Ambivalente Ideologiekritik

Digitales | Games: Doodle Jump

Das iPhone als mobile Spieleplattform hat die Unschuld seiner Kinderzeit längst hinter sich gelassen. Einer der meistgespielten und -beachteten Titel für die eierlegende Wollmilchsau aus dem Hause Apple ist ›Doodle Jump‹. Von außen betrachtet gibt sich das Spiel als ein harmloser Plattformspaß, doch bei genauerer Betrachtung entpuppt es sich als Munition für die kapitalismuskritische Argumentationsflakbatterie. Eine nicht ganz so ernst gemeinte Manöverkritik von RUDOLF INDERST

Doodle jumpSeit dem 22. November 2009 ist die Welt der mobilen Spieler nicht mehr dieselbe: Das Jump’n’Run ›Doodle Jump‹ betritt auf dem iPhone die Bühne der tragbaren Unterhaltung und Bespaßung. Es handelt sich um ein Spiel, das für den Bewegungssensor des Applegerätes wie geschaffen scheint. Spieler, die sich auf den Titel einlassen, bekommen es mit dem »Doodler« zu tun, einem vierbeinigen gelb-grünen Wesen.

Ziel ist es nun, auf einer endlosen Reihe von Plattformen immer höher zu springen, ohne dabei herunterzufallen. Durch Neigen und Drehen des iPhone springt der Doodler in die gewünschte Richtung. Das macht das kleine Wesen übrigens automatisch. Auch auf Power-Upsstößt der geneigte Spieler, wie etwa Trampoline, Sprungfedern oder Jetpacks. Diese sorgen für ein noch schnelleres Vorankommen nordwärts. Genretypisch tauchen allerdings auch Gegner auf, die wiederum durch Tippen auf den Bildschirm mit Kugeln beschossen werden können.

Das neue Tetris?

Nicht wenige Stimmen ließen sich zu der Bemerkung hinreißen, bei ›Doodle Jump‹ handle es sich um das »Tetris für das iPhone«. Damit spielten die Autoren natürlich auf die Tatsache an, dass Nintendos GameBoy vielleicht nie den Erfolg gehabt hätte, den er hatte, ohne das Musterpuzzlespiel ›Tetris ›des russischen Programmierers Alexey Pajitnov. Hier greift sofort die alte Branchenweisheit »software sells hardware«.

Ob sich nun aber aufgrund von ›Doodle Jump‹ mehr Konsumenten für ein iPhone entscheiden, sei dahingestellt. Schon eher könnte man den Vergleich auf die Tatsache des verführerisch einfachen Spieleinstiegs und den vom Volksmund so sehr missbrauchten Begriff des Suchtfaktors zurückführen: Eine Mischung aus Immersion und Flow-Erlebnis – wie es der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi beschreibt. Die Konzeption des Flows beschreibt das Einssein mit sich und dem Absolvieren der aktuellen Aufgabe. Sowohl Zeit als auch Raum verlieren ihre Bedeutung für den Moment.

Kapitalismus 101

›Doodle Jump‹ weist durchaus diese Merkmale auf. Allerdings werden inhaltlich noch ganz andere Motive bedient! Schauen wir uns doch einmal das Spiel genauer an. Schon bald ist ganz gut erkennbar, dass nicht weniger als eine eindeutige und nachhaltige Porträtierung heutiger Verhältnisse zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber vorliegt. Der Doodle, das Wesen erinnert schwer an einen nicht sonderlich intelligenten Einzeller, lässt sich problemlos als Arbeitnehmer identifizieren, der sich den strukturellen Zwängen des Arbeitsmarktes unterwerfen muss – konkreter: den Zwängen des Karrierismus innerhalb unseres Turbokapitalismus! Dieses Manchestertum treibt den armen Kerl dazu, ohne zu fragen, ohne zu zögern, ja, ohne innezuhalten, immer weiter nach oben zu springen. Oder viel mehr springen zu wollen. Denn Sicherheit gibt es in diesem »Spiel« nicht! Es geht um ein Vorankommen im Beruf, alle Mittel, NOCH schneller die Karriereleiter nach oben zu klettern, sind dabei willkommen. Die diversen Hilfsapparaturen, wie Sprungfedern und Ähnliches, stellen die vermeintlich schmutzigen Tricks dar, die sich der Arbeitnehmer genehmigen muss, um sein Bestehen im Beruf, sein Fortwähren im radikal-freien Markt zu sichern: Gefälschte Lebensläufe, fiktive Referenzen und ruchloses Mobbing!

Kreislauf ohne Besinnung

Pausenloses Wachstum ist Ziel und Maxime! Immer höher und niemals zurückblicken. Der Absturz ist immer präsent und nur ein Wackeln der Hand entfernt, so wie das einfache Klicken auf »Senden« der falschen E-Mail eine Karriere beenden kann. Gesellschaftliche Institutionen wie etwa Gewerkschaften werden als schmierige Zwischenbosse eingestreut, die ein weiteres Aufsteigen in der Tretmühle des Berufs verhindern sollen. Sie sind widerliche Bremser, die mit äußerster Entschlossenheit sprichwörtlich von der Bildfläche ge»fegt« werden müssen. Natürlich ahnt der Arbeitnehmer/Spieler tief in seinem Inneren etwas. Er weiß, dass dieses Spiel nicht gewonnen werden kann, der Absturz ist praktisch vorprogrammiert und Teil des Systems. Und dennoch lässt er sich vom Goldenen Kalb locken und verführen – die Prestigehaftigkeit lockt wie die Leuchtreklamen der Innenstadt!
 
Es ist den Machern von ›Doodle Jump‹ zu danken, dass sie den Spielern die Augen über unseren zweifelhaften Wirtschaftskreislauf ohne Besinnung öffnen wollen: Gesellschaftlich kritischer Diskurs findet offensichtlich zu unserer großen Freude auch in digitalen Spielen statt.    
 
linear, minimalistisch, fesselnd  

| RUDOLF INDERST

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Stets eine blutige Antwort parat

Nächster Artikel

»How do you like that, motherfucker«

Weitere Artikel der Kategorie »Digitale Spiele«

Ungewaschene Götter auf dem Nerd-Olymp

Digitales | Games: Die Most Epic Game Moments der TITEL-Schreiber Digitale Spiele schenken ihren Spielern Geschichten über heroische Momente, Epiphanien und Triumphe über sich und andere. Heute teilen die Autoren des Digitale-Spiele-Ressorts in ›TITEL‹ ihre »Most Epic Gaming Moments« mit uns. Zusammengestellt von PETER KLEMENT

Der Beuteldachs ist zurück!

Digitales | Games: Crash Bandicoot N.Sane Trilogy ›Crash Bandicoot‹ erschien seinerzeit exklusiv für die erste PlayStation Generation und erfreute sich als 3D-Jump’n’Run großer Beliebtheit. Damals, entwickelt von Naughty Dog, sind die ersten drei Teile der Serie so populär geworden, dass man den Beuteldachs sofort als Maskottchen mit Sony in Verbindung brachte. Von LINH NGUYEN.

Nicht Final, aber Fantasy

Digitales | Games: Octopath Traveler ›Octopath Traveler‹ schien so etwas wie der Heilige Gral all derer werden zu können, die sich nach der goldenen, der guten Zeit japanischer Rollenspielkunst zurücksehnten: Wundervoll animierte 2D-HD Sprites, inspiriert aus Spielen wie ›Final Fantasy VI‹ oder ›Grandia I‹, eine komplexe, über mehrere Wege führende Erzählstruktur, ähnlich zu ›Live-A-Live‹, sowie eine Vielzahl verschiedener Nebenquests, Charakterklassen und Entscheidungsmöglichkeiten. Kurzum – ein Spiel mit viel Potential, das leider eben solches durch altbekannte Square Enix Probleme verschenken wollte. Von DANIEL MEYER.

Welt(raum)reise

Digitales | Games: Affordable Space Adventures Nicht mehr per Anhalter, sondern mit Reisegesellschaft durch die Galaxis. Das verspricht das exklusiv für die Wii U erschienene Indie-Game ›Affordable Space Adventures‹. Um das Weltall zu entdecken, sind nicht nur Geschick und Köpfchen gefragt, sondern auch die fachgerechte Anwendung des Gamepads – schließlich sollen die Funktionen voll ausgeschöpft werden. Mit einer Crew von bis zu drei Personen und einer (mehr oder weniger) fairen Arbeitsaufteilung kann die abenteuerliche Tour auf fremden Planeten losgehen. Doch Vorsicht, es ist nicht alles so friedlich, wie es scheint. Mit an Board: PHILIPP LINKE.

Make Pokémon great again!

Digitales | Games: Pokémon Sonne und Mond Da schwingt sie wieder, die alte Nostalgiekeule. Nun sind es bereits 20 Jahre, in denen sich kampfeslustige Taschenmonster auf unseren Bildschirmen tummeln. Pünktlich zum Jubiläum brachte die Entwicklerfirma Game Freak die Editionen ›Pokémon Sonne‹ und ›Mond‹ für den Nintendo 3DS auf den Markt, die einen kleinen Wendepunkt in der Geschichte des Handheld-Urgesteins markieren. Uns erwartet eine faszinierend neue, tropische Welt, die es wahrlich zu erkunden lohnt. DANIEL MEYER fängt sie alle.