/

Herta Müller und die Wörter

Menschen | Herta Müller: Lebensangst und Worthunger

»Ich wurde lebenshungrig, gespenstisch erpicht aufs Leben, und sei es noch so kompliziert.« Herta Müller im Gespräch mit Michael Lentz. Von THEO BREUER

Herta Müller - Lebensangst und WorthungerIn den Tagen, als man ihr unangekündigt den Arbeitsplatz wegnahm, auch im Büro der Kolle­gin kein Plätzchen mehr blieb und sich schließlich auf einer zugigen Treppe der Fabrik, in der sie als Übersetzerin ar­beitete, allen äugelnden Gestalten ausgesetzt, wiederfand, begann Herta Müller (statt sich mit überflüssigen Übersetzungen abzugeben) mit der Niederschrift der Erzäh­lungen, die in ihrem ersten Buch, dem 2010 zum erstenmal in vollständiger Fassung erschienenen Er­zählband Niederungen zusammenge­faßt sind.

Dies sind Geschichten, die Kindheit und Jugend in einem Dorf im Banat zur Sprache bringen, jener Gegend in Rumänien also, in die Herta Müller hineingeboren wurde, um sich fortan nichts als zu wehren und in ihrem Dasein nach und nach jedes Gefühl von Heimat zu verlieren, das sie sich, am Ende auf einer kalten Treppe gelandet, mit den Wörtern, den Sät­zen, den Vergleichen und Metaphern zurückerobern mußte, wollte sie, der Sprache mehr bedeu­tete als Floskel und Zynismus (Man hat aufgepaßt, daß die Gewalt und Lä­cherlich­keit dieser Sprache einem nicht auch noch in den eigenen Mund hineinrutscht. Daß sie einem nicht in den eigenen Kopf wächst), nicht frühzeitig eingehen in einer Welt, die sie mit gleichsam toten Augen an­starrte.

In jenen Tagen während der 1970er Jahren schlüpfte die Schriftstellerin Herta Müller aus dem Ei. Nie­derungen erschien, nachdem es zunächst vier Jahre lang vom Verlag zurückgehalten wurde, 1982 in stark zensierter Fassung.

Das ist schwer zu sagen

In Lebensangst und Worthunger stellt sich Herta Müller im Oktober 2009, drei Wochen nachdem bekannt wurde, daß sie den Nobelpreis für Literatur erhalten würde, den Fragen von Michael Lentz. Die jeweils mit einer abwehrenden Floskel – Das ist schwer zu sagen – einset­zenden, sodann sehr differenzierten, zu kleinen Aufsätzen ausufernden Antworten gewähren aufwüh­lende Einblicke in die ineinander verschmelzende Arbeits-, Denk-, Lebens- und Schreib­weise der Autorin, ihre Auseinandersetzungen und Erfahrungen mit dem Dasein in Dorf und Diktatur, mit den sie umgebenden, sie zu beherrschen suchenden Men­schen. Sie spricht über die zweifache, mit sich und miteinander tanzende, ineinander verschlungene rumäniendeutsche Sprachexistenz, die in der Müllerschen Lyrik und Prosa auf so zauberische Weise stilbildend wirkt, sowie das Ausgestalten des Romans Atemschaukel, den sie mit Oskar Pastior ge­meinsam vorbereitete, bis dessen jäher Tod die gemeinsame Vollendung des Buches verhinderte:

Und wenn ich im Erfinden nicht mehr weiterwußte, habe ich in seine Gedichtbände geschaut, und dann sprangen mir die Worte zu. Ich habe gar nicht lange gesucht, zufällig einen Gedichtband aufgeschlagen, und da war es. Immer wieder sprang so ein Wort heraus. Ich brauchte ein Adjektiv, und in irgendeinem Gedicht stand es schwarz auf weiß. »Na bitte, da haben wir es doch«, hab ich mir dann gesagt. Oder in den schönen filigranen Zeichnungen von Oskar Pastior saßen Formen und Wörter für den Lager­text. Dabei hab ich immer den Eindruck gehabt, er schreibt jetzt ja doch noch mit. Und bevor ich eins seiner Bücher aufschlug, habe ich zu mir selbst gesagt: »Oskar, jetzt sag mal was.« Und er sagte was. Wenn ich es darauf anlegte, mußte er mir helfen.

Irrlauf im Kopf

Die letzten Sätze lösen alles bis dahin Gesagte auf gleichsam wundersame Art in Luft auf, als Herta Müller, die sich die Wörter zum reinen Überleben erkämpft hat, das Phänomen des Ergrif­fenseins beim Lesen beschreibt. Der höchste Moment ist für sie jener, der nicht mit Wörtern zu fassen ist, der Augenblick, in dem bloß fassungsloses Staunen bleibt, das sie als Irrlauf im Kopf bezeichnet: Man kann ja nicht alles in Wörtern sagen. Man denkt ja auch anders als nur in Wörtern. Und man fühlt ja sowieso nicht in Wörtern. Das meine ich damit. Ich weiß nicht, ob ich das jetzt damit erklärt habe. Der »Irrlauf im Kopf«, das ist das, was einen so verblüfft, als würde man es vor Bewunderung nicht mehr aushal­ten.

Mir ist während der Lektüre von Lebensangst und Worthunger, als säße Herta Müller mir gegenüber. Ich höre sie die Wörter, die ich lese, sprechen, und gleichzeitig mäandern die Bücher durchs Ge­hirn, die mit wilden Wörtern und magischen Metaphern so manchen Irrlauf heraufbeschwören: Atemschaukel, Die blassen Herren mit den Mokkatassen, Der Fuchs war damals schon der Jäger, Der König verneigt sich und tötet, Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt, Drückender Tango, Herztier, Niederungen und Reisende auf einem Bein. Ich freue mich (und bin gespannt) auf mehr.

| THEO BREUER

Titelangaben
Herta Müller: Lebensangst und Worthunger
Im Gespräch mit Michael Lentz
Leipziger Poetikvorlesung 2009
Berlin: Suhrkamp 2010
56 Seiten, 8 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Die Sogkraft der Tiefflieger

Nächster Artikel

Krieg ist die Hölle! Panzer-MMOs auch …

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Landschaften der Heimatlosigkeit

Menschen | Zum 65. Geburtstag der Nobelpreisträgerin Herta Müller Es war eine handfeste Überraschung, als der Schriftstellerin Herta Müller im Oktober 2009 der Nobelpreis für Literatur zugesprochen wurde. »Sie zeichnet mittels der Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit«, hieß es damals in der Begründung des Stockholmer Komitees. Die seit vielen Jahren in Berlin lebende Schriftstellerin hat sich in ihren sprachlich ausgefeilten, bisweilen lyrisch anmutenden Werken immer wieder mit Verfolgung und Heimatlosigkeit, mit Umzügen und Neuanfängen beschäftigt. Die thematischen Eckpfeiler stammen aus ihrer eigenen bewegten Vita. Von PETER MOHR

Nicht mit dir und nicht ohne dich

Kulturbuch | Helmut Böttiger: Wir sagen uns Dunkles   Um ihr Leben ranken sich zahlreiche Mythen und Legenden: Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Wie nahe Anziehung und Abstoßung, Verletzungen und Verzeihen beieinanderliegen, auch wenn sich die Unmöglichkeit der Nähe abzeichnet, zeigt Helmut Böttiger in seinem facettenreichen Doppelporträt ›Wir sagen uns Dunkles‹. Von INGEBORG JAISER

»Kafka war nie ein Käfer«

Menschen | Interview mit Urs Widmer

Der 1938 in Basel geborene und 2014 gestorbene Urs Widmer gehörte sicherlich mit gutem Recht zu den bekanntesten Stimmen in der deutschen Literatur. Eigentlich fehlte dem bis zuletzt in Zürich lebenden Erzähler und Dramatiker nur noch der Büchner-Preis. Zuletzt hatte er vor allem durch die Veröffentlichung der Zwillingsromane ›Der Geliebte der Mutter‹ und ›Das Buch des Vaters‹ für Aufsehen gesorgt. Widmer, der Germanistik, Romanistik und Geschichte studiert hatte und lange Jahre in Frankfurt lebte, erläutert in unserem wiederveröffentlichten Interview mit THOMAS COMBRINK unter anderem, wie er zu seinem eigenen, ganz unverwechselbaren Ton gekommen war und wie viel Lebenserfahrung ein Schriftsteller für das Schreiben benötigt.

Istanbuls Schicksal ist mein Schicksal

Menschen | Zum 70. Geburtstag des Nobelpreisträgers Orhan Pamuk

»Es geht in diesem Prozess gar nicht um meinen Roman, sondern um Ideologie«, hatte Nobelpreisträger Orhan Pamuk Ende des letzten Jahres in einem Interview erklärt. Mehrmals hatte ihn die Staatsanwaltschaft zum Verhör einbestellt, nachdem die große türkische Tageszeitung ›Hürriyet‹ eine regelrechte Hetzjagd gegen den Schriftsteller inszeniert hatte. »Was bezweckt Orhan Pamuk damit, dass er Atatürk verhöhnt? Will er einen Aufruhr anzetteln? Will er dem Ausland eine Botschaft senden?«, lauteten die rein rhetorischen Fragen des Chefredakteurs Ahmet Hakan nach Erscheinen von Pamuks letztem Roman »Die Nächte der Pest«, der sich mehr schlecht als recht zwischen dichterischer Fiktion und politischer Allegorie hin- und herquälte. Von PETER MOHR