹ beziehen nach einigen Soloauftritten und Duo-Terminen mit Mary Halvorson. »In two minutes, she covers more ground than some pianists get to in a set«, wird gesagt. Courvoisier, eine Pianistenpersönlichkeit der alteingespielten Downtown-Formationen und Partnerin von Mark Feldman, geistert mit klassischen und neutönerischen Kompositionen und Improvisationen weiter durch die Musiktermine und Alben.
Titelangaben
Josephine Davies / Satori: ›In The Corner Of Clouds‹ (Whirlwind/Indigo, 2018)
Thea Florea Quartett: ›Surreal Days‹ (Bellaphon, 2019)
Roseaux: ›Roseaux II‹ (Tôt Ou Tard/Believe, 2019)
VWCR / Ken Vandermark, Nate Wooley, Sylvie Courvoisier, Tom Rainey: ›Noise Of Our Time‹ (Intakt, 2018)
Kenny Wollesen, Drew Gress, Sylvie Courvoisier: ›D’Agala‹ (Intakt, 2018 )