/

Ekstatischer Pessimist

Menschen | Zum Tod des Literaturnobelpreisträgers Czeslaw Milosz

»Ich bin wie ein Sehender, doch selbst nicht vergänglich, /ein Luftgeist, trotz grauen Hauptes und Altersgebrechen«, heißt es in dem in diesem Jahr erschienenen Sammelband ›DAS und andere Gedichte‹ (Carl Hanser Verlag), in dem lyrische Arbeiten aus sechs Jahrzehnten versammelt sind und der einen repräsentativen Querschnitt durch das poetische Œuvre des »ekstatischen Pessimisten« (so ein Selbstzeugnis) Czesław Miłosz bietet. Von PETER MOHR

Czeslaw Milosz
Poland_Krakow_1999 n/z Czeslaw Milosz. fot. Artur Pawlowski
Das Leben des am 30. Juni 1911 unweit der polnisch-litauischen Grenze geborenen Schriftstellers spiegelt auch die Hoffnungen, Brechungen und Irrwege der polnischen Geschichte des 20. Jahrhunderts wider.

Seine ersten Gedichte verfasste Miłosz bereits Ende der 20er Jahre als Jurastudent in der Universitätszeitschrift ›Alma Mater Vilniensis‹. Beinahe prophetische Züge trägt dieses ungebändigte, expressive Frühwerk, in dem er das drohende Unheil in Europa voraussagte: »Ein Rauschen bricht an, die Flut eines fremden Ozeans/ des Ozeans des Nichts. In seiner weißen Gischt/ werden Tier und Land versinken.«

Seine Begeisterung für das Nachkriegspolen, das er zunächst als Kulturattaché‚ in Paris und Washington vertrat, ebbte rasch ab. 1951 entschied sich Miłosz nicht in seine Heimat zurückzukehren und blieb in Frankreich. Nach der Veröffentlichung seines Buches ›Verführtes Denken‹ (1953), in dem er das stalinistische System und die Rolle der angepassten Intellektuellen analysierte, avancierte er in seiner Heimat zur Persona non grata.

Miłosz übersiedelte 1960 in die USA und lehrte viele Jahre an der Universität in Berkeley slawische Literatur. Bis 1980 waren seine Bücher in Polen verboten. Der politische Bannstrahl wurde erst nach der Verleihung des Literaturnobelpreises aufgehoben.

»In Polen und für Polen Dichter zu sein ist eine mehr als anderswo historische, nationale Verpflichtung«, erklärte Miłosz bei der Entgegennahme des Preises in Stockholm.

Dieser Rolle hat sich der Schriftsteller stets gestellt – als unbestechlicher Intellektueller ohne Ressentiments, der schon früh den Gedanken eines vereinten Europas propagierte: »Obwohl ich den mir vom Schicksal bestimmten Platz akzeptiere, bin ich doch in allen meinen Reaktionen Europäer.«

Ob in ›Tal der Issa‹, in ›Die Straßen von Wilna‹ oder in seinen zahlreichen Essaybänden: Der bekennende Kosmopolit Miłosz schlug stets versöhnliche Töne an und bekannte, dass das Schreiben für ihn selbst über die vielen Jahre eine »Schutzstrategie« gewesen sei.

Als intellektueller Schutzpatron fungierte Miłosz in den 80er Jahren auch für die Aktivisten der Gewerkschaft »Solidarność«: »Der du dem einfachen Menschen Unrecht/getan hast und darüber noch lachst,/ sei nicht so sicher. Der Dichter merkt es./Du kannst ihn töten – es kommt ein neuer.« Seit 1980 zieren diese Verse das Denkmal für Arbeiter der Danziger Werft.

Nach der politischen Wende 1989 kehrte Miłosz nach 38 Jahren selbst gewähltem Exil Jahren („Ich habe als Voyeur die Welt durchwandert«) wieder in seine Heimat zurück, wo er die ihm lange verwehrte Ehre und Aufmerksamkeit genoss.

Am Samstag ist der große polnische Schriftsteller, der vom Nobelpreiskomitee als »Autor, der mit kompromisslosem Scharfblick der exponierten Situation des Menschen Ausdruck verleiht« gewürdigt wurde, im Alter von 93 Jahren in Krakau gestorben.

| PETER MOHR
| TITELFOTO: Artur Pawłowski creator QS:P170,Q9160724, Czeslaw Milosz 3 ap, CC BY-SA 4.0

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Enfant perdu

Nächster Artikel

Mit sich selbst im Gespräch

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Günter Grass – Erinnerungen an die Zukunft

Menschen | Zum Tode von Günter Grass Vor zehn Tagen verstarb der Autor Günter Grass. Sein Tod löste Erinnerungen an ein Gespräch im Jahre 1999 aus, das PETRA KAMMANN, damalige Chefredakteurin des BuchJournal, mit dem streitbaren Schriftsteller und Bildhauer, Citoyen und Geschmähten in Lübeck führte.

Frankie Knuckles: A Tribute To A True Gentleman of House.

Bittles‘ Magazine As many of you are probably aware, Frankie Knuckles, the famous DJ and producer, passed away at his home in Chicago on the 31st of March 2014 from type II Diabetes-related complications. One of the originators of the house sound Frankie was much loved by everyone who had had the pleasure of meeting him, heard his music, or experienced the aural delight of one of his legendary DJ sets. By JOHN BITTLES

Ich bin mir selbst ein Rätsel

Menschen | Zum 80. Geburtstag des Schriftstellers Hartmut Lange »Es ist die Kunst, die es uns ermöglicht, die Grenze vom Leben zum Tode niederzureißen«, heißt es – durchaus charakteristisch für Hartmut Langes gesamtes Werk – in der Novelle ›Die Cellistin‹. Heute wird der Individualist und Sprachvirtuose 80 Jahre alt. Von PETER MOHR

Die Laune eines Augenblicks

Menschen | Inteview mit Andrea De Carlo

Mit ›Die Laune eines Augenblicks‹ ist der zehnte Roman von Andrea De Carlo auf Deutsch erschienen. In seinem Heimatland Italien war schon sein erstes Buch ›Creamtrain‹ ein großer Erfolg. Spätere Werke wie ›Zwei von zwei‹ oder ›Wir drei" avancierten zum Bestseller und genießen regelrechten Kultstatus. Seine Romane wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.

Schreiben, um zu überleben

Menschen | Zum Tod des Schriftstellers Paul Auster

»Ich glaube, dass jeder Autor gewissen inneren Zwängen unterliegt. Ich jedenfalls verspüre den ständigen Druck, weiterzuschreiben, weiterzuarbeiten. Jedes Mal, wenn ich etwas abgeschlossen habe, fürchte ich, versagt zu haben«, hatte Paul Auster in einem Interview mit der Wochenzeitung ›Die Zeit‹ erklärt und uns 2017 ein ausladend umfangreiches Erzählwerk mit dem Titel ›4321‹ vorgelegt. Es war ein opulentes biografisches Verwirrspiel, ein höchst ambitioniertes literarisches Rätsel, ein ausschweifendes Zeitpanorama – vor allem aber auch die bilanzierende Selbstbefragung eines verdienstvollen Autors. Von PETER MOHR