Menschen | Comic | Interview mit Barbara Yelin
Mit Barbara Yelin hat sich PETER KLEMENT getroffen. Und führte ein Gespräch über Bleistifte, alte Meister und Reisen in die Vergangenheit.
Du benutzt fürs Zeichnen am liebsten einen Bleistift. Was sind die Vorteile dieser Arbeitsweise?
Ich arbeite so, dass ich den Bleistift fast malerisch benutze. Das heißt, ich mache erst eine Vorzeichnung und zeichne die eigentliche Zeichnung in den meisten Fällen erstmal dunkel, fast schwarz. Dann fange ich an, die Formen mit einem Radiergummi herauszuarbeiten. Dann setze ich wieder schwarz. Es ist eine Art Schichtarbeit: Eine Schicht Graphit, dann setze ich wieder den Radiergummi an und danach kommt wieder eine Schicht Graphit, solange bis die Räumlichkeit, die Atmosphäre und die Beleuchtung für mich stimmen.
Hast du schon mit anderen Stilmitteln experimentiert?
Ich habe auch schon farbig gearbeitet. Mein letztes Buch in Frankreich, Le retard, ist mit Buntstift gemacht. In der Anthologie Pomme d’amour ist die Kolorierung meines Beitrages am Computer entstanden, nachdem ich die Grundzüge mit Bleistift gezeichnet hatte. Bei Gift war mir wichtig, dass das eins zu eins auf dem Blatt sitzt. Tatsächlich war am Anfang sogar eine Zusatzfarbe geplant; ich habe dann aber irgendwann gemerkt, dass es das nicht braucht. Diese Graustufen waren genug und durchaus ausdrucksstärker.
Dein Lieblingsmittel sind aber die Stifte?
Ja. Ich setze gerne eine Technik ein, mit der ich immer weiter arbeiten kann. So kann ich etwas verändern oder verbessern. Das ist bei Tusche anders, die steht dann eben auf dem Blatt. Ich finde das auch ganz spannend, wenn man sieht, da habe ich radiert. Oft sind es viele Zeichnungen übereinander, es ist noch nicht ganz fest, was am Anfang drauf ist. Mit der Zeit ändert sich das Bild. Es entwickelt sich in einem Prozess.
Dunkle Räume, alte Meister
Reden wir ein bisschen über Gift. Düstere Bilder, unterschwellig bedrohliche Räume. Mich hat das ein wenig an Metropolis erinnert. Könntest du ein bisschen über die räumliche Gestaltung reden?
Ich glaube, ich arbeite schon auf eine Art filmisch. Die Inspiration für die Gestaltung von Gift hab ich allerdings von total verschiedenen Stellen. Ich würde nicht sagen, dass ich mich bewusst am expressionistischen Film angelehnt habe. Ich habe mich tatsächlich von alten Zeichnern inspirieren lassen, beispielsweise von Francisco de Goya. Aber auch bei Rembrandt findet sich diese Beleuchtung, die ich so spannend finde. Allgemein habe ich mich natürlich von diversen Filmen und Comics inspirieren lassen.
Wenn wir gerade bei Comics als Inspirationsquelle sind: Will Eisner hat ebenfalls bedrohliche Stadtbilder gezeichnet. Kommt da ein Stückchen Inspiration für Gift her?
Ja, Will Eisner kann man durchaus inspirierend nennen! (Lacht). Ich finde es immer schwierig zu sagen, woher ich meine Ideen beziehe. Ich habe kein bestimmtes Vorbild. Natürlich schaut man sich um, aber während der Arbeit setze ich mir eher Scheuklappen auf. Denn wenn man zu viel nach rechts und links guckt, kann man sich schnell in einer völlig anderen Richtung verlieren. Ich glaube, das geht vielen so. Konzeptuell arbeite ich sehr am Entwurf: Wie läuft die Geschichte, wie läuft die Dramaturgie am Storyboard. Danach arbeite ich sehr intuitiv, was ich auch sehr spannend finde. Die Zeichnungen durchlaufen einen Prozess und irgendwann sehe ich, dass es jetzt stimmt. Aber ich kann vorher nicht sagen, wie es aussehen wird.
Sind die Stadtansichten historisch?
Ja, zumindest überall da, wo wir Quellen hatten. Ich habe eine super Bildquellenmappe von Peer Meter bekommen, der schon ziemlich viel zusammengesucht hatte. Ansonsten habe ich im Internet recherchiert und nach alten Stichen gearbeitet, teilweise auch nach alten Photographien. Die Photographie wurde zwar erst nach 1831 erfunden, aber ich habe eben das Älteste, was man so kriegt, verwendet. Die jeweiligen Perspektiven dieser Stadtansichten sind dann natürlich aus meiner Feder beziehungsweise meinem Bleistift.
Dunkler Stoff aus Bremen
Wie war die Zusammenarbeit mit dem Autor? War es eine strikte Arbeitsteilung oder konntest du auf das Szenario Einfluss nehmen?
Wir haben schon verschränkt miteinander gearbeitet. Vom Szenario gab es beispielsweise vier verschiedene Fassungen, vom Storyboard immerhin fast zweieinhalb. Sobald ich das Storyboard entworfen hatte, hat man natürlich gesehen, an welchen Stellen das Bild, die Zeichnung, erzählen, was bisher der Text erzählt hat. Eines davon muss dann raus, sonst würde es sich doppeln. Das ist, was den Comic spannend macht, die Erzählung, die durch das Bild läuft und sich mit dem Text verschränkt. Daher muss das Bild geändert werden, sobald sich etwas am Text ändert und umgekehrt.
Die Zusammenarbeit war schon kooperativ und gleichberechtigt. Konkret haben wir ziemlich viel über die Figur der Erzählerin diskutiert, die Figur der Giftmörderin war ja durch die Verhörprotokolle schon stark vorgezeichnet. Aber die Figur der Erzählerin war ein Stück weit natürlich meine Identifikationsfigur und auch die des Lesers, glaube ich. Über die Figur haben wir uns viel unterhalten und da hat sich mit der Zeit auch einiges geändert.
Gab es also ein starkes persönliches Interesse an dem Stoff?
Alles, was ich zeichne, alles, an dem ich arbeite, interessiert mich. Ich muss ein persönliches Interesse daran haben, sonst funktioniert es nicht. Das Interesse kommt aber ja auch mit dem Zeichnen, mit der Beschäftigung mit einem Stoff.
Wie kam es denn zu der Zusammenarbeit, wie hat man sich gefunden?
Über Paul Derouet (Chef der Comic-Agentur Contours, Anm.d. Red.), der ja ein Bekannter von Peer Meter ist, die kennen sich schon seit geraumer Zeit. Peer Meter hat in den Neunzigern schon Bücher über die Giftmörderin von Bremen veröffentlicht. Für die erste Fassung eines Comic-Szenarios dieses Stoffes suchte er dann einen Zeichner und Paul hat ihm Sachen von mir gezeigt. Er fand, dass würde gut passen und daher hat er mich angeschrieben und angefragt, ob ich die Zeichnungen dazu anfertigen würde. Ich habe das Szenario gelesen und fand das interessant und so kam es zu der Zusammenarbeit. Das ist jetzt auch schon dreieinhalb Jahre her.
Wie lange arbeitet man denn an so einem respektablen Werk von 200 Seiten?
Die Arbeit an sich ging über zwei Jahre, zumindest bei mir. Ich habe in den zwei Jahren ziemlich intensiv daran gearbeitet; ich habe zwar noch ein, zwei Sachen nebenher gemacht, aber es war definitiv mein Hauptprojekt. Vor allem das zweite Jahr, in dem letztendlich die tatsächliche Zeichnung, die Reinzeichnung entstanden ist – obwohl »Reinzeichnung« bei meinen Sachen nicht so passt, finde ich. Ich habe ungefähr eine Seite pro Tag geschafft. Aber bis man das Storyboard hat, die Strukturen gelegt sind und die Dramaturgie gebaut ist, das hat schon ziemlich gedauert. Das sind die Teile, die man später nicht sieht, die aber auch enorm wichtig sind.
Das klingt, als hätte es auch Durststrecken gegeben.
Die gibt es immer. Letzten Sommer bin ich drei Monate aufs Land und habe mir ein Landatelier eingerichtet, das war eigentlich die produktivste Zeit. Dort war ich wirklich abgeschottet von allem und habe einfach gezeichnet, gezeichnet, gezeichnet. Dort ist dann ein respektabler Teil der Seiten entstanden. Aber schon in der Konzeption kam ich immer wieder an Punkte, wo ich mir gedacht habe: »Schaffe ich das, mit diesem echt dunklen Stoff?« Auch bei der Ausarbeitung der Seiten waren zwischendrin solche Stellen, wo ich zwar nie aufgehört hätte, aber gemerkt habe, dass mich das echt angeht. Das war schon ganz schön hart. Jetzt ist es ein paar Monate her, dass ich fertig bin, so langsam merke ich, wie ich da wieder rauskomme. Das hat mich schon ziemlich eingesponnen.
Gift und gute Gefühle
Schlagen wir den Bogen vom Landatelier zurück zu deinem Atelier in Berlin. Du arbeitest dort ja mit zwei Kolleginnen. Wie läuft das im Atelier, beeinflusst ihr euch gegenseitig?
Bestimmt, allerdings arbeiten wir ganz selten zusammen an Projekten. Das ist ein Freiberufleratelier mit Illustratorinnen und Graphikerinnen. Aber ich finde das sehr gut, mit anderen Leuten im Raum zusammenzuarbeiten und sich tatsächlich gegenseitig Feedback zu geben, das ist super. Das sind teilweise Kolleginnen, die mich und vor allem auch meine Arbeit schon lange kennen. Da kann man Prozesse wirklich extrem verkürzen, indem man einfach mal fragt: »Was denkst du drüber?« Diesen Austausch finde ich total wichtig, gerade wenn man unterschiedlich arbeitet.
Du bist für Gift in Erlangen nominiert worden. Gutes Gefühl, oder?
Ja, das freut mich total. Ich mache das jetzt ja schon länger, die ersten zwei Bücher wurden ja in Frankreich verlegt und dass ich jetzt in Deutschland ankomme, das freut mich schon.
Was hast du in nächster Zeit vor, jetzt nachdem Gift fertig ist?
Gerade ist unser nächster Band von ›Spring‹ in den Druck gegangen, das war das letzte Projekt. Spring ist ein Magazin von Zeichnerinnen aus Berlin und Hamburg, das wir schon seit 6 Jahren machen. Jetzt kommt Nummer 7 raus mit dem Titel ›Happy Ending‹, da freue ich mich drauf. Dann habe ich soeben einen 12-seitigen Operncomic gemacht, eine Auftragsarbeit für die Bayerische Staatsoper. Im Sommer möchte ich aber wieder einen neuen Comic anfangen, mit einer eigenen Geschichte, man wird sehen, was dabei raus kommt.
Was für Projekte hast du denn neben Comics?
Ich mache Illustrationen, um ein bisschen Geld zu verdienen. Das ist total unterschiedlich: Scribbling für ein Storyboard, aber auch Illustrationen für ein Kinderbuch oder für Zeitschriften. Ich schätze, ich mache 60% Comics und 40% Illustrationen, eine schöne Kombination.
Ich nehme an, dass man in Comics Dinge lernt, die für Illustrationen nützlich sind und umgekehrt?
Genau, das finde ich auch gut. Wenn da so ein strenger Arbeitgeber sitzt, der sagt »Nein! Ich will, dass das Gesicht so und so ist«, dann flucht man schon total. Aber das zu machen, bringt für die andere Arbeit viel.
Vielen Dank für das Interview.
| PETER KLEMENT
| Abb: Goesseln, Barbara Yelin 2015-102, CC BY-SA 4.0