Roman | Philippe Besson: Venice Beach
Venice Beach– das ist – wenigestens zum größten Teil – der Handlungsort des Romans des französischen Schriftstellers Philippe Besson. Venice Beach – ein Ort mit großer Anziehungskraft: Touristen, Musiker, Straßenkünstler, aber auch Trinker und Junkies tummeln sich hier. Ein idealer Ort, um im Trubel unterzutauchen. Hier entwickelt sich eine Liebesgeschichte zwischen zwei Männern, die sich gegen ihre Gefühle nicht wehren können. Und auch nicht wollen. Erst vier Jahre nach dem Erscheinen in Frankreich liegt nun endlich auch die deutsche Übersetzung vor. Rezensiert von TANJA LINDAUER
Der namenlose Ich-Erzähler war Polizist im Reichenviertel Beverly Hills. Er erzählt in der Rückschau von seinem einstigen Leben, das nun endgültig hinter ihm liegt. Sein Job verlief ruhig, größere Einsätze gab es eigentlich nicht. »Vielleicht haben mich meine Vorgesetzten deshalb gewählt: Man ahnte, dass ich keinen besonderen Ehrgeiz entwickeln und keinen Zwischenfall provozieren würde, dass ich in der Lage wäre, der Langeweile Widerstand zu leisten, und dass ich mich auf dem Foto gut ausnähme.«
Er war Anfang Dreißig und führte ein beschauliches und »normales« Leben. Seine Frau Laura, eine Bibliothekarin, erwartete ihr erstes Kind. So weit, so gut. Doch dann geschieht es und mit der Ruhe ist es endgültig vorbei: Wir schreiben das Jahr 1990. Die Leiche eines jungen Mannes wurde auf dem Crescent Drive gefunden. Bei dem Toten handelte es sich um den neunzehnjährigen Billy Greenfield – ein Prostituierter und Dealer. Schnell führte eine Spur zu einem der angesagtesten und beliebtesten Jungschauspieler in Hollywood: Jack Bell.
Normalerweise lassen Stars den Polizisten eher kalt, diese »Angebertypen« liegen ihm einfach nicht. Als er aber Jack verhörte, änderte sich alles. Was geschah damals bloß mit ihm? »In Wirklichkeit bedurfte es keiner großen Anstrengung, um zu verstehen, was sich da anbahnte, aber einer enormen Anstrengung, um es zuzugeben.« Es kam, wie es kommen musste. Alles lief völlig aus dem Ruder. Die beiden Männer verliebten sich ineinander und eine unstillbare Begierde erfasste sie. Doch der Cop versuchte zunächst, sein Verlangen zu unterdrücken. Schließlich war er verheiratet und erwartete ein Kind. Aber die Dinge waren schon längst ins Rollen gekommen und waren nicht mehr aufzuhalten.
»Nur ein verrückter Unfall war imstande, uns zusammenzubringen«
Vorab eine kleine Bemerkung zum deutschen Titel: Venice Beach ist leider nicht so zutreffend, wie das Original: Un homme accidentel. Denn genau darum geht es ja, um eine ungeplante und vollkommen überraschende gleichgeschlechtliche Liebe, die einen heterosexuellen Mann aus heiterem Himmel überfällt. »Nur ein verrückter Unfall war imstande, uns zusammenzubringen. Der gewaltsame Tod von Billy Greenfield ist ein verdammter Unfall gewesen.« Dem Inhalt tut dies natürlich keinen Abbruch.
Ohne eine Spur von Larmoyanz erzählt der Mann, wie sein Leben völlig aus den Fugen geriet. Man ahnt bereits, dass es kein gutes Ende genommen hat. Schnörkellos wird das unstillbare Verlangen der beiden Liebenden wiedergegeben und nur all zu oft werden beim Lesen Erinnerungen an Brokeback Mountain wachgerufen. Die Kapitel sind, ebenso wie die Sätze, sehr kurz gehalten – wie ein Drehbuch, passend zum Handlungsort Hollywood, liest sich die Liebesgeschichte, in der man von einem Satz zum nächsten jagt.
Dennoch kann der Leser in eine Gefühlswelt abtauchen, die außergewöhnlich, faszinierend, mitunter aber auch irritierend und befremdlich ist. Besson zeigt, wie unerwartet die Liebe zuschlagen kann. Wie sich durch einen komischen Wink des Schicksals das ganze Leben ändern kann. Ein kurzweiliger Roman, den man trotz des vorhersehbaren Endes in einem Zug durchliest – ein Roman, der den Leser etwas verstört zurücklässt.
| TANJA LINDAUER
Titelangaben
Philippe Besson: Venice Beach
Aus dem Französischen von Caroline Vollmann
München: DTV premium 2012
180 Seiten. 14,90 Euro
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