/

Der verstummte Dichter

Menschen | Zum 25. Todestag von Wolfgang Koeppen

Er ist heute noch ein großer Unbekannter, obwohl er zu den herausragenden deutschsprachigen Romanciers nach dem Zweiten Weltkrieg gehört. Die Rede ist von Wolfgang Koeppen, der früh das Schreiben eingestellt, kaum Interviews gegeben hatte und so schon zu Lebzeiten zum Mythos avanciert war. Von PETER MOHR

»Er war abhängig vom Verlag, hat es ausgenutzt und darunter gelitten«, erklärte der Germanist Michael Gratz, der viele Jahre das Wolfgang-Koeppen-Archiv an der Universität Greifswald betreute und damit auf einen singulären Fall in der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur hinwies.

Fast 40 Jahre war Koeppen Hausautor bei Suhrkamp, bezog von Verleger Siegfried Unseld großzügige finanzielle Unterstützung und hat doch in diesem langen Zeitraum nie den erhofften und oftmals angekündigten neuen, »großen Roman« geschrieben. »In meinen Büchern steht, was ich mitteilen will, und alles andere will ich nicht mitteilen«, antwortete Wolfgang Koeppen Anfang der 1980er Jahre einmal auf die ihm häufig gestellte Frage, warum er sich in literarisches Schweigen hülle.

Seit Mitte der 1950er Jahre wartete das literarische Publikum und wohl noch viel mehr die Kritiker alljährlich auf einen wirklich neuen Roman aus Koeppens Feder. Doch weder das heftige Drängen des Suhrkamp Verlags noch das Trommeln von Marcel Reich-Ranicki, der stets bemüht war, Koeppen vor der Vergessenheit zu bewahren, konnten den zuletzt in München lebenden Autor bewegen.

Das Prosabändchen ›Jugend‹ (1970) und der Aufsatzband ›Die elenden Skribenten‹ (1981) sind die letzten Veröffentlichungen, die unmittelbar nach ihrer Fertigstellung erschienen waren. Mit fast prophetischer Gabe hatte Karl Korn in der FAZ in den 1960er Jahren geschrieben, so als gelte es ein Lebenswerk zu resümieren: »Und er konnte schreiben. Er hatte bei den Richtigen gelernt, von Joyce bis Faulkner.«

Wolfgang Koeppen, der am 23. Juni 1906 in Greifswald als unehelicher Sohn einer Näherin geboren wurde, hat sich nach journalistischen Lehrjahren in Berlin früh der Literatur zugewandt. Bereits 1934 erschien sein Erstling ›Eine unglückliche Liebe‹ und ein Jahr später der fast vergessene Roman ›Die Mauer schwankt‹, der aus Anlass seiner Neuauflage auf Betreiben von Marcel Reich-Ranicki im Januar 1983 in der FAZ als Fortsetzungsroman veröffentlicht wurde.

Koeppen, der während der Nazi-Herrschaft zunächst nach Holland emigrierte, 1938 nach Deutschland zurück kehrte (»Ich stellte mich unter, ich machte mich klein.«) und Drehbücher für die Bavaria schrieb, wurde von der Kritik stets wohlwollend aufgenommen, gleichwohl gab es – im Gegensatz zu Heinrich Böll, Günter Grass und Siegfried Lenz – nie eine Koeppen-Lesergemeinde.

Sein unbestrittener literarischer Rang resultiert aus der Anfang der 1950er Jahre erschienenen Romantrilogie, bestehend aus ›Tauben im Gras‹, ›Das Treibhaus‹ und ›Tod in Rom‹. Im ›Treibhaus‹, einem Roman um den fiktiven Bonner Politiker Keetenheuve, erwies sich Koeppen als radikaler Gegner der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft, in der er Rückstände jener Ideologie aufzuspüren glaubte, die zu Faschismus und Krieg geführt hatte. Sein bis heute eindrucksvollstes Werk ist der stark an James Joyce orientierte Roman ›Tauben im Gras‹, der aus vielen kleinen Mosaiken besteht und einen einzigen Tag im zerstörten München beschreibt.

Als Koeppen 1962 den Georg-Büchner-Preis erhielt, gab er sich noch betont kämpferisch und fühlte sich den Maximen des ›Hessischen Landboten‹ (Friede den Hütten, Krieg den Palästen) verpflichtet. Zwei Jahrzehnte später bekannte er in einem Interview: »Ich bin mittlerweile von der Machtlosigkeit des Schriftstellers überzeugt.«

Verständlich, dass er – trotz vieler Entwürfe und Manuskriptanfänge – angesichts dieser subjektiven Erkenntnis kein neues belletristisches Werk mehr publizierte. Vielleicht war es auch die Angst vor dem Versagen, vor dem zu hohen Erwartungsdruck (»Ich glaube, Reich-Ranicki erwartet von mir einen zeitgenössischen Balzac.«) und der Respekt vor dem eigenen Werk, die Koeppen haben verstummen lassen. Die letzten Lebensjahrzehnte genoss er als der bekannteste Schriftsteller ohne Leserschaft und hat an der Legendenbildung kräftig mitgewirkt. Wolfgang Koeppen, der 1990 mit der Ehrendoktorwürde der Universität Greifswald ausgezeichnet wurde und dessen Geburtshaus durch das Engagement von Günter Grass und Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder vor dem Verfall gerettet wurde, war der letzte Bohèmien unter den bedeutenden Autoren des 20. Jahrhunderts.

2003 wurde das Wolfgang Koeppen-Haus in Greifswald eröffnet, inzwischen einer der wichtigsten Veranstaltungsorte für Literatur im äußersten Nordosten Deutschlands. Das Wolfgang-Koeppen-Archiv der Universität erforscht und betreut hier den 1997 von der Suhrkamp-Stiftung erworbenen Koeppen-Nachlass und die über 10 000 Bände umfassende Bibliothek des Autors. Als Fragment seiner letzten Wohnung hat man im Koeppen-Haus ein »Münchner Zimmer« arrangiert.

1992 erschien (44 Jahre nach der Fertigstellung) sein Roman ›Jakob Littners Aufzeichnungen aus einem Erdloch‹. Auch dieses Frühwerk belegte noch einmal, dass Wolfgang Koeppen, der am 15. März 1996 in München im Alter von 89 gestorben ist, einer der Protagonisten der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur, ein künstlerischer Solitär mit absolut singulärer Stimme war.

| PETER MOHR

Lesetipp
Wolfgang Koeppen: Tauben im Gras
Berlin: Suhrkamp 1974
228 Seiten, 8 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Glitzer und Jauche

Nächster Artikel

Freunde fürs Leben

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Gedanken eines Verzweifelten

Menschen | Werner Otto Müller-Hill: »Man hat es kommen sehen und ist doch erschüttert«. Das Kriegstagebuch eines deutschen Heeresrichters 1944/45 Er sah, wie das eigene Volk sich ins Verderben stürzte, er begriff die Hybris und den Wahnsinn der nationalsozialistischen Führung, er fühlte die Schuld, die das braune System auf sich lud – und war dennoch Teil der militärischen Elite. Werner Otto Müller-Hill beschreibt in seinen Kriegstagebüchern, wie er versuchte, aufrecht zu bleiben. »Man hat es kommen sehen und ist doch erschüttert« ist ein beklemmendes Zeitdokument, dessen analytische Schärfe verblüffend ist. Von VIOLA STOCKER

Von Hölderlin zu den Torii

Kulturbuch | Dietrich Seckel: Berichte aus Japan

In Heidelberg begründete Dietrich Seckel die ostasiatische Kunstgeschichte in Deutschland, seine Briefe aus Japan von 1936 bis 1941 sind jetzt erschienen, mit einer Fülle an Informationen, lebendig geschrieben und mit stets kritischem Blick auf Japan und Deutschland. Von GEORG PATZER

»Kunst muss endlich definiert werden!«

Menschen | Kunst: Interview mit Timo Dillner (Teil I) Timo Dillner ist Künstler. Und der Meinung, die ewige Frage, was als Kunst gelte und was nicht, verdiene endlich eine klare Antwort. Im ersten Teil unseres Interviews mit dem Künstler fragt FLORIAN STURM nach dem Wesen der Kunst.

Sehnsucht und Illusion

Menschen | Zum Tod der Literatur-Nobelpreisträgerin Toni Morrison »Die Sehnsucht nach einem Zuhause existiert zwar nach wie vor, aber es handelt sich dabei lediglich um eine Illusion. Und natürlich gibt es in Amerika nicht eben wenige, die ihr ganzes Leben auf diese trügerische Sehnsucht bauen, die niemals Realität werden kann«, hatte Toni Morrison, Nobelpreisträgerin des Jahres 1993, vor fünf Jahren in einem Interview mit der ›Welt‹ Auskunft über ihr disparates Verhältnis zu ihrem Heimatland gegeben. Sie war umstritten und streitbar, aber nach ihr wurde keinem US-Autor mehr die bedeutendste Auszeichnung der literarischen Welt zuteil. Von PETER MOHR

Ein zürnender Magier und Hohepriester der Sprache

Menschen | Jens Malte Fischer: Karl Kraus

Der Schriftsteller Elias Canetti, ein kritischer Anhänger von Karl Kraus, schrieb einmal über dessen Wirkung, er habe eine »Hetzmasse aus Intellektuellen« gebildet. Er sei der größte und strengste Mann, der heute in Wien lebe. DIETER KALTWASSER über die monumentale Karl-Kraus-Biografie von Jens Malte Fischer