Wer an Anne Frank denkt, denkt an ein Mädchen, das sich mit ihrer Familie vor den Nazis verstecken musste und daran, dass sie das die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten nicht überlebte. Was bleibt, ist ihr Tagebuch. Aber eben nicht nur das, freut sich ANDREA WANNER.
Von Juli 1942 bis August 1944 lebte Anne Frank mit ihrer Familie versteckt in einem Hinterhaus in Amsterdam. Ihre Erlebnisse dort und ihre Gedanken hielt sie in ihrem Tagebuch fest, das ihr Vater nach dem Krieg veröffentlichte. Aber es entstand auch anderes. Anne Frank selbst notierte dazu: »Ich habe vor ein paar Wochen angefangen, mal eine Erzählung zu schreiben, etwas, das vollkommen erfunden ist, und das hat mir so eine Freude bereitet, dass meine Füller-Kinder sich stapeln.« Parallel zu ihrem Tagebuch vertraut sie ihre Texte einem eigenen Heft an, hält Ereignisse aus dem Hinterhaus fest, Erinnerungen an den Schulbesuch und träumt sich hinaus in die Welt.
Die junge Autorin beginnt als Beobachterin, schaut Herrn Pels beim Wurstmachen zu, beschreibt ein »Mittagspäuschen« oder einen Sonntag, wirft einen detaillierten Blick in das Zimmer von Peter Pels. Sie denkt nach über Fragen wie »Warum?« oder »Geben!« und schreibt schließlich freie eigene Geschichten, darunter auch Märchen.
Anne Frank bedauert, dass sie nicht zeichnen könne. Dafür haben jetzt über vierzig renommierte Illustratorinnen und Illustratoren mit je ganz eigener Handschrift die Arbeit übernommen, ihre Texte mit Bildern zu versehen. Daraus entstand eine wunderbare Mischung aus witzigen Szenen wie die Geert Gratama, der »Eine Mathematik-Stunde« und den Mathelehrer Herrn Keesing zum Leben erweckt, von der Natur inspirierte Impressionen wie die von Britta Treckentrup zu »Joke«, einem sehr nachdenklichen Text über ein verzweifeltes Mädchen, das Trost in der Natur findet oder eher Mystisch-Spirituelles wie Gitte Spees Bild zu »Angst«. Thé Tjong-Khing setzt Anne Frank in ihrer Geschichte »Filmstar-Illusion« in Pose und Axel Scheffler erfindet ein Märchenbild zu »Der weise Zwerg«.
Es sind zu Papier gebrachte Ideen und Gedanken, die von Annes großem Zukunftstraum erzählen, eine große Schriftstellerin und Journalistin zu werden. Manches ist noch klischeehaft, vieles sehr treffend beobachtet und gut formuliert. Sie hätte sicher das Zeug dazu gehabt, es noch weit zu bringen – es sollte nie dazu kommen. Was bleibt, ist neben ihrem Tagebuch dieser besondere Band.
Titelangaben
Anne Frank: Füller-Kinder
Erzählungen und Ereignisse aus dem Hinterhaus
(Pennekinderen. Verhaaltjes en gebeurtenissen ut het achterhuis, 2024)
Originalmanuskript übersetzt und bearbeitet von Ruth Löbner
Berlin: Jacoby & Stuart 2025
260 Seiten, 30 Euro
Jugendbuch ab 12 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander
Reinschauen
| Leseprobe