/

Oper neu entdecken

Kulturbuch | Die ersten vier Bände »Opernführer kompakt«

Die junge Autorengeneration meldet sich in einer Taschenbuchreihe. Von HANS-KLAUS JUNGHEINRICH

OpernfuehrerEin Einwand vorweg: Als editorische Idee scheint eine Buchreihe mit einzeln (ver)käuflichen Opernmonographien insofern problematisch, als sie (vorrangig oder überhaupt) nur die bekanntesten und beliebtesten Werke umfasst. Mit großer Energie haben die Opernhäuser in den letzten Jahren ihr Repertoire erweitert; allein schon die Händel- und Barockopern-Renaissance bereicherte den Fundus um Dutzende von Stücken. Dem muss eine Aktivität zuwiderhandeln, die bloß vom Geläufigsten ausgeht und es gewissermaßen noch geläufiger macht, gemäß dem Gesetz, dass es der Erfolg ist, der den Erfolg generiert. An diesem Fall wird gut sichtbar, wie Marktaspekte sich kontraproduktiv zu erstrebenswerten künstlerischen Entwicklungen verhalten können. Die Bärenreiter/Henschel-Opernreihe beginnt nun mit Kernrepertoiretiteln: Don Giovanni, Fidelio, La Bohème und Aida. Wenn’s, wie zu erwarten, mit normalen Dingen zugeht und bei diesem Kurs bleibt, können wir demnächst also noch Bände über Carmen, Zauberflöte oder Hänsel und Gretel erwarten. Fraglich dagegen, ob irgendwann einmal Pique Dame, Wozzeck oder Alceste auftauchen werden. Und jede Wette gehe ich ein, dass Daphne, Die Legende von der unsichtbaren Stadt Kitesch und Schwanda, der Dudelsackpfeifer keine Berücksichtigung finden.

Abgesehen von diesen grundsätzlichen Bedenken, macht der Buchzyklus einen konzeptionell klaren Eindruck. Dreißig Jahre alte und inzwischen eingeschlafene Taschenbuchreihen (von Rowohlt und, deutlich weniger anspruchsvoll, von Goldmann/Schott) dürften Pate gestanden haben, doch sehr merklich zeigt sich die aktualisierte Perspektive nicht nur als Reflex auf veränderte Lesegewohnheiten, sondern – wohl wichtiger – in der berechtigten Hoffnung auf ein verjüngtes, nicht unbedingt konservativ-bürgerliches, sondern deutlich breiter kulturell interessierten sowie medial und popkulturell sozialisierten Opernpublikum.

Unverklemmter Blick

Die vier vorliegenden Opernbücher sind also ähnlich aufgebaut und ausgestattet. Die Autoren haben offenbar gemeinsam eine vernünftige Darstellungs-»Dramaturgie« entwickelt, deren Rasterungen sie sich unterziehen. Stoffgeschichtliches und Biographisches wird jeweils etwas freier erzählerisch eingebracht, und ebenso sind auch die mäandernden Rezeptionswege, die von den Werken in der Kunst- und Mediengeschichte hinterlassenen Spuren, nach den spezifischen Vorlieben und Kenntnissen der einzelnen Autoren variabel gehalten. Strenger ist das Gerüst der »Primärinformationen« über die Werke: Stets folgt einer Handlungsskizze ein zweiter, auf die musikalischen Formen zentrierter Werkdurchgang. Besonders attraktiv die Präsentation separierter »Steckbriefe« der wichtigen Personen, die damit nochmals eigens charakterisiert und nicht bloß als dramaturgische »Funktionen« kenntlich werden. Eine schöne Maßnahme, die Multidimensionalität der Annäherung zu bekräftigen. Ein farbiger Bildblock in der Buchmitte präsentiert signifikante Inszenierungen oder Sängerposen. Etwas unterschiedlich gehen die einzelnen Autoren mit Notenbeispielen um; sie werden durchweg sparsam eingesetzt. Bei Clemens Prokops Don Giovanni-Band ist diese Askese freilich übertrieben worden.

Ansonsten besticht gerade diese Arbeit durch unprätentiöse (gelegentlich vielleicht auch allzu salopp-umgangssprachliche) Diktion und einen unverklemmten Blick auf Sachverhalte und Probleme. Hier wie auch in den anderen drei Bänden ist mit Händen zu greifen, wie jede Generation von Wissenschaftlern und Schriftstellern wieder neu und anders mit dem »Erbe« umgeht; gestern maßgebliche exegetische Größen – etwa Wolfgang Hildesheimer, die deutsche Mozartautorität der letzten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts – haben für sie nichts Einschüchterndes mehr, und auch der einstige Impakt der Harnoncourt-Lesarten büßt, aus etlichem Abstand betrachtet, einiges von seiner Monumentalität ein. Ohne viel Aufhebens kommt Prokop zu differenzierten, vernünftigen Beurteilungen, und gleichsam unter der Hand demonstriert er auch eine beträchtliche Belesenheit. Niemals protzt er damit; aber der Aufmerksame freut sich an zahlreichen halbverborgenen Anspielungen. Keineswegs im Halbdunkel bleibt indes die Tatsache, dass das Rollenprofil des Don Ottavio durch die für Wien hinzukomponierte Arie Dalla sua pace verunklärt wird – und es mithin nicht trockene philologische Akribie wäre, dabei der Prager Fassung zu folgen, sondern der besseren dramatischen Figurenkonstellation anstände. Da Oper aber (anders, als es der Wagner’schen Dramentheorie entsprach) immer ein widerspruchsvoller Kompromiss zwischen »Musik« und »Theater« ist, macht Prokop auch aus solchen Erkenntnissen keine verbindliche Ideologie. Selbstverständlich kennt er sich auch beim Kino aus und analysiert kurz Joseph Loseys Don Giovanni (wie die anderen Buchautoren themennahe Jarmusch- und Kaurismäkifilme).

Als einziger stellt Prokop einen »Essay« (Macht. Liebe) ins Zentrum seines Buches – mithin eine Untersuchung der Triebkräfte, von denen die rätselhaft mythische Titelfigur erfüllt ist (Prokop sieht Don Giovanni weniger als Hedonisten denn als Manipulateur und »Spieler«; bemerkenswert, dass der scheinbar ständig koitierende Frauenverschleißer im Verlauf der Opernhandlung zu keiner einzigen vollendeten »Verführung« kommt). Das weckt tolle Erwartungen. Ein wenig enttäuschend ist dieser Essay, der, vom Thema einen Schritt zurücktretend, in philosophische Erörterungen hätte hineinreichen können, dann doch; ihm geht allzuschnell der Atem aus, und der Name des obsessiven Don Giovanni-Kenners Kierkegaard, der hier hineingehört hätte, fällt ausführlich an weniger passender Stelle. Ein ganz anderes Detail des Prokop-Bandes bekundet eine deliziös-zauberhafte Don Giovanni-Empathie: Auf einer abschließenden Widmungsseite nennt der Autor Frauenvornamen, nicht gerade solche Zahlen wie Leporello in seiner Registerarie, aber doch rund anderthalb Hundert. Denken sollte man sich nichts dabei. Aber schmunzeln.

| HANS-KLAUS JUNGHEINRICH

Titelangaben
Detlef Giese: Verdi »Aida«
Robert Maschka: Beethoven »Fidelio«
Olaf Matthias Roth: Puccini »La Bohème«
Clemens Prokop: Mozart »Don Giovanni«
jeweils
Kassel / Berlin: Bärenreiter/Henschel 2012
136 Seiten. 12,95 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ein Showdown mit Spaßfaktor – und dreckig dazu!

Nächster Artikel

Einer gegen die Gruppendynamik oder Kafka lebt

Weitere Artikel der Kategorie »Kulturbuch«

Das Geräusch einer Schnecke beim Essen

Kulturbuch | Elisabeth Tova Bailey: Das Geräusch einer Schnecke beim Essen

Dass Schnecken Geräusche machen, ist ja schon kaum glaublich - auch für den, der die glibbrigen Gartenbewohner schon einmal näher & länger beobachtet hat oder sie als Gärtner hasst, weil sie, aus dem Nichts nach Regen aufgetaucht, sich gefräßig über Zier- & Nutzpflanzen hermachen & einem die schönsten gepflegten Erwartungen zunichtemachen. Von WOLFRAM SCHÜTTE

Verkehrssystem im Eiltempo

Kulturbuch | Hendrik Ammoser: Das Buch vom Verkehr Einer globalisierten Welt liegt die Mobilität von Waren, Dienstleistungen und Menschen zugrunde. Wie gestalten sich Mobilitätskonzepte und -strukturen? Welche Entwicklungen haben sie bis zum heutigen Tag durchlaufen – und wie können wir sie uns nutzbar machen? ›Das Buch vom Verkehr‹ sucht Antworten. Und passt sich dabei in seinem Stil dem Thema an. JÖRG FUCHS auf der Spur des Transports – zu Wasser, zu Lande und in der Luft.

Spurenlesen im Fußabdruck der Stadt

Kulturbuch | Mueller-Haagen / Simonsen / Többen: Die DNA der Stadt »Sie werden alle Städte, die Sie von nun an besuchen, besser verstehen«, heißt es in dem Vorwort der Verleger. Ein Versprechen, das die Architekten Inga Mueller-Haagen, Jörn Simonsen und Lothar Többen einhalten. Sie zeigen Städte, wie sie nur selten zu sehen sind, im Schwarzplan, ihrer ehrlichsten Form. Von STEFFEN FRIESE

Keine Atempause – Musik aus Düsseldorf

Kulturbuch | Musik | S.Dreyer, M. Wenzel, T. Stelzmann: Keine Atempause – Musik aus Düsseldorf Wenn ich heute an meine Kindheit zurückdenke, so erinnere ich mich vor allem daran, abends zusammen mit meiner um fünf Jahre älteren Schwester auf dem Boden zu sitzen, Canasta zu spielen und dabei Platten zu hören. Beinahe das ganze Jahr 1977 lang waren dies allabendlich nur zwei Schallplatten im Wechsel: Low von Bowie und Trans Europe Express von Kraftwerk. Seitdem ist mir die Musik der selbsternannten Musikarbeiter aus Düsseldorf ans Herz gewachsen. STEFAN HEUER über das neu erschienene Musikbuch Keine Atempause – Musik aus Düsseldorf

Kampf um Troja

Kulturbuch | Eberhard Zangger: Die Luwier und der Trojanische Krieg Wer nach Tikal oder sagen wir nach Angkor Vat verreist und sich über Land und Leute informiert, dem wird nicht entgehen, dass überall ein starkes Interesse daran besteht, die eigene Kultur und die eigene Geschichte zu sortieren. Von WOLF SENFF