Ein Mann für gewisse Stunden

Film | Im Kino: Bel Ami

Paris ist eine Hure – und sogar die Huren werden reich. Der Einleitungssatz funkelt gleich einem verruchten Emblem über Declan Donnellans und Nick Ormerods Adaption von Guy De Maupassants zeitloser Aufstiegsgeschichte. Von LIDA BACH

Es ist die einzige Lektion, die der junge Titelcharakter nach seiner Rückkehr aus Algerien im Frankreich des fin de siècle verinnerlicht und die einzige, die er für seinen schwindelerregenden Aufstieg braucht. An dessen Anfang ist er Georges Duroy (Robert Pattinson), mittelloser Sohn eines Provinzbauern und gerade vom Armeedienst aus Algerien zurückgekehrt. Nach dessen Gelingen ist er Georges Le Roy de Cantel, einflussreicher Journalist und politischer Aspirant, verheiratet mit der reichsten Partie der Stadt. Vor allem aber ist er Bel Ami.

Bel Ami»Wenn du es hier nicht schaffst, kannst du dich genauso gut hinlegen und sterben«, sagt Georges früherer Kompanieführer Charles Forrestier (Philip Glensiter) dem im im Moulin Rouge ansprechenden Bittsteller.

Georges Verhalten setzt ihn unterschwellig mit den Prostituierten in dem Etablissement gleich, die ihm aufgrund ihrer Authentizität moralisch noch überlegen sind. Sich für dieses Erniedrigung zu rächen ist Georges eigentliches Verlangen, das zu stillen er immer neue Erniedrigungen begeht, sowohl anderer als auch seiner selbst.

Mit dieser grotesken Tragik des in seiner skrupellosen Manipulativität ebenso faszinierenden wie abstoßenden Antihelden ringt Pattionson vergeblich. Sitzt er in der Eröffnungssequenz bei Kerzenschein in einer modrigen Dachkammer, erinnert er auf unfreiwillig komische Weise an eine ältere Variante des Vampirs, als der er zu Star der Twilight-Saga wurde. Nur will er statt in der Sonne im Kreis der vornehmen Gesellschaft glänzen.
Privataffären

Seinen Kosenamen gibt ihm, wie sollte es anders sein, eine seiner weiblichen Bekanntschaften. Die jüngste der Protagonistinnen, die Georges die dem opportunistischen Charmeur verfallen, durchschaut als erste und einzige seine gewandte Larve des Liebhabers und erkennt in ihm einen Gleichrangigen. Ein Kind, geistig noch unreifer als es die kleine Tochter von Georges neuer Bekannter Clotilde (Christina Ricci) selbst ist, und dazu eines, dass immer zu haben versucht, was es nicht kriegen kann.

Das Fangspiel der beiden ist pointierte Metapher für die amouröse Jagd nach den Frauen, die seinen gesellschaftlichen Ambitionen nützlich sind, und die Variabilität seines Verführungstalents. Das Spielen mit der Tochter ist nur Mittel zum Zweck, um deren Mutter zu gewinnen; eine Strategie, die Georges ebenso erfolgreich umgekehrt anwendet.

Der durchtriebene Parvenü ist kein Casanova, er ist ein Karrierist. Bei jeder seiner Eroberungen denkt er nur an die soziale Stufe, die er mit Hilfe der Geliebten erklimmen kann. Ob er in ihr Bett kommt, ist ihm im Grunde gleichgültig; er will in den gesellschaftlichen Kreis, den sie repräsentiert. »Die wichtigsten Leute in Paris sind nicht die Männer«, verrät ihm die scharfsinnige Madeleine (Uma Thurman). »Die wichtigsten Leute in Paris sind ihre Frauen.«

Ihre Sympathie nutzt Georges aus, um eine Anstellung als Journalist zu finden, ihre Fürsprache um Redakteur zu werden, ihre Intelligenz, um das politische Parkett zu betreten. Die systematischen Verstrickungen von Politik, Medien und Geldgeschäften vernachlässigt der gefällige Ausstattungsfilm zugunsten einer Riege unterentwickelter Filmfiguren, die nicht ansatzweise die Komplexität der Romancharaktere besitzen.

Die gesellschaftliche Demaskierung, die der pikanten Novelle mit Bravour gelingt, verkümmert im Rahmen adretter Beliebigkeit. Exzellente Nebendarstellerinnen und nie kompromittierende Pikanterie machen die dramaturgische Oberflächlichkeit umso schmerzlicher, die Bel Ami mit dem Titelcharakter teilt. Mit den Worten Madeleines: »Ich hatte kein Konzept vom Ausmaß deiner Hohlheit.«

| LIDA BACH

Titelangaben
Bel Ami (USA 2012)
R: Declan Donnellan, Nick Ormond
B: Rachel Bennette
K: Stefano Falivene
S: Masahiro Hirakubo
M: Laskman Joseph de Saram, Rachel Portman
P: Uberto Pasolini
D: Robert Pattinson, Uma Thurman, Christina Ricci, Kristin Scott Thomas, Colm Meaney, Holliday Grainger
102 Min.
Studiocanal Filmverleih
Kinostart: 26. April 2012

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Evolution der Bilderwelten

Nächster Artikel

Neue Wege nach Palästina

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Tierisches Abenteuer mit viel Herz

Film │Im Kino: Zoomania Eine Geschichte über das Verwirklichen eines Traums, eine starke Freundschaft und die Chancen für Außenseiter in einer Gesellschaft – diese Themen greift Walt Disney in seinem neuen Animationsfilm ›Zoomania‹ auf. TOBIAS KISLING über einen warmherzigen Film, der mit viel Witz und Charme für alle Generationen ein Hingucker ist.

Im Holzkrug geht die Post ab

Film | Im TV: TATORT (RB) – Hochzeitsnacht (20.04.2014; Wh. vom 16.09.2012) Das mögen wir. Rainer rockt die Hochzeitsfeier. Aber erst einmal liegt im Herbstlaub eine Leiche engelgleich quer auf dem Bildschirm. Der Vorspann zeigt weitere hübsche Bilder ohne Fehl und Tadel. Sie werden von einfühlsam zarten Tonfolgen untermalt, und über den gesamten Film wird Musik (Stefan Hansen) erfreulich dezent eingesetzt. Der liebliche Vorspann täuscht: Im »Holzkrug« geht die Post ab. Zu »Liebe ohne Leiden« taut endlich sogar Inga Lürsen (Sabine Postel) auf, die mit ihrem Kollegen Stedefreund (Oliver Mommsen) zu den geladenen Gästen gehört. Stimmungsvoll und hanebüchen – so

Offen-verworren und brillant-stringent

Film | Neu auf DVD: Die Wolken von Sils Maria Sils Maria ist ein Ortsteil von Sils, welcher in der Schweiz, Kanton Graubünden liegt. Dank des angenehmen Klimas und der schönen Lage zog es viele Schöngeister dorthin, die in Ruhe ihre Inspiration finden wollten. So auch der Regisseur Wilhelm Melchior, welcher eine Neuauflage seines erfolgreichen Theaterstückes ›Die Malojaschlange‹ plant. Von ANNIKA RISSE

Aus dem Rahmen gefallen

Film | TV: Polizeiruf ›Morgengrauen‹ (BR), 24. August Liefert uns ›Morgengrauen‹ diesmal den ambitionierten Versuch, aus eingefahrenen ›Polizeiruf 110‹-Spuren auszubüxen? Oder mehr noch, man will diesen Kommissar neu erfinden? Kann ja sein. Er nennt sich diesmal nicht mehr »von«. Jedenfalls nicht durchgängig. Und es ist angekündigt, dass er sich verliebt. Meuffels? Verliebt? Von WOLF SENFF

Polizei und Jugendszene

Film | Im TV: ›TATORT‹ Borowski und die Kinder von Gaarden (NDR), 29. März »Wo Sie herkommen, kriegen die Eltern schon hysterische Anfälle, wenn der Sportlehrer die falsche Trainingshose anhat.« Wir sind in Kiel-Gaarden, erstens, und zweitens geht es um Sexualität, ist das so interessant, das hatte der Kieler ›TATORT‹ doch gerade erst neulich. Von WOLF SENFF