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Roman | Nanni Balestrini: Der Verleger

Der Roman ›Der Verleger‹ von Nanni Balestrini, des 2019 verstorbenen italienischen Schriftstellers und Mitbegründers der ›Gruppo 63‹, der auch Umberto Eco angehörte, ist im italienischen Original bereits vor mehr als 30 Jahren erschienen und erzählt das tragische Ende des italienischen Verlegers und linken Aktivisten Giangiacomo Feltrinelli, der 1972 bei einem Sabotageakt – er wollte mit der Sprengung eines zentralen Strommasts die Stromversorgung Mailands unterbrechen – ums Leben gekommen war. Die Umstände seines Todes – vielleicht war er nicht alleine und es war doch Mord? – wurden nie restlos aufgeklärt. Die Neuausgabe von ›Der Verleger‹ ist bei Assoziation A erschienen. Von HUBERT HOLZMANN

Balestrinis Buch kann als spannender Politkrimi gelesen werden, ist ein wichtiges zeitgeschichtliches Dokument zum Kampf der Linken in Italien und ebenso eine ganz persönliche biografische Nacherzählung der letzten Stunden. Der Verleger ist jedoch noch mehr. Wäre es dem Autor rein um die historisch überlieferten Fakten und die Erzählung der letzten Stunden Feltrinellis gegangen, hätte es ausgereicht, aus diversen Artikeln italienischer Journale zu zitieren oder in unseren Tagen die Wiki-Weblinks durchzuklicken, um die Dimensionen des fürchterlichen Unglücks zu erfassen.

Dies ist jedoch nur ein Aspekt von Balestrinis Der Verleger, der sich als Erzähllinie, die mit Zeitdokumenten und Nachrichten, Berichten vom Fund der Leiche bis zur Beerdigung Feltrinellis in den ungeraden Kapiteln durchzieht. Hier sammelt der Autor die historischen Fakten, angefangen vom Obduktionsbericht und der Rekonstruktion des Tathergangs und konfrontiert die Ergebnisse mit den dunklen, ungeklärten Punkten. Beispielsweise wurde der Tatort von der untersuchenden Staatsanwaltschaft zwar genau gesichtet, aber nur soweit das eben noch möglich war, wurde der Explosionsschaden doch von der Stromgesellschaft noch am gleichen Tag behoben. Wurden mögliche Spuren von eventuellen Beteiligten damit irreversibel vernichtet? Ein Versagen der örtlichen Polizisten oder ein System der Vertuschung mit größerer Dimension?

Ein Krimi beginnt

Die Story der polizeilichen Untersuchung, die Aufklärung der politischen Aktivitäten im Umfeld und die Unfähigkeit zur Genauigkeit und zur Transparenz der beteiligten Ermittler erinnert stark an die Ermittlungsmethoden im Fall des Oktoberfestattentats 1980 in München. Nur dass hier zunächst durchaus aus politischem Kalkül rechtsextremistische Attentäter der Wehrsportgruppe Hoffmann aus der Schusslinie genommen wurden. Wie später bei den NSU-Morden wurde der Blick auf linksextreme Täter bzw. auf Tätergruppen mit Migrationshintergrund gelenkt. Italien geriet seit dem Mailänder Bombenattentat im Jahr 1969 in das Terrorfeld rechter Strukturen aus Geheimdienst, Rechtsextremisten und der Geheimloge P2. In dem Jahr bestand kurzzeitig eine reale Putschgefahr für das Land.

Die Tat des linken Verlegers passt da nicht so recht in diese politische Nachkriegslandschaft: Balestrini fragt sich zurecht, »wie kann man nur glauben dass er der sich seit langem im Visier der Polizei weiß mit Dynamit bepackt in der Gegend herumläuft? … kurz nichts passte zusammen außer man hielte ihn für einen Verrückten … weil das … grundsätzlich Dinge seien die Faschisten Geheimdienste und Agenten des CIA machen aber nichts was Genossen machen würden«.

Es scheint also, dass der Tod des Verlegers eine Folge fataler Umstände vermischt mit Manipulation gewesen sein könnte. Dieser »letzte Tanz« eines linken Playboys und avantgardistischen Intellektuellen konnte doch nicht der eines mutwillig mordenden Terroristen sein? Unklar bleibt, was der Plan war und was – wenn überhaupt – eine posthume Inszenierung. Die Beerdigung Feltrinellis, die im Roman dramaturgisch genau nachgespielt wird, war jedenfalls eine mächtige Demonstration der Staatsgewalt und wurde nur unter außergewöhnlich großer Polizei- und Militärpräsenz überhaupt möglich.

Der zweite Handlungsstrang in Balestrinis Der Verleger erzählt die Geschichte von Freunden, Wegbegleitern, ehemaligen Partisanen und linken Künstlern und Journalisten, die von den Zeitungsmeldungen vom missglückten Anschlag überrascht wurden. Sie planen Jahre später einen Film zu den Ereignissen von damals, es soll zugleich die Wirkung auf das moderne Italien spiegeln.

Die Positionen der fünf MitspielerInnen werden vorgestellt, vermischen sich, ein Disput beginnt, keiner kann die Regie übernehmen. Das Projekt ist zum Scheitern verurteilt. Die Personen finden keine klare Linie zu den tragischen Ereignissen von damals. Was bleibt: nicht einmal »ein kleines Stück davon auszuschneiden das erlaubt dieser Geschichte wenigstens etwas Sinn zu geben«. Als Resümee bleibt: die »Auslöschung und … Mystifikation dieser Person Auslöschung Mystifikation Verschiebung Modifikation alles nur um nicht über die Sache an sich zu sprechen«.

Balestrini präsentiert seine Geschichte sehr einfallsreich, schiebt Zitate und Erinnerungsfragmente aus dieser Zeit ein und erzählt sehr temporeich: Es gibt Passagen, in denen die einzelnen Gedanken und Absätze als unendliche Melodie weitergeführt werden, verbunden durch die Kunst des Enjambements und als Variationen der Gedanken und Positionen durchgespielt. Das Übersetzerduo leistet hier ganze Arbeit. Balestrini spielt in ›Der Verleger‹ die verschiedenen Möglichkeiten durch. Seine Grundmotiv: Kann das sein?

| HUBERT HOLZMANN

Titelangaben
Nanni Balestrini: Der Verleger
Aus dem Italienischen von Christel Fröhlich und Andreas Löhrer
Berlin, Hamburg: Assoziation A 2020
152 Seiten. 18.- Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

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