ich erzählte dir von den gästen in der lounge, die fiebernd warteten

Lyrik | Crauss und die juicy transversions seiner Lakritzvergiftung

Ende 2011, also vor gut einem Jahr, nahm ich die Lakritzvergiftung von Crauss zum ersten Mal in die Hand. Seitdem vergeht keine Woche, in der ich nicht einige der in ihr enthaltenen Gedichte nachlese. Von STEFAN HEUER


Crauss und die juicy transversions seiner Lakritzvergiftung
Die Zeiten, in denen mich die Befindlichkeiten des Literaturbetriebs irritiert haben, in denen ich in Kategorien wie Logik oder Erfolg durch Qualität gedacht habe, sind lange vorbei. Dennoch bin ich hin und wieder überrascht über die Ignoranz, mit der manchen Werken gegenübergetreten wird. Die Lakritzvergiftung von Crauss wollte ich eigentlich »einfach nur« lesen, nichts dazu schreiben, und so lehnte ich eine Rezension zunächst ab; nach vielen Lyrik-Rezensionen wollte ich dieses Buch einfach nur genießen.

Schon nach den ersten Gedichten war ich mir sicher, dass genügend andere dazu schreiben würden, dass es nicht an Rezensionen und Querverweisen mangeln und diesem Buch die Aufmerksamkeit entgegen gebracht werden würde, die es verdient. Dass ich mich heute dazu entschlossen habe, doch einige Zeilen zu schreiben, liegt ausschließlich daran, dass bis heute lediglich eine einzige Besprechung zu diesem Buch erschienen ist (von Hellmuth Opitz bei Fixpoetry) – und dass ich mit einigem in dieser Besprechung nicht einverstanden bin, nicht sein kann, denn Opitz hat Feinheiten in den Gedichten herausgearbeitet und isoliert, verkennt dabei jedoch leider das Große und Ganze. Dass er letztendlich dennoch zu einem überwiegend positiven Urteil kommt, spricht für die Texte. Ich beziehe mich nicht gerne auf das, was andere über Bücher gesagt oder geschrieben haben, aber es sind doch ärgerliche Punkte in Opitz’ Kritik, denen ich widersprechen muss.

Der wohl ärgerlichste (und nur auf diesen möchte ich wirklich ausgiebig eingehen, weil er mich beim Lesen der Kritik tatsächlich geschockt hat) davon betrifft den Umstand, dass der Band nicht nur die Gedichte von Crauss in deutscher Sprache, sondern auch Übertragungen in zehn andere Sprachen beinhaltet (Untertitel: juicy transversions). Dabei werden manche Gedichte überhaupt nicht übersetzt, andere hingegen in zwei oder drei Sprachen.

Opitz zieht den Schluss der Inkonsequenz und geißelt die Übersetzung in nicht alltägliche Sprachen wie moselfränkisch oder georgisch als »überambitionierte Polyphonie ohne Erkenntniswert« und unterstellt damit Beliebigkeit und Willkür ohne einen Sinn, ohne Konzept, eine »prätentiöse Mehrsprachigkeit, die nicht erhellend wirkt, sondern nur dem Pump up the volume-Prinzip zu dienen scheint«. Wenn man sich nun ein wenig mit dem Werk von Crauss auskennt, dann weiß man, dass es genau eine einzige Sache gibt, die man ihm nicht unterstellen kann, und das ist Beliebigkeit.

Es gibt wohl nur wenige, die sich so mit dem eigenen Output beschäftigen wie er, auch noch lange nach Veröffentlichung eines Textes. Nicht umsonst gibt es von zahllosen seiner Texte eigene Versionen und Remixe, verändert er einige Worte, manchmal auch ganze Passagen, manchmal noch nach vielen Jahren. Er ist ständig am arbeiten, am verändern, und es ist höchst unwahrscheinlich, dass sich in Crauss’ Gedichten auch nur ein Wort befindet, das nicht mehrfach geprüft und auf seine Berechtigung im Text kontrolliert wurde.

Wer das weiß, der kann nicht wirklich annehmen, dass die Auswahl der Übersetzungen ohne Konzept ausgeführt oder gar zum böse unterstellten Seitenschinden genutzt wurde (wenn dem so wäre, hätte man ja auch alle Gedichte in sämtliche Sprachen übersetzen und den Seitenumfang problemlos vervielfachen können…) Es wird einen Grund haben, warum ein Gedicht ins Englische und eben nicht ins Französische übertragen wurde – Erinnerungen vielleicht, Verbindungen zu dem jeweiligen Übersetzer vielleicht, vielleicht einfach nur phonetischer Schönklang oder die pure Lust, ein Gedicht in eben jener Sprache verewigt zu sehen. Opitz tut so, als sei ein Autor seiner Leserschaft oder ihm als Kritiker eine Erklärung schuldig – und das sehe ich nicht so.

Dass Opitz in seiner Kritik auf den Schwanzgedichten herumreitet (ein Bild, das ich nun für einige Tage im Kopf haben werde) und sie als »vitale Kraftgebärde« abtut – geschenkt. Wer Gedichte (aber auch die Prosa) von Crauss liest, der weiß, worauf er sich einlässt – oder er weiß zumindest hinterher, worauf er sich eingelassen hat. Lakritzvergiftung – juicy transversions making your dick ache ist, genau wie sein Vorgänger Motorradheld, ein sehr sexuelles Buch, durchsetzt von homoerotischen Phantasien und Szenen, offenstehenden Hosen und Körperflüssigkeiten, die gerne unter Brücken oder an Stränden ausgetauscht werden.

Crauss’ Gedichte leben in Gefühlslandschaften, in Stimmungen, sind sehr persönlich, lesen sich sehr intim, was dazu führt, dass selbst flüchtige Begegnungen zärtlicher wirken als alles, was im ZDF auf der Romantik-Schiene zu sehen ist. Er lässt den Leser dicht an sich heran, seine Worte kommen nicht als dickflüssiger, wetterfester Lack, sondern als Lasur daher, die deutlich mehr zeigt als verbirgt.

WAITING FOR THE HURRICANE

ich lag in einem dieser stickigen hotels nackt auf dem bett
und musste an einen max frisch film denken. der junge,
der vom flugplatz mit aufs zimmer gekommen war,
roch nach anderen männern; freundschaft
gab es in dieser stadt nicht, und ich versuchte dichseit wochen zu vergessen. träge verteilte der ventilator
meine gedanken im raum, als das telephon ging.

die rede war von der schwülen luft im landesinneren, ich
erzählte dir von den gästen in der lounge, die fiebernd
warteten, dass endlich ein sturm losbrach. sie sassen fest.
wir hatten nicht den mut, uns zu verabreden;
aber als die erste träne an mein fenster schlug,
wusste ich, wir würden uns wiedersehn in einer ewigkeit
in diesem kleinen nest am rhein.

Trotz ständigen Nachschubs und unablässig wachsender Bücherberge in meinem Arbeitszimmer habe ich (wie wohl jeder, der viel und gerne liest) einige Bücher bereits mehrmals gelesen und werde sie auch noch öfter zur Hand nehmen, manche auch zyklisch immer wieder und wieder, aber dass ein Buch bei mir so abgewichst aussieht wie die Lakritzvergiftung, das ist wahrlich selten. Letzte Woche kam ein Freund vorbei, betrachtete die nicht zu leugnenden Lesespuren (angegrabbelter Schnitt, Eselsohren, ein inzwischen nahezu auf das Doppelte angewachsenes Volumen, als Lesezeichen verwendete Klebezettel) und meinte, ich bräuchte das Buch wohl mal in neu. Aber nein, lieber Freund, ganz im Gegenteil: Genau so muss ein Buch aussehen!

| STEFAN HEUER

TITELANGABEN:

Crauss: Lakritzvergiftung
Berlin: Verlag J. Frank 2011
180 Seiten. 16,90 Euro
Leseprobe

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