Comic | Liv Strömquist: Der Ursprung der Welt
Selten sind Menschen beides: praktizierende Sozialwissenschaftler und aktive Comic-Künstler. Doch die schwedische Autorin Liv Strömquist ist genau dies, was sie jetzt in einem kritischen, kompromisslosen, auf seine eigene Art kunstvollen und durchaus witzigen Sachcomic bewiesen hat. ›Der Ursprung der Welt‹ heißt das Buch und beschäftigt sich aus feministischer Perspektive mit dem weiblichen Geschlechtsorgan, und damit gelingt es ihm vielleicht, den Feminismus auch für eine neue Leserschaft zu erschließen. Denn Strömquist ist der Meinung, es ist Zeit, über die Vulva als Kulturphänomen zu reden und mit der von ihr konstatierten Tabuisierung aufzuhören. PHILIP J. DINGELDEY ist zwar kein klassischer Feminist, aber hat sich das Comic-Pamphlet dennoch amüsiert angesehen.
›Der Ursprung der Welt‹ behandelt verschiedene Themenaspekte des weiblichen Geschlechtsorgans in kurzen, meist isoliert stehenden Kapiteln. Sie redet über ein Ranking von Männern, die sich »zu sehr für das weibliche Geschlechtsorgan interessieren« – wobei hier nicht Interesse, sondern perverse Kontrolle gemeint ist, mittels Unterdrückung und Zwangsoperationen –, stellt Überlegungen zur Darstellung der Vulva in prähistorischer Zeit an, philosophiert über sexuelle Unterschiede zwischen Frau und Mann und Frau und Frau, liefert geschichtliche Kurzabhandlungen, und widmet sich ausführlicher dem Thema der Periode, die als verpönt und unrein gilt.
Damit legt Strömquist inhaltlich einen Rundumschlag über die Thematik vor. Umfasst werden die Bereiche Biologie, Medizin, Kulturgeschichte und Philosophie. Kurz gesagt: Es ist einer der ersten sexologischen Sachcomics. Alleine deshalb wird es schon zu einem beachtenswerten Werk. Dabei gelingt es der Macherin aber leider nur, die meisten Themen grob anzuschneiden und dann ihre bissige und kritische Position darzustellen. Trotz einer gewissen Oberflächlichkeit schafft sie es immer noch, durch eine intensive Recherche, in der Öffentlichkeit eher weniger bekannte Fakten aufzuzeigen; und alleine schon durch die Breite der Thematik durfte für die meisten Leser ein Wissenszuwachs dabei sein.
So malt sie unterschätzte Positionen heraus, etwa dass Vagina der falsche Terminus für das gesamte weibliche Sexualorgan sei, was wiederum zu einer soziokulturellen Abwertung der Klitoris führe, da diese zwar für den weiblichen, aber weniger für den männlichen Orgasmus relevant sei. Vulva sei der passendste Ausdruck, um das gesamte Organ korrekt zu titulieren.
Der Fokus auf die Tabuzone
Doch wie setzt man ein solches Werk in einen Comic um, von den biologischen Illustrationen einmal abgesehen? Gerade darin liegt die Krux, die den ›Ursprung der Welt‹ lesenswert macht; das Comicformat verleiht dem Buch erst seinen Witz und Charme. Zwar sind viele Seiten eher langweilig gestaltet, indem die Panels zu häufig einheitlich angeordnet sind, und auch ihre Zeichnungen wirken häufig eher unbeholfen, doch das schadet in diesem Fall der Qualität kaum. Sie nutzt die Kombination aus Text und Bild für eine bessere szenische und pointierte Darstellung, denn vor allem der szenische Humor zeichnet das Werk aus.
Ein Ranking, vorgetragen von einer Frau auf der Bühne, die sich dann in Rage redet und von der Regie gestoppt wird, eine satirische Darstellung von Figuren wie Sigmund Freud oder Jean-Paul Sartre oder bestimmte historische Akteure, die in der Sprechblase dümmlich den Text wiederholen, den Strömquist zuvor schon über diese Figuren geschrieben hat machen das Werk wirklich lustig und lockern es auf. Die eher kindlich erscheinenden Zeichnungen werden dadurch karikaturesk. Geschossen wird nicht mit filigranen Zeichnungen, sondern locker mit plakativen Signalen.
Dadurch befreit sie den Feminismus von dem Ruf der Borniertheit, indem sie zwar kritisch, aber mit einem Augenzwinkern den Leser zu überzeugen versucht. Ähnlich wie andere zeitgenössische Feministinnen (beispielsweise Anne Wizorek) ist sie vor allem, wenn sie aus dem Off spricht, jovial und im Ton umgangssprachlich.
Ein weiteres wichtiges zeichnerisches Stilmittel ist, dass, bis auf wenige Kapitel – die dann eher illustrativ, statt inhaltlich wirken –, der Band in Schwarz-Weiß gehalten ist. Lediglich die Darstellung der Monatsblutung geschieht in Rot, was einen Fokus auf die tabuisierte Zone legt und Strömquist bei der Dekonstruktion der weiblichen Ängste vor der Periode hilft.
Insgesamt ist Strömquists ›Der Ursprung der Welt‹ ein bissiger Sachcomic zu einem interessanten und dennoch bislang eher weniger beachteten Thema des weiblichen Geschlechtsorgans, das sich jedoch nahtlos in die Zeit der neuen Generation des Feminismus einreihen kann, jedoch sich ohne dessen teilweise verbohrten Ansichten, hysterischen Belehrungen und Spaltungstendenzen annehmen zu müssen. Damit wirkt sie trotz ihrer Kritik weniger aufgeregt und erschließt für den Feminismus gleichzeitig ein ziemlich neues Feld: den Sachcomic. Und selbst nichtfeministische Leser wird diese urkomische, intelligente Synthese zum Nachdenken und Lachen bringen können.
Titelangaben
Liv Strömquist: Der Ursprung der Welt
Aus dem Schwedischen von Katharina Erben
Berlin: Avant Verlag 2017
Softcover, 140 Seiten, 19,95 Euro
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