Ein Augenblick Frieden reicht nicht

Menschen | Leymah Roberta Gbowee: Wir sind die Macht

In ihrer Autobiographie Wir sind die Macht schildert die Friedensnobelpreisträgerin Leymah R. Gbowee ihren Weg als Aktivistin in der Friedensbewegung und erzählt ihre einzigartige Geschichte, die uns in den Bann Liberias zieht. Wie sie in ihrem Vorwort deutlich macht, will sie sich von traditionellen Kriegsgeschichten abwenden, die Frauen in den Vordergrund stellen und deren Kriegserfahrungen beschreiben. Von MARITA BÜHRMANN
Ein Augenblick Frieden reicht nicht
Leymah R. Gbowee wurde am 1. Februar 1972 in Monrovia geboren und lebte ein zufriedenes Leben. Das Buch beginnt mit ihrem High School-Abschluss. Zu diesem Zeitpunkt hat Leymah große Pläne. Sie möchte studieren, um später Ärztin werden zu könne. Doch es kam alles anders.

Den Sinn des Lebens erkennen

Es ist eine faszinierende Geschichte, die Leymah erzählt. Eine Geschichte voller Hoffnung und Mut und dem unerschütterlichen Glauben an Gott und an den Frieden. Denn der ausbrechende Bürgerkrieg in Liberia zerstört Leymahs Träume von einer glücklichen Zukunft. Von nun an geht es für sie um Leben und Tod. Die Welt, in der sie bis zu Kriegsausbruch gelebt hat, existiert von nun an nicht mehr für sie. Die neue Welt, eine Welt voller Schrecken, Schmerz und Verlust, verlangt von ihr, schlagartig erwachsen zu werden und sich mit dem allgegenwärtigen Tod auseinanderzusetzen. »Angst war das erste, was ich fühlte, wenn ich morgens die Augen aufschlug«, beschreibt sie ihre Gefühle.

Das junge, ehrgeizige Mädchen musste viele Schicksalsschläge hinnehmen und fand sich plötzlich in einer von Gewalt geprägten Beziehung und mit vier Kindern wieder, die sie kaum ernähren konnte. Von der alten Stärke und dem Selbstvertrauen war kaum noch was übrig. Sie fühlte sich hilflos und wusste zwar, dass sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen und sich aus ihrer ohnmächtigen Situation befreien musste, doch sie war lange noch nicht soweit. Erst nach und nach konnte sie wieder den Sinn des Lebens erkennen und ihre Zukunft in der Arbeit als Sozialarbeiterin und später als Friedensstifterin sehen.

Tausende weißgekleidete Frauen

Leymah beschreibt ihre Arbeit als Friedensstifterin damit, dass sie versucht den Kriegsopfern zu helfen, zu ihrer früheren Person zurückzufinden und im Gegenzug den Tätern die eigene Menschlichkeit zu zeigen. Es bedeutet für sie zu vermitteln, dass man einen Konflikt ohne Gewehre und Gewalt lösen kann. Sie erzählt: »Ich habe diese Rolle nicht gesucht, sie fiel mir zu«. Und aufopferungsvoll nahm sie diese Rolle an. Der Preis, den sie bezahlen musste war hoch. Die Arbeit stand immer an erster Stelle, erst danach kamen ihre Kinder, die Leymah schon gar nicht mehr als ihre Mutter ansahen. Oft versank sie in Alkohol und Depressionen. Doch Aufgeben kam für sie nie in Frage – und sie bekam viel zurück. Sie lernte fleißig, gründete Frauennetzwerke zur Friedenskonsolidierung und schaffte es, dass mehr und mehr Frauen sie auf ihrem langen und beschwerlichen Weg begleiteten. Der Höhepunkt war der Widerstand gegen den Rebellenanführer Charles Taylor, bei dem mehrere tausend weißgekleidete Frauen sich für den Frieden hinsetzten. Die Medienaufmerksamkeit hatte zur Folge, dass Leymah Gbowee nun um die ganze Welt reiste und das ersehnte Gefühl hatte, etwas beitragen zu können. Und das hat sie auch wahrlich getan. Seit mehreren Jahren herrscht in Liberia Frieden, im November 2005 wurde Ellen Johnson Sirleaf als erste Frau Afrikas zum Staatsoberhaupt gewählt.

Mit enormer Wortgewalt und viel Einfühlungsvermögen schafft Leymah Gbowee, zu beeindrucken und einen in den Bann Liberias zu entführen. Sie erzählt eine spannende und fesselnde Geschichte, die uns viel Bewunderung für diese tapfere und mutige Frau empfinden lässt. Anschaulich und ehrlich beschreibt sie ihre zum Teil sehr grauenvollen Erlebnisse und auch mit Hilfe der Fotos in der Mitte des Buches bringt sie uns ihre Welt näher. Die bewegende Autobiographie lässt einen schockiert und entsetzt zurück, aber gibt einem auch Hoffnung, dass es sich lohnt, für den Frieden zu kämpfen, denn für viele Menschen auf der Welt ist Frieden nicht selbstverständlich. Leymah Gbowee jedoch hat immer an den Frieden geglaubt und dafür viele Rückschläge hingenommen, doch am Ende hat sie das erreicht, wovon sie geträumt hat. Es war ein langer Kampf und es bleibt noch ein langer Weg, doch das, was sie bis jetzt erreicht hat, ist beeindruckend. Das Buch ist die Autobiographie einer Frau, die mit Recht den Friedensnobelpreis verliehen bekommen hat.

| MARITA BÜHRMANN

Titelangaben
Leymah Roberta Gbowee, Carol Mithers: Wir sind die Macht. Die bewegende Autobiographie der Friedensnobelpreisträgerin
(Mighty Be Our Powers, 2011)
Aus dem Amerikanischen von Susanne Held
Stuttgart: Klett-Cotta 2012. 319 Seiten. 21,95 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Kooperation bedeutet Niedergang

Nächster Artikel

Katholische Putzfrau gesucht

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Desillusionierte Tochter Südafrikas

Menschen | Zum Tod  der Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer Sie hat lange und unerbittlich gegen das Apartheidsregime gekämpft. Umso größer war ihre Enttäuschung über die später  folgende politische Entwicklung Südafrikas. In ihrem letzten Roman ›Keine Zeit wie diese‹ (2012) erzählte die in ihren letzten Lebensjahren völlig desillusionierte Nadine Gordimer von der Vetternwirtschaft der einstigen Helden des ANC – von Korruption, Egoismus und politischer Inkompetenz. Von PETER MOHR

Der »Les-Schreiber«

Menschen | Navid Kermani Beten auf einer Preisverleihung? Der diesjährige Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Navid Kermani, sorgte mit seinem Gebetsaufruf während der Verleihungszeremonie durchaus für Irritationen: Von einem »fragwürdigen«, gar »unerträglichen Übergriff« konnte man im Feuilleton der ›SZ‹ lesen. PETRA KAMMANN hingegen findet das Anliegen des Preisträgers zwar überraschend, aber nicht unangemessen – haben sich doch bereits frühere Preisträger nicht lediglich in Sonntagsreden geübt.

»Also was nun, Leben oder Kunst?«

Menschen | Zum Tode der Schriftstellerin Gabriele Wohmann »Wenn ich nicht schreibe, fühle ich mich nicht gut. Schreiben ist auch eine Gewohnheit, auch wenn es stimmt, dass ich ohne Schreiben wohl nicht atmen könnte«, erklärte Gabriele Wohmann 2006 in einem Interview. Am Montag (22. Juni) ist die Schriftstellerin in ihrer Geburtsstadt Darmstadt nach langer schwerer Krankheit im Alter von 82 Jahren gestorben. PETER MOHR über das Leben der selbsternannten »Graphomanin«. [Abb: Andreas Bohnenstengel]

Aus dem Reich der Schwärze

Menschen | Zum 125. Geburtstag von Hermann Kasack

Vor 125 Jahren wurde der Schriftsteller Hermann Kasack (am 24. Juli) geboren. Er war Romancier, Lyriker, Hörspielautor, Dramatiker, Lektor, Verlagsleiter und Rundfunkpionier in einer Person und hat die deutsche Nachkriegsliteratur maßgeblich geprägt. Trotzdem ist sein Name nahezu in Vergessenheit geraten. Die Rede ist von Hermann Kasack. Ein Porträt von PETER MOHR

Am Straßenrand der Geschichte

Menschen | Interview: Stefan Aust im Gespräch

Der Journalist und Autor Stefan Aust wurde 1946 in Stade geboren. Kindheit und Jugend verbrachte er mit seinen Eltern und den vier Geschwistern auf einem kleinen Obsthof in der Nähe der Elbe. Dort erlebte er im Februar 1962 die große Sturmflut, bei der mehrere Kühe ertranken. Seine ersten journalistischen Erfahrungen machte er bei einer Schülerzeitung. 1966 wurde er Redakteur bei der Zeitschrift konkret, wo er die spätere RAF-Terroristin Ulrike Meinhof kennenlernte. Sein Wissen über die RAF verarbeitete er 1985 in dem Buch Der Baader-Meinhof-Komplex, das 2008 verfilmt wurde. Von 1972 bis 1987 war Stefan Aust für das Fernsehmagazin Panorama tätig. Die Bekanntschaft mit Rudolf Augstein führte dazu, dass er ab 1988 Chefredakteur bei Spiegel TV im Privatfernsehen wurde. Von 1994 bis 2008 leitete er das Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Neben dem Reisen ist die Zucht von Pferden seine Leidenschaft. 2021 veröffentlichte Stefan Aust seine Autobiographie Zeitreise. Mit THOMAS COMBRINK spricht er über wesentliche Stationen seines Lebens.