Der Mensch ist wie eine Eisschicht

Romane | Als einer von uns Laura Salinas töten wollte / Der letzte Bolero

Obwohl es in beiden neuen Romanen Tote gibt, sind es mehr als Krimis. Benjamín Prado und der im letzten Jahr verstorbene Manuel Vázquez Montalban sorgen für fein gesponnenen psychologisch motivierten Nervenkitzel auf hohem Niveau. Von PETER MOHR

»Der Mensch ist wie eine Eisschicht, man weiß nie, was unter der Oberfläche liegt«, heißt es im neuen Roman des 42-jährigen Madrilenen Benjamín Prado, der hierzulande mit seinem im letzten Jahr erschienenen erzählerischen Ehedrama ›Nicht nur das Feuer‹ auf sich aufmerksam gemacht hatte.

Drei befreundete, äußerst rätselhafte Männer treffen sich regelmäßig in einer schmuddeligen Bar: der zu Hochstapelei neigende Versicherungsangestellte Alcaén Sanchez, der von tiefen Schreibkrisen heimgesuchte Schriftsteller Iker Orbaíz und der ordnungsbesessene Arzt Ángel Biedma. Gleich auf der ersten Seite erfahren wir, dass »einer von uns dreien gestern Abend gegen halb zwölf das Haus verließ, um Laura Salinas zu töten.«

Doppelter Boden

Als einer von uns Laura Salinas töten wollteAutor Benjamín Prado lässt uns dies durch einen auktorialen Erzähler berichten, denn neben dem spannenden Haupterzählstrang birgt dieser Roman auch noch eine zweite, hochartifzielle Ebene, in der die Literatur selbst, ihre Entstehungsbedingungen und das Spiel mit der dichterischen Fantasie im Mittelpunkt steht.

Die Grenzen zwischen den beiden Handlungssträngen lässt Benjamín Prado verschwimmen, denn Iker Orbaíz, einer des Kneipentrios, schreibt (keinesfalls zufällig) an einem Roman über einen »Mann, der in seinen eigenen Träumen nicht vorkommt.« Dabei bedient er sich des Namens und auch gewisser Eigenschaften des Freundes Alcaén Sanchez.

In Sanchez‘ wirklichem Leben kommt es zu einer folgenschweren Zäsur. Der Versicherungsangestellte begegnet der attraktiven Maklerin Laura Salinas. Er fürchtet fortan nichts so sehr, als das sein Schwindel auffallen könnte, dass Laura entdeckt, dass er kein solventer Kunde, sondern nur ein mickriger Angestellter ist.

Laura Salinas, die ein erotisches Spiel zwischen totaler Hingabe und völliger Unnahbarkeit treibt, bringt Sanchez soweit, dass er gar mit dem Gedanken spielt, den Tresor seines Arbeitgebers auszurauben. Am Ende gibt es eine Leiche, und eine Person sitzt im Gefängnis. Mehr sollte an dieser Stelle nicht verraten werden.

Subtile Menschenbilder, authentische Dialoge und beinahe lyrische Passagen (im Original ist der Roman ›La nieve esté vacía‹ betitelt, dt.: ›Der Schnee ist leer‹) fügen sich zu einem harmonischen Ganzen. Benjamín Prado hat nicht nur einen spannenden, bisweilen etwas verspielten, sondern auch einen hoch poetischen Roman vorgelegt.

Ein Höchstmaß an Spannung kennen wir aus den zahlreichen Pepe-Carvalho-Romanen des im Oktober verstorbenen Katalanen Manuel Vázquez Montalban. »Carvalho kann nicht mehr so weitermachen wie früher, das passt weder zu seinem Alter noch zur Welt von heute mit ihren neuen Formen von Kriminalität und organisiertem Verbrechen«, hatte der Autor kurz vor seinem Tod erklärt.

Leichte Alters-Melancholie

Der letzte BoleroSo geht es im (laut Verlagsangaben) vorletzten Roman um den versnobten, den lukullischen Genüssen zugetanen Privatdetektiv aus Barcelona auch etwas melancholisch zu. Zwar stehen Ermittlungen gegen katalanische Nationalisten, blutrünstige Satanisten und alte Seilschaften aus der Franco-Zeit vordergründig im Zentrum, eingerahmt werden sie jedoch von Carvalhos Problemen mit dem Älterwerden, vom Auftauchen diverser Frauen, mit denen er verschiedene Lebensetappen verbracht hat.

Er erhält geheimnisvolle Faxe, eine Hure, mit der seit Jahren befreundet ist, taucht als steinreiche Geschäftsfrau plötzlich wieder in Barcelona auf, und seine alte Jugendliebe trifft er im Leichenschauhaus wieder. Die Tote hatte Carvalho zuvor das Angebot gemacht, ihm den Junggesellen-Lebensabend zu verschönern. Der Autor steigert die Spannung bis zur letzten Seite, dann fällt am Strand von Barcelona noch ein tödlicher Schuss.

Manuel Vázquez Montalban, dessen Werke in 24 Sprachen übersetzt wurden, hat sich mit der literarischen Figur des Privatdetektivs Pepe Carvalho, die autobiografische Züge enthält, schon zu Lebzeiten selbst ein Denkmal gesetzt. Freuen wir uns schon jetzt auf den noch ausstehenden unveröffentlichten letzten Roman aus seiner Feder.

| PETER MOHR

Titelangaben
Benjamin Prado: Als einer von uns Laura Salinas töten wollte
Aus dem Spanischen von Matthias Strobel
München: Luchterhand Verlag 2004
190 Seiten, 19 Euro

Manuel Vázquez Montalban: Der letzte Bolero
Aus dem Spanischen von Theres Moser
Münschen: Piper Verlag 2004
286 Seiten, 18,90 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Familiärer Hurrikan

Nächster Artikel

Ein unschlagbares Duo

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Bluttaten im Burgtheater

Krimi | Koytek & Stein: Wien kann sehr kalt sein ›Wien kann sehr kalt sein‹ ist der vierte Fall für den ehemaligen Polizisten Conrad Orsini, den die beiden Autoren Lizl Stein und Georg Koytek – sie von Hause aus Musikerin und Komponistin, er 16 Jahre als Tontechniker am Wiener Burgtheater beschäftigt – erfunden haben. Diesmal geht es für den risikofreudigen Mann »undercover« auf Österreichs Vorzeigebühne. Orsinis Ex-Kollegin Paula Kisch von der Wiener Kripo hält ihm bei diesem gefährlichen Job wie immer den Rücken frei. Und schon bald ist klar: In dem berühmten Musentempel gibt es kaum jemand, der nicht von

Die Rache des Phantoms

Roman | Alex Beer: Felix Blom. Der Häftling aus Moabit

Berlin 1878. Als der Dieb und Betrüger Felix Blom nach drei Jahren Einzelhaft wieder freikommt, stehen zwei Dinge auf seiner Agenda: sich an dem Mann zu rächen, der ihn mit einem hinterhältigen Trick ins Gefängnis gebracht hat, und wieder in jene Kreise aufzusteigen, in die er es schon einmal geschafft hatte. Allein er hat mächtige Widersacher. Die Polizei sähe den raffinierten Burschen, der sie jahrelang an der Nase herumgeführt hat, am liebsten wieder sicher verwahrt. Und sein Konkurrent um die Gunst der schönen Auguste Reichenbach, Baron Albert von Mesar, beeilt sich, der begehrten Bürgerlichen einen Antrag zu machen, um nicht noch einmal ins Hintertreffen zu geraten. Und schließlich ist da auch noch ein Psychopath mit Todesankündigungen unterwegs, auf dessen Schwarzer Liste Blom ziemlich weit oben zu stehen scheint, ohne dass er weiß, womit er sich diese zweifelhafte Ehre verdient hat. Von DIETMAR JACOBSEN

Du musst nur den richtigen Knopf drücken

Roman | Junot Díaz: Und so verlierst du sie

Junot Díaz hat mit seinem Roman Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao (2012), einem erstaunlich kuriosen Debüt, überrascht. Jetzt legt er einen neuen Roman in 9 Storys ›Und so verlierst du sie‹ vor. Wieder geht es um einen jungen Latino, diesmal heißt der Ich-Erzähler Yunior, der manchmal peinlich naiv und ehrlich, dann wieder voll Selbstironie und kritischer Distanz über sein Leben plaudert. Ein erstes Geständnis verändert dabei nur scheinbar sein Leben. ›Und so verlierst du sie‹ ist absolut kein Entwicklungsroman. Oder doch? – fragt sich HUBERT HOLZMANN

Wer ist Frank Pike?

Roman | Peter Mann: Der Ire

Eigentlich hat ihn der deutsche Abwehr-Mann Adrian de Groot – von Hause aus Philologe, Literaturkenner und Übersetzer – 1940 aus einem spanischen Gefängnis nach Berlin geholt, damit er eine wichtige Rolle bei der geplanten deutschen Invasion Großbritanniens spielen kann. Denn Proinnsias Pike war gut vernetzt in der irischen IRA-Szene, bevor er sich den Internationalen Brigaden in Spanien anschloss und dort in Gefangenschaft geriet. Nun könnte er den Nazis von Nutzen sein, die sich auf der Suche nach Verbündeten auf der Insel befinden und dazu auf die jahrhundertealte Abneigung der Iren gegenüber den Engländern aufzubauen gedenken. Der Plan ist gut überlegt – aber haben sich die Deutschen tatsächlich den Richtigen für seine Umsetzung ausgesucht? Von DIETMAR JACOBSEN

Einmal London und zurück

Roman | Judith Kuckart: Wünsche Judith Kuckarts Roman ›Wünsche‹ steckt voller Sehnsüchte und Wünsche, ist allerdings kaum ein sentimentales »Wunschkonzert« – findet PETER MOHR