Seine Brenner-Romane haben längst Kultstatus erreicht, sein Hang zur Sprachkapriolen begeistert Leserschaft wie Kritik. Nun setzt der österreichische Autor Wolf Haas auch die Protagonisten seines neuen Werks Wackelkontakt gehörig unter Strom. Ein morbider Mafiaroman aus wechselnden Erzählperspektiven und Zeitebenen umwickelt das Geschehen wie ein Möbiusband. Von INGEBORG JAISER
Wer kennt das nicht: ein Handwerker ist bestellt und man versucht, sich die Wartezeit bis zu seinem Eintreffen durch ablenkende Tätigkeiten zu verkürzen. So ergeht es auch Franz Escher, einem nur mäßig erfolgreichen Trauerredner mit zwei großen Leidenschaften: Puzzles jeglichen Schwierigkeitsgrades und Bücher über die Mafia (»Ndrangheta, Cosa Nostra, Camorra, er fraß die Bücher regelrecht. Sachbücher, Romane, historische Studien […] Die berüchtigten Familien kannte er besser als seine eigene, die diese Bezeichnung kaum verdiente.«)
Stromschlag mit Folgen
Als der Elektriker schließlich eintrifft, hat Escher bereits Hokusais Die große Welle mit nur 500 Teilen zu Ende gelegt und sich in seinen aktuellen Roman vertieft. Der handelt vom italienischen Mafioso Elio Russo, der in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen wird und als Marko Steiner ein neues Leben in Deutschland beginnen soll. Eine spannende Lektüre, von der Escher auch dann nicht mehr lassen kann, als sich der Elektriker bereits ans Werk macht, um eine neue Steckdose zu montieren. Weit kommt der Handwerker allerdings nicht, bis ihn der Schlag trifft und er tot zu Boden sinkt. Schuld ist ein Missgeschick am Sicherungskasten. Doch das behält Escher besser mal für sich.
Und man ahnt schon, dass dies nicht das einzige Vergehen sein wird, sondern der Beginn einer langen Abfolge von Verwicklungen und Verwerfungen. Denn zu allem Überfluss liest der Kronzeuge Marko Steiner zugleich ein Buch, in dem ein Trauerredner auf einen Elektriker wartet. Matrjoschkagleich taucht eine Geschichte in der nächsten auf, kunstvoll miteinander verwoben und gespiegelt, wie durch ein mehrfach verschlungenes Band. Jede Figur, jede Handlung hat mindestens zwei Seiten, je nach Perspektive und Blickwinkel. Ganz wie in den Werken des niederländischen Grafikers M.C. Escher, in der eine Hand die andere zeichnet, ein Fluss vermeintlich bergauf fließt. Sollte alles nur eine (optische) Täuschung sein?
Zeit als Endlosschleife
Während die beiden Handlungsstränge im ersten Teil (»OFF«) noch parallel nebeneinander herlaufen, werden sie im zweiten Teil (»ON«) immer dichter miteinander verzwirbelt und verdrahtet, so dass die verschiedenen Orts- und Zeitebenen mal im selben Abschnitt, mal im selben Satz hin- und herspringen. »Wir haben sowieso eine falsche Vorstellung von der Zeit. Unsere Vorstellung ist zu linear. Wir glauben, es geht in eine Richtung. Man muss es sich aber wie eine Schleife vorstellen.« Allein diese Einsicht kann einem als Leser schon den Stecker ziehen. Würde das Geschehen nicht noch im Spannungsfeld zwischen dem kalabrischen Aspromonte, dem mafiös unterwanderten Duisburg und dem vermeintlich harmlosen Wien oszillieren.
Zwischendrin blitzt herrliche Sprachakrobatik auf, ein britzelndes Zischen an Wortspielereien und Wendungen, mal verkleidet als Trick 17 oder Einserschmäh, mal getarnt als Dissertation mit dem Titel Be- und Enthauptungen in der Malerei von 1520 bis 1620. Glaubt man, die ersten 100 Seiten dieses kuriosen Mafiaromans noch häppchenweise lesen zu können, nehmen Tempo und Dichte so rasant zu, dass man bald das Buch nicht mehr aus den Händen legen mag. Auch aus Angst, beim nächsten Wackelkontakt den Anschluss zu verpassen. Denn Wolf Haas hat seinen rekursiven Täuschungsroman so clever konzipiert, dass man ihm nicht einfach auf die Schliche kommt. Zur Beruhigung der angespannten Nerven hat der Verlag noch einen besonderen Gag im Angebot. Während eine passende Playlist zum Roman inzwischen schon zum guten Ton gehört, kann der vom Wackelkontakt angefixte Leser hingegen das Covermotiv als 1000-Teile-Puzzle erwerben. Eher ein Fall für Tüftler.
Titelangaben
Wolf Haas: Wackelkontakt
München: Hanser Verlag 2025
240 Seiten. 25 Euro
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