Musik | Folk’Avant mit ›Gryningsland‹ und Liedern wie aus Feengeschichten
Folk ist eigentlich Volksmusik und muss nicht unbedingt an Hochschulen studiert werden. Das authentische von Autodidakten ist wichtiger Teil der Überlieferung von Liedgut. Findet TINA KAROLINA STAUNER
Doch das Trio Folk’Avant kommt von der Königlichen Musikakademie in Stockholm und hat Kompositionen mit traditionellen und experimentellen Elementen im Repertoire.
Anna Wikenius ist Sängerin und Komponistin, Maija Kauhanen ist Konzertkantelespielerin und Anna Rubinsztein ist Fiddlespielerin.
Die drei stammen aus Schweden und Finnland und nennen sich Folk’Avant mit ihren Eigenkompositionen modern skandinavischen Folks. Ein Sommertag, die Hoffnung, die Stadt Budapest, Instagram im Internet oder Träumer gehören zum Themenpotpourri im Harmoniegesang der drei Frauen und ihrer Debut-CD ›Gryningsland‹. Dieses Wort bedeutet Tagesanbruch, Morgendämmerung. Über das Lied ›Ljusmontör‹ (Light Maker) notieren die Musikerinnen im Booklet: »The old tales talk about a tiny lightmaker, with eyes made of glass. He is said to find lost things under the snow and can move between day and night, time and space.«
›Gryningsland‹ bietet Melodien und Lyrics aus dem zauberhaften Skandinavien von Musikkünstlerinnen, die vielleicht mit Feen verwandt sind. Folk’Avant als weibliche Elementargeister mit Feengaben in Wäldern, Grotten und Quellen der Fantasie. Musik, mit der man sich gedanklich und gefühlsmäßig in nordische Geschichte und Geschichten der rätselhaften Vergangenheit, der abgelegenen Zeitlosigkeit und der seltsamen Visionen treiben lassen kann. Dazu verleitet besonders die auf Altertümlichem basierende, als meditativ bekannte griffbrettlose Kastenzither Kantele.
Von den Musikerinnen sind auch die Gruppen Okra Playground, Mari Kalkun & Runorum und Kongero zu erkunden.
Storytelling und Kantelen
Die Saarijärvi-Kantele, die auf ›Gryningsland‹ erklingt, bringt auf die Idee zu einem kleinen Exkurs über die Kantele-Geschichte: Finnen spielen in ihrer Volksmusik traditionell seit Hunderten von Jahren Kantelen. Diese Instrumente gehören zu der Zither-Familie und sind auch im Baltischen Raum gebräuchlich, in Kokle in Lettland, Kankle in Litauen, Gusli im Nordwesten Russlands und Kannel in Estland.
Eine einfache, ursprüngliche Kantele hat 5 oder 6 Saiten aus Pferdehaaren und ist aus einem Holzstück geschnitzt. Heutige Konzertkantelen können bis über 40 Metall-Saiten haben und sind aus mehreren Teilen zusammengefügt.
Kantelen werden auf den Knien oder auf einem Tischchen liegend gespielt und entweder mit den Fingern oder mit einem Matchstick gezupft.
In der alten finnischen Tradition wurde das beim Rune Singing und Storytelling eingesetzt und war fast Teil des Alltagslebens in der ländlichen Kultur. Die Kantele galt als Meditations-Instrument und jeder Spieler pflegte eine eigene Stilvariante und »own power«. Typisch war der Perhonjoki- oder Perhonjokilaakso-Stil und die übliche Stimmung D-Dur oder d-Moll.
Die Kraft der Kantele soll, so ein Nationalepos, stark sein können und Menschen, Tiere und Gestirne in den Bann ziehen: »Väinämoinen Finger spielen, seiner Harfe Saite tönen, Berge springen, Blöcke krachen, alle starken Felsen dröhnen, Steine bersten auf den Fluten, Kiessand wiegt sich auf dem Wasser, Fichten tanzen voller Freude, Stämme hüpfen auf der Heide.«In den Kalevala-Mythen von Elias Lönnrot aus dem 19. Jahrhundert heißt es, der Zauberer Väinämöinen sei der Erfinder der Kantele. Im Nordland Pohjola baute er aus einem Fisch- Kiefer eine erste Kantele und betörte seine Gegner. Und Folk’Avant glauben mit ihren Liedern: »Sometimes you just need hope.«
Titelangaben
FOLK’AVANT: Gryningsland
Nordic Notes, 2017