»hier war doch« was – Magie der Sprache en miniature

Lyrik | Doris Runge: man könnte sich ins blau verlieben

Doris Runge, die Grande Dame der poetischen Wortkunst, hat ihren neuen Lyrikband ›man könnte sich ins blau verlieben‹ im Göttinger Wallstein Verlag vorgelegt. Sie besingt die feinsinnigen, zauberhaften Zwischenwelten, die uns im Alltag nicht so leicht in den Sinn kommen, obgleich es wohl gerade die scheinbar so leisen Zwischentöne sein dürften, die unser Leben wertvoll machen. Von HUBERT HOLZMANN

Doris Runge - man könnte sich ins blau verlieben | SprachePoesie ist eine besondere Ausformung des Magischen. Die Dichtkunst zeigt uns die Welt »auf den Schultern von Riesen«, aus einer anderen Warte, aus einem ganz besonderen Blickwinkel. Und vielleicht sogar als eine Verzauberung unseres Seins durch das Wort. Und auch Doris Runges Gedichte bilden unsere Welt neu, bebildern sie, besehen und beschwören sie. Nein, nicht als große Neuschöpfung, als eine Weltformel, die unsere Realität verändert oder uns eine rosa Brille vor die Nase hält. In ihrem Gedichtband ›man könnte sich ins blau verlieben‹ formt Doris Runge kleine Bilder, Begegnungen, Bedeutsamkeiten.

Treffend ist wohl das Bild im Gedicht »eisblumen«, ein »hauchzart«es Gebilde, eine Daguerreotypie des Augenblicks, ein Wimpernschlag, mit dem Runge den Betrachter ins Off unserer Realität stellt: »wer sie wachsen sieht | den trennt | eine welt | von der welt«. Vielleicht liegt in diesem Spiel der Entgrenzung des Lesers eine mögliche Deutung der so oft sehr zerbrechlichen Welten von Runge: der »landeplatz« »für engel | langhalsige | entenfüßige | heimwehkranke | für musen« ist das »geöffnete fenster«. Also nur herein mit dieser bilderreichen, eindringlichen Sprache!

Dabei sind Runges Texte keineswegs ein rückwärtsgewandtes Nachsäuseln von Rilkeschen elegischen Engelmotiven – kein Nachdichten der »Blauen Hortensie« etwa – kein romantisierendes Nachzeichnen der »malgründe von kirchner und nolde«, um eine nostalgisch romantische Stimmung zu betonen und zu verkitschen. In ihren Gedichten erklingen leise Töne, die beim ersten, auch lauten Lesen, leicht überhört werden und erst nach reichlichem Hin- und Herwenden der Worte, beim Nachblicken der Bilder eine tiefe Bedeutung erhalten können: Denn wo ist denn für Runge das besungene »paradies«? Ganz konkret verortet »nur eine treppe höher«? (Im Lese- und Arbeitszimmer der Richterin?) Womöglich »vor dem tod« oder »in deinem herzen«? Oder etwa doch in der titelgebenden Farbe der Gedichtsammlung: »meine augen sind blau | wie der Himmel«, als einen Einfall des Schöpfers?

Doris Runge wählt die Momente des Zerbrechlichen, der Vergänglichen, des kurzen Innehaltens aber nicht zufällig: Es entstehen die geheimen Orte in der Natur, an denen die »federn im eis« für einige wenige frostige Tage hängen, wo die »dohlen« aufgeschreckt in der Höhe fliegen, »ein zaubervogel« in seinem Versteck »im sommer« brütet. Das sieht man nicht einfach so im Vorbeifahren. Dazu muss man innehalten, hinsehen, beobachten, festhalten – das Konkrete, das Erlebnis, das im Notieren zum Bild wird.

Und dann mischen sich Erinnerungen, Ängste, Verletzungen in die Beobachtungen von »sonntags morgens«, entstehen satirische Miniaturen als Totentanz »auf der gartenbank«, wo sich »das tödlein« »den schweiß | von der tätowierten stirn« wischt. Diese Miniaturen spielen auf »vermintem Gelände« am Frühstückstisch. Lakonisch klingt das Resümee: »der kaffee ist | schwarz und bitter | sie köpft | das ei«. Auch die Höllenfahrt im »blühenden | scherbengarten« lässt nicht lange auf sich warten. Von billiger Romantik ist in Runges Gedichten keine Spur. Hier geht es ans Eingemachte.

Nach diesen morbiden Gedankenbildern lockt die Dichterin uns dann doch zurück in die Farbenfülle ihres nordischen Himmels, ins Spiel der Wolkenspiele und der Wellen. Da ist nicht alles grau, wie man so landläufig meint. Es geht auch »nizzaweiß« in den Küstenorten der Ostsee – aber auch nichtsdestotrotz gibt es hier den »schatten«, der »die schöne | in vergangene töne« tauchte. Und nicht zu vergessen ist der zauberhafte Moment, wenn man den Deich überschreitet und der Blick plötzlich in die Unendlichkeit des Horizonts schweifen kann: über die Kuppe, »blind summits«. Dahinter lauert aber auch Gefahr, »sonne wind | und wolken | in nebeltüchern«. Weit sind sie da nicht mehr, die »sisters« aus Macbeth, die zur »audienz« laden, die »drei prophetinnen | aus der heide« – das Echo bei Runge sarkastisch: »danach sehen wir weiter«.

Hier klingt die Erinnerung frech, das Zitat wird verkehrt, die Perspektive gedreht. Der Rat klingt nicht ganz wie aus einer Illustrierten, auch wenn es heißt, »nimm bilsenkraut | wir salben | wir machen schön | was alt und grau | wir haben | messerchen und botox«. Runges Fazit fast energisch forsch: »schleich dich«! Und trotzdem dreht sie die Zeit kess zurück, schlüpft noch einmal in die Rolle der »kindfrau«, wird zum »hippiemädchen | das blümchen strumpfband« – ernüchternd die Erkenntnis, »ich weiß | er ist ein | voyeur | lässt mich leben | für diese show«.


in deinen Augen

untergehen
ein atemloser
süffiger tod
war es so
so soll es sein
aus der blausten
aller augenfarben
ist sie nicht
wegzudenken
die liebe

 

So farbenfroh das Inventar in Runges Gedichten auf den ersten Blick also scheinen mag, wenn in ihren Texten Märchenbilder entstehen, Kinderreime nachklingen oder farbenverliebt »noldes garten« mit »rotem schlafmohn« abgelichtet wird und »wolkentiere« »wollüstig kopulieren«, es bleibt zerbrechlich, vergänglich, nur eine flüchtige Erscheinung. Ist es ein Sehnen oder doch Selbstironie, wenn die Dichterin feststellt, dass der Musenkuss »wie immer | viel zu spät« kommt, und ist es ein locker-lässiger Abgesang auf das Leben, »was mich noch trennt | ein schmetterlingsflügel | dem ich folge | ein bunter sommerflirt | die liebe«, und eine mögliche Antwort oder einen Gegenentwurf zum mittelhochdeutschen Walther: »ich singe | ich weiß | er wird | mich hören | … | er wird kommen | früher oder später | ich mit der flut | mit meinem lied | und dem kehrreim | mir wird er | treu sein«?

Doris Runges Gedichtband man könnte sich ins blau verlieben ist ein extrem intensives, ein extrem sinnliches Buch, das in höchst musikalischer Weise im Konjunktiv die Facetten des Lebens besingt.

| HUBERT HOLZMANN

Titelangaben
Doris Runge: man könnte sich ins blau verlieben
Göttingen: Wallstein Verlag 2017
88 Seiten. 18.- Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe
| Hubert Holzmann zu Doris Runge in TITEL kulturmagazin

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Dem Sturm trotzen

Nächster Artikel

Der Sexologie-Comic

Weitere Artikel der Kategorie »Lyrik«

Satyrspiele oder Die Jagd ins Bockshorn

Lyrik | Marco Tschirpke: Gedichte – Band 1 Marco Tschirpke, der uns als satirischer Musikkabarettist bekannt ist, hat mit seinen Soloprogrammen unter anderem den Deutschen Kabarettpreis 2007 erhalten. Seit kurzem gibt es die ›Gedichte Band 1‹ (2012) im Verlag André Thiele – ein ambitioniertes Projekt. Und nun hat Tschirpke nachgelegt: Seine Gedichte sind als Hörbuch erschienen – ›Schiffe tuten auf dem Meer‹ – und werden von keinem anderen als Harry Rowohlt gelesen. HUBERT HOLZMANN hat in die CD reingehört und nebenbei im Gedichtband geblättert.

heidelberg-nord, abendlauf

TITEL-Textfeld | Şafak Sarıçiçek: heidelberg-nord, abendlauf der zeiger weist auf vier uhr früh die stadt liegt betrunken zu beiden seiten des neckars schwarzer wasserleibesfülle einsame lastwagen tuckern

Drei Gedichte

Lyrik | Peter Engel: Drei Gedichte Aufforderung aus den Wolken Wie ein Mehlsack schwer der Tag, der seine trüben Aussichten durchs Balkonfenster wuchtet und mir auf den Schreibtisch kippt, mach was draus, sagt er mir.

In Güstrow | Meerraben

Textfeld | Julietta Fix: Zwei Gedichte In Güstrow Ich habe deine Kleider mitgenommen das wässrige Öl aus dem Schrank die Puderdose zerbröselte Reste auf den Augen verteilt.

Zwei Gedichte

Textfeld | Christian Saalberg: Zwei Gedichte GESTERN MORGEN PFIFF DER WIND SO, daß ich Angst hatte, er würde die schlafenden Krieger Wecken. Sie wollten nicht mehr leben, wer will das schon.