Am 15. September 2007 startete die 20. »Litera-Tour« in Konstanz zur grenzüberschreitenden Lesung auf dem Bodensee. An Bord dieser Jubiläumsveranstaltung waren die Autoren Martin Walser, Evelyn Schlag, Peter Bichsel und Reinhard Schmid. Von INGEBORG JAISER
Ein Zeppelin kreist am azurblauen Himmel, der See glitzert silbern und an der Anlegestelle 3 des Konstanzer Hafens drängen Gruppen bibliophiler Damen und Herren auf die Gangway der »MS Graf Zeppelin«. Eingeladen hat der renommierte »Internationale Bodenseeclub« (IBC), der seit über 50 Jahren erfolgreich als Initiator und Impulsgeber zahlreicher Veranstaltungen, Preise und Publikationen im Bodenseeraum agiert. Geboten wird die alljährliche »Litera-Tour«, eine mehrstündige Lesung von Autoren aller drei Anrainerstaaten auf einem Passagierschiff der Bodenseeschifffahrt.
1987 startete die Veranstaltungsreihe als ein Novum mit experimentellem Charakter, noch war die Welt nicht mit Poetry Slams und Krimi-Dinners überschüttet, noch galt eine Lesung als gesittete Abendveranstaltung. »Wir wissen selbst nicht, was passieren wird«, kündigte der damalige IBC-Präsident gegenüber der Presse an. So arteten die ersten Litera-Touren schon mal in literarische Torturen aus, mit pfeifenden Mikrofonen, flüchtenden Autoren und seekranken Köchen. Die Organisatoren indes trugen es mit Contenance. Strichen die ursprüngliche Mammutveranstaltung von 10 auf 5 bis 6 Stunden zusammen, reduzierten die Zahl der Vortragenden und ließen das Catering derart verbessern, dass in Kritikerkreisen gar von literarischen »Kaffeefahrten« die Rede war.
Die hochkarätige Liste der beteiligten Autoren der letzten 20 Jahre liest sich wie ein Who’s Who der deutschsprachigen Literatur: Franzobel, Robert Gernhardt, Wladimir Kaminer, Hellmuth Karasek, Bodo Kirchhoff, Monika Maron, Raoul Schrott. Mit Martin Walser, der die diesjährige »Litera-Tour« als Vortragender auf dem Oberdeck eröffnet, schließt sich ein Kreis; nahm er doch bereits 1987 an der ersten nautischen Pioniertat teil. Als »quicklebendiger Klassiker« liest er publikumswirksam quer durch seine Tagebücher der 60er und 70er Jahre: Anekdoten, Aphorismen, Gereimtes, Notizen für Romane, Sorgen ums unbezahlte Haus, Reisebeschreibungen aus Russland. Und vergisst nicht, seinem Auftritt einen mahnenden Aufruf voran zu schicken: als »gelinden Herzensfehler« sieht er es an, dass mehr Karten verkauft wurden, als Plätze vorhanden sind.
So flanieren die überzähligen Passagiere mit einem Gläschen Meersburger Spätburgunder übers Sonnendeck, wohin die Lesungen per Lautsprecher übertragen werden und der Ausblick atemberaubend ist. Inzwischen trägt die österreichische Autorin Evelyn Schlag aus der »Architektur einer Liebe« vor, ihrem letzten, doch etwas konstruiert und leblos wirkenden Roman um die kosmopolitische Beziehung einer erfolgreichen Pariser Architektin. Die nachfolgende Pause nutzt die »MS Graf Zeppelin« für eine Wende und gleitet nun gemächlich am Schweizer Ufer entlang – das adäquate Panorama für den Auftritt von Peter Bichsel. Als Großmeister der kleinen Form begeistert er das Publikum mit seinem Kolumnentext über den minimalistischen Kneipengänger Gustav oder mit einer »saublöden« (O-Ton Bichsel), im Auftrag des Süddeutschen Rundfunks verfassten Geschichte, in der die Worte »Grappa« und »Tessin« vorkommen mussten.
Längst liegt man nicht mehr im vorgegebenen Zeitplan, ist jedoch in bester Stimmung! So steckt der letzte Autor, der Überlinger Reinhard Schmid, noch mitten in der Lesung aus seinem »Freischwimmer« (einem Roman über einen Kulturamtsleiter in der Midlife-Crisis), als die »MS Graf Zeppelin« bereits in Meersburg anlegt und die ersten Gäste überstürzt von Bord gehen. »Schlechte Zeitplanung«, entfährt es dem überrumpelten Autor, zwischen Ansagen der Organisatoren, doch bitte die noch offenen Rechnungen beim Catering zu begleichen.
Über diese letzte kleine Panne muss hinweg gesehen werden – schließlich war die diesjährige »Litera-Tour« eine überaus gelungene, rundum genussvolle, spätsommerlich entspannte Lesereise, von der mancher Gast nicht nur mit eindrücklichen literarischen Erinnerungen, sondern auch mit einem Sonnenbrand zurückgekehrt ist.