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Der Kampf mit dem Schreiben ist vorbei

Menschen | Zum Tod des großen amerikanischen Schriftstellers Philip Roth

Er war ein Monument der Weltliteratur, gewaltig und mit reichlich Ecken und Kanten, ein Provokateur und Einmischer mit substanzieller Stimme – ein unübersehbarer Monolith. Alljährlich wurde der amerikanische Schriftsteller Philip Roth im Vorfeld der Nobelpreisbekanntgabe als heißer Kandidat gehandelt – zweimal hatte er den National Book Award (u.a. 1959 für seinen Erstling ›Goodbye Columbus‹), dreimal den PEN-Faulkner-Preis und 1998 für ›Amerikanisches Idyll‹ den Pulitzerpreis erhalten. Schon vor sechs Jahren hatte sich Roth von der literarischen Bühne verabschiedet. »Der Kampf mit dem Schreiben ist vorbei«, hatte er auf einen Zettel geschrieben und diesen an seinen Computer geklebt. Ein Porträt von PETER MOHR

Philip Roth - Amerikanisches IdyllPhilip Roth, der am 19. März 1933 als Sohn jüdischer Eltern in Newark geboren wurde, kreiste in seinen Werken stets stark um die eigene Biografie (häufig verborgen hinter seinen Figuren Nathan Zuckerman, David Kepesh und Phil Roth), die geprägt ist von der jüdischen Herkunft und den damit verbundenen Problemen im amerikanischen Alltag. Ein weiteres häufig wiederkehrendes Sujet im gewaltigen Oeuvre des viele Jahre als Universitätsdozent tätigen Autors ist sein zwiespältiges Verhältnis zu Frauen. Seine Ex-Frau, die Schauspielerin Claire Bloom, hat ihn Mitte der 90er Jahre in einem Buch als »psychopathischen Egoisten und Frauenhasser« attackiert.

In späteren Werken spielten zudem der körperliche Verfall und der nahende Tod eine zentrale Rolle. 1991 hatte sich Roth in seinem Roman ›Mein Leben als Sohn‹ schon einmal diesem Themenkomplex gewidmet, als er die letzten Lebensjahre seines Vaters auf beeindruckende Weise nachgezeichnet hatte.

Philip Roth hat mit seinen Büchern oft stark polarisiert. Nach den großartigen Romanen ›Amerikanisches Idyll‹ (1998) und ›Mein Mann, der Kommunist‹ (1999) strapazierte er die Geduld der Leser mit seiner in Alliterationen vernarrten Hauptfigur Word Smith in ›The great american novel‹ (2000). Ein Jahr später hat sich Roth mit ›Der menschliche Makel‹ fast bis zum Gipfel des literarischen Olymps vorgekämpft, dann folgte wieder ein tiefer Fall mit ›Das sterbende Tier‹ (2002). Darin stürzt er den siechen, erotomanen Literaturprofessor David Kepesh in eine turbulente und am Ende dramatisch zugespitzte Beziehung zur kubanischen Studentin Consuela Castillo. In ›Verschwörung gegen Amerika‹ (2005) jonglierte Roth auf bemerkenswerte Weise mit der amerikanischen Geschichte und ließ darin den Flugpionier Charles Lindbergh – ein bekennender Antisemit – 1940 US-Präsident werden. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive eines jüdischen Kindes.

»Mit der Idee einer Person in einem Dilemma beginne ich eigentlich alle meine Bücher«, hatte Roth 2008 in einem FAZ-Interview erklärt. Private und gesellschaftliche Probleme vermischen sich, lassen negative Synergie-Effekte entstehen und treiben seine Figuren in tiefe existenzielle Krisen. Dass Roth sich dabei stets des Erfahrungsspektrums des eigenen Lebensweges bediente, ist unstrittig. »Was immer die Literatur aufbewahren möchte – einen Moment im Leben eines Menschen, ein Ereignis in der Geschichte oder ein bestimmtes menschliches Verhalten –, ist abhängig von der ästhetischen Beherrschung dieses stofflichen Materials«, hatte Roth erklärt. Und vor der Veröffentlichung seines Romans ›Exit Ghost‹ (2008) hatte er noch einmal vehement unterstrichen: »Ich bin nicht Zuckerman.«

Mit dem Autor waren im Laufe der Jahre auch seine Figuren zusehends gealtert. »Das Alter ist keine Schlacht, das Alter ist ein Massaker«, hieß es im 2006 erschienenen ›Jedermann‹. Mit gnadenloser Schärfe und großer medizinischer Präzision beschrieb Philip Roth darin den körperlichen Verfall seines Protagonisten. Und genau jene Erfahrungen machte auch der von Inkontinenz und Gedächtnislücken geplagte Zuckerman später in ›Exit Ghost‹.

Philip Roth, 1973 Foto: Nancy Crampton
Philip Roth, 1973
Foto: Nancy Crampton
Seine letzten Bücher waren schmaler geraten, der Tonfall klang etwas milder, aber Roth gelang eine vorher selten gesehene meisterliche novellistische Zuspitzung – so in seinem Roman ›Empörung‹ (2009) über einen in die Jahre gekommenen Schauspieler. Sein letztes Werk ›Nemesis‹ (2011), in dem die Auswirkungen einer schrecklichen Epidemie im Mittelpunkt stehen, ist ein ganz leises Buch, das zur inneren Einkehr zwingen will, ein eigentlich roth-untypischer Roman ohne großes verbales Gepolter und das von ihm bisweilen gern selbst inszenierte Macho-Gehabe. Dass dieser leichte, aber doch so luzide Roman ›Nemesis‹ wirklich sein letztes Werk war, konnte damals noch niemand ahnen. Es war noch einmal eine handfeste Empfehlung für die Stockholmer Akademie, deren Preis er nie bekam, aber mehr als verdient gehabt hätte.

Am Dienstag ist Philip Roth, der bedeutendste, aber auch streitbarste zeitgenössische amerikanische Schriftsteller, im Alter von 85 Jahren gestorben.

| PETER MOHR

Lesetipp
Philip Roth: Das Amerikanische Idyll
Übersetzung: Werner Schmitz
München: Hanser Verlag 2015
464 Seiten, 27,90 Euro
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