In festgefahrenen Strukturen wühlen

Kulturbuch | Jan Seibert: Die Piratenpartei. Der Beginn einer neuen politischen Ära

Schmierig. So fühlt sich Jan Seiberts Buch Die Piratenpartei. Beginn einer neuen politischen Ära von außen an. Der Verlag hat sich entschieden, das Buch mit einem eigenartigen Gummibelag zu überziehen. Die Schmierigkeit setzt sich innen fort. Von JAN FISCHER

PiratenparteiAber immerhin: Jan Seibert macht keinen Hehl daraus, wem seine Sympathien gelten. Allein der Untertitel des Buches – Der Beginn einer neuen politischen Ära – lässt keinen Zweifel daran, dass es Seibert nicht darum geht objektiv oder neutral an das Thema Piratenpartei heran zu gehen. Daher hat alles, was er schreibt genau diese Schmierigkeit, die das Buchcover aus dem mattschwarzen, gummierten Material auch hat.

Was also Die Piratenpartei. Der Beginn einer neuen politischen Ära nicht zu bieten hat – und auch gar nicht bieten will – ist ein neutraler Überblick über diese rätselhafte neue Partei, mit der so wenige Menschen tatsächlich etwas anfangen können. Es dürfte allerdings auch gar nicht so einfach sein, so etwas unter denen an allen Ecken und Enden aufpoppenden Publikationen zu dem Thema zu finden. Fest steht: Seit ihren Erfolgen bei diversen Landtagswahlen und einem eventuellen Erfolg bei der Bundestagswahl 2013 sind die Piraten zu einer politischen Kraft geworden, die mehr ist als nur eine exotische Eintagsfliege.

Die Andersmacher

Und wer sich über die Schmierigkeit von Seiberts subjektivem Piraten-Gutgefinde hinwegsetzen kann, findet in Die Piratenpartei. Der Beginn einer neuen politischen Ära auch Antworten auf die Frage, warum diese doch durchaus chaotische, etwas unbeholfene Partei so großen Zuspruch erhalten hat. In sieben Kapiteln nimmt Seibert die Partei unter die Lupe, und ungeachtet dessen, dass er zu dem Ergebnis kommt, dass die Piratenpartei in der Lage ist, die gesamte europäische Politiklandschaft zum Besseren zu wenden, ist der interessante Punkt folgender: Woran auch immer die Piraten ihre Finger legen, sie machen es zumindest anders als die etablierten Parteien.

Das geht los dabei, dass die Piraten über zeitgenössische Themenfelder wie beispielsweise Softwarepatente besser informiert sind als die meisten etablierten Parteien, und hört damit auf, dass sie Transparenz und Basisdemokratie zumindest versuchen zu erreichen, und nicht nur versuchen, den Anschein zu wahren. Seibert legt den Finger genau auf diese Wunden, berichtet von eigenartigen Abstimmungsprozessen und an Korruption grenzende Lobbyarbeit, um die Piraten dann als strahlende Sieger zu präsentieren.

Kann das alles so weitergehen?

Und obwohl man sich darüber streiten kann, ob die Piraten jetzt der Weisheit letzter Schluss sind, so macht Seiberts Buch – und das tatsächlich überraschend konsequent und objektiv – klar, das die Piraten ein Symptom dafür sind, dass viele Wähler sich nach Alternativen zu den etablierten Parteien sehnen, oder sich durch diese zumindest nicht mehr gut genug repräsentiert fühlen. Und das ist das gute, das Wichtige an Seiberts Buch: Dass es in den schmerzhaften Auswüchsen festgefahrener politischer Strukturen wühlt, und damit sich und den Leser fragt, ob das alles so weitergehen kann

| JAN FISCHER

Titelangaben
Jan Seibert: Die Piratenpartei. Der Beginn einer neuen politischen Ära
Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf 2012
448 Seiten, 9,95 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

China zeigt sein wahres Gesicht

Nächster Artikel

Neues aus dem Mittelalter

Weitere Artikel der Kategorie »Gesellschaft«

Pubertär und halbstark

Gesellschaft | Tuvia Tenenbom: Allein unter Amerikanern »Hier ist alles Attrappe«. Hm. Das, finde ich, geht zu weit, wenn man über die USA redet. Wenngleich es wieder zu passen scheint, sofern man an den gegenwärtigen Wahlkampf denkt, die Welt ist irreführend sortiert. Ganz in diesem Sinne ist die Beobachtung, dass »Marketing […] einer von Amerikas bedeutendsten Beiträgen zur Menschheit, wenn nicht der bedeutendste« ist. Hm. Gut zu wissen. Von WOLF SENFF

Und sie bewegt sich doch?

Gesellschaft | Wolfgang Streeck: Aufsätze und Interviews, 2011-15 Wolfgang Streeck ist ein renommierter Soziologie, bis Oktober vergangenen Jahres leitete er das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Ende der neunziger Jahre war er an der Vorbereitung der Schröderschen Agenda 2010 beteiligt, er wirkte aktiv an der Politik sozialer Kürzungen mit. Von WOLF SENFF

Vorsicht vor Frauen und Schnaps

Gesellschaft | Leitfaden für britische Soldaten 1944 Spätestens seit die US-Regierung auf den 9/11-Terror mit Bombeneinfällen im Irak reagierte, kennt man auch im friedensverträumten Deutschland das Wort »Exit-Strategie«. Man sollte, besagt es, nicht irgendwo einfallen, wenn man nicht weiß, wie man wieder rauskommt. Das leuchtet selbst Zivilisten ein, ist aber nur der zweite Schritt. Der erste – für den zweiten unabdingbare – scheint in neuen »asymmetrischen« Kriegen fatalerweise wegtechnologisiert zu sein: Man sollte das Land, in das man einfällt, sehr gut kennen. Nicht nur die Geo- und Topographie samt Klima, sondern die Menschen und deren Geschichte, Kultur, Lebensart, Mentalität. Mit

Sie sind viele, sagt sie

Sachbuch | Millay Hyatt: Ungestillte Sehnsucht

»Wir sind viele« – so beginnt das Sachbuch ›Ungestillte Sehnsucht‹ von Millay Hyatt, das den Kinderwunsch ungewollt kinderloser Paare betrachtet. Es ist eine tendenziell politische Aussage, weil sich darin die Forderung nach mehr Aufmerksamkeit widerspiegelt. Dieses Schicksal sei nicht nur hart, es treffe auch mehr als man denkt. Von BASTIAN BUCHTALECK

Schmutzige Propaganda?

Gesellschaft | U. Gellermann, F. Klinkhammer, V. Bräutigam: Die Macht um acht Nein, Mainstream ist öffentlich kein Aufreger mehr. Nicht dass es ihn nicht mehr gäbe. Der Mainstream machte sich das Thema Mainstream zueigen, bis die Leute schon beinahe glaubten, er mache sich ernsthaft Gedanken, schmückte sich gar mit einem Anschein von Selbstkritik, und dann hat er’s fallenlassen. Schwuppdiwupp, Mainstream redet nun nicht länger über das Thema Mainstream, basta, und alles bleibt im alten Trott. Von WOLF SENFF