Alles neu macht man selbst

Kulturbuch | Henrietta Thompson, Neal Whittington (Ill.): Mach neu aus alt. Welt retten, Geld sparen, Style haben. Kleidung und Accessoires.

Was für eine Win-Win-Situation! Man spart Geld, gehört zum Style-Jetset und rettet ganz nebenher auch noch die Welt. Henrietta Thompson erklärt in Mach neu aus alt, wie das gehen soll. VIOLA STOCKER ließ sich überzeugen.

Mach neu aus altDie Journalistin und Kuratorin Henrietta Thompson hat sich nicht zum ersten Mal mit Recycling befasst. Während in ihrem früheren gleichnamigen Band Interior Design und Wohnen im Fokus standen, konzentriert sie sich nun auf Kleidung und Accessoires. Die Einführung gibt einen kurzen Überblick über die Geschichte der Hobbyschneiderei nach dem zweiten Weltkrieg und darüber, wie aus der notgedrungenen Flickschusterei der Trümmerfrauen plötzlich – gegen Ende des Jahrtausends – Kunst wurde.

Von der Kunst der Dekonstruktion

Schon nach den wenigen ersten Seiten wird klar, dass man hier kein gewöhnliches DIY-Buch in Händen hält. Thompson interessiert sich nicht für Nähanleitungen, Strickmuster und Fachgehüstel. Genauso wenig wie für Zierrat und Schnickschnack auf Kinderkleidchen und Gästehandtüchern. Sie zeigt, wie zeitgenössische Designer überall auf der Welt versuchen, über den Tellerrand ihres Gewerbes hinaus zu blicken und etwas zu schaffen, das bedeutender ist als das nächste Couturekleidchen. Sie machen Modekunst aus dem, was übrig bleibt.

Dinge, die uns zu schlecht zum Verwerten sind, werden wieder verändert. Lastwagenplanen, Plastiktüten, Kuhzitzen, Lederabfälle, Kugelschreiberkappen, Kronkorken. Dabei stellt Thompson in verschiedenen Rubriken Designer vor, die sich leidenschaftlich dem Müll und der Nachhaltigkeit verschrieben haben und tatsächlich unglaubliches aus dem machen, was anderen nichts mehr wert ist. Es geht nicht nur um Damenbekleidung, sondern auch um die Garderobe für den Herrn, Unisexklamotten, Kindersachen, Accessoires, Schönes für Vierbeiner.

Kreatives Feuerwerk

Das Besondere an Mach neu aus alt ist, dass einem zwar stets schier die Augen übergehen angesichts der unglaublichen Kreativität der Designer, dass aber andererseits in jedem Kapitel knappe, aber schlüssig illustrierte Anleitungen den Leser zum Selbermachen auffordern.

Auch Anfänger in Sachen Textilverarbeitung können anhand der Skizzen tätig werden und aus Wegwerf- Anziehsachen herstellen. Leider beschränken sich die eingefügten Tipps auf Nähtechniken und einfache Bastelanleitungen.

Gerade weil die Beiträge und die vorgestellten Designer der eigenen Kreativität Flügel verleihen, ist es so schade, dass nicht weiterführende Anleitungen zur Herstellung von Accessoires und Kleidung mit einbezogen wurden. Schließlich wünscht man sich doch manchmal, man könnte den Künstlern der Haute Couture etwas ins kreative und nachhaltige Handwerk pfuschen. Andererseits bleibt so dem eigenen Tatendrang noch genügend Raum und kaum hat man Henrietta Thompsons Styleguide ausgelesen, kann man sich den neuen eigenen Projekten widmen.

| VIOLA STOCKER

Titelangaben
Henrietta Thompson, Neal Whittington (Ill.): Mach Neu aus Alt. Welt retten, Geld sparen, Style haben. Kleidung und Accessoires
Aus dem Englischen von Susanne Tiarks
Hamburg: Edel 2012. 272 Seiten. 24,95 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Selbstfindung im Anderswo

Nächster Artikel

Paarbildung ganz unliterarisch

Weitere Artikel der Kategorie »Gesellschaft«

Stimmungs-Umschwung

Gesellschaft | Richard David Precht: Tiere denken Es gibt zu viele Bescheidwisser, und Weisheit wird wieder mit Löffeln gefressen. Da erfrischt ein Satz wie dieser: »Gesichert in der Evolutionstheorie ist, dass keine ihrer Annahmen gesichert ist«. Im Übrigen existiert der Mensch bislang bloß hunderttausend Jahre, während unförmige Saurier den Planeten hundertfünfzig Millionen Jahre lang bevölkerten – kann gut sein dass sie klüger waren. Von WOLF SENFF

Think less, be successful!

Sachbuch | Steve Ayan: Lockerlassen Morgens aufgewacht und schon auf Turbo geschaltet: Unser Gehirn vollbringt jeden Tag Höchstleistungen. Immer mehr denken, immer bewusst denken, mehr erreichen! Für viele ist das der richtige Weg, denken sie. Da wir jeden Tag Bestleistungen erzielen möchten, um erfolgreicher zu sein oder ständig an unserer eigenen Haltung arbeiten, um glücklicher zu sein, haben wir verlernt, die Gedanken bewusst schweifen zu lassen. Können wir eigentlich auch einfach einmal »nicht denken«? Und wenn ja, können wir, wenn wir die Kontrolle abgeben, trotzdem noch an die Spitze oder zum Glück gelangen? Sie werden staunen. Von MONA KAMPE

Vorsicht vor Frauen und Schnaps

Gesellschaft | Leitfaden für britische Soldaten 1944 Spätestens seit die US-Regierung auf den 9/11-Terror mit Bombeneinfällen im Irak reagierte, kennt man auch im friedensverträumten Deutschland das Wort »Exit-Strategie«. Man sollte, besagt es, nicht irgendwo einfallen, wenn man nicht weiß, wie man wieder rauskommt. Das leuchtet selbst Zivilisten ein, ist aber nur der zweite Schritt. Der erste – für den zweiten unabdingbare – scheint in neuen »asymmetrischen« Kriegen fatalerweise wegtechnologisiert zu sein: Man sollte das Land, in das man einfällt, sehr gut kennen. Nicht nur die Geo- und Topographie samt Klima, sondern die Menschen und deren Geschichte, Kultur, Lebensart, Mentalität. Mit

Messerscharfes Vergnügen

Gesellschaft | Thomas Rothschild: Bis jetzt ist alles gut gegangen

Thomas Rothschild, in Österreich aufgewachsen, verließ das Land aus politischen Gründen und lehrte über drei Jahrzehnte Literaturwissenschaft an der Universität Stuttgart. In Deutschland ist er fest in der Kultur verwurzelt. Seine jetzt publizierte Aufsatzsammlung hat eine Menge Vorläufer (zuletzt: Alles Lüge. Das Ende der Glaubwürdigkeit, 2006), der vorliegende Band enthält Glossen und Aufsätze für titel-magazin.de und den Freitag – bevor der nach der Übernahme durch den nachwachsenden Augstein zum Mainstream ins Bett kroch und man sich seitdem leichten Herzens erlaubt, auf qualifizierte Journalisten wie Ingo Arend und Tom Strohschneider verzichten zu können. Von WOLF SENFF

Digitales| Gesellschaft | Die Sexismus-Debatte im Juni 2012 Der Juni 2012 brachte eine bemerkenswerte Diskussion hervor: Die Geschlechter-Problematik wurde in der Spiele-Industrie und der sie umgebenden Kultur zwar schon öfters angesprochen. Doch nie zuvor wurde die Diskussion derart breit und entschieden geführt. Wie nachhaltig sie ist, wird sich erst noch beweisen müsst; trotzdem scheint dieser Monat einen wichtigen Moment zu markieren: Den – oder zumindest einen –  wichtigen Moment der Bewusstwerdung des Sexismus-Problems in der Industrie – und zwar nicht nur als vereinzeltes Phänomen, sondern als strukturelles. Ein Überblick von CHRISTOF ZURSCHMITTEN, VOLKER BONACKER, PETER KLEMENT und DENNIS KOGEL.