Jenseits des Koordinatensystems

Kurzprosa | Anette Lang: Things that I won´t do for love

Anette Lang hat mit Things that I won´t do for love im Leipziger Birnbaum Verlag einen Band mit sechs erstaunlichen Kurzgeschichten vorgelegt, in denen die üblichen Themen von Liebe und Glück aus einer eigentümlich neuen Perspektive erzählt werden.
Ein Leseversuch von HUBERT HOLZMANN
Things I wont do for love
Anette Lang, die in Berlin als Übersetzerin und Journalistin arbeitet, ist keine Autorin, die in ihren Texten auf ihre Leser zugeht, Erfahrungen teilt, denselben Horizont ansteuern will. Sie bleibt spröde, ablehnend, fast abwehrbereit. Sendet nur unmerklich Signale aus. Etwa Klopfgeräusche »KaWUMM-KaWUMM«, zitiert bekannte Werbeslogans, etwa die Durchhalteparole einer Frühstücksmarke, » die den Tiger in dir weckt«, singt das Endloskinderlied vom »Mops in der Küche, der dem Koch ein Ei stahl« und reiht Jahreszahlen als bloße Zahlenfolge auf. Vielleicht alles Ansätze, um ihre Geschichten zu lesen, ihre Gedanken zu deuten?

Things that I won´t do for love sind allemal reduzierte Texte. Gleich in der ersten Erzählung »Hals-über-Kopf« wälzt die Ich-Erzählerin ihre Gedanken und versucht sie vor sich aufzureihen. Es entsteht Intimität, vorsichtige Selbstwahrnehmung: »so wacht man nicht auf… sie kennt sich nicht aus… da erkennt sie… sie fühlt…«, fast Selbstvergewisserung und Selbstverortung: »Ich sitze auf der Matratze im Wohnzimmer, erklärt sie sich.«. Dann ein Geständnis: »Mein Herz klopft, weil ich Angst habe.« Zur Beruhigung dienen Wortspiele. Immer im selben Rhythmus. Monoton, wie ihr Herzschlag.

Die Situation wird klar: Die Erzählerin steht vor einer Prüfung in deutscher Literaturgeschichte. Sie steht unter Druck, raucht. »Im Zorn… im Trotz«. Rekapituliert verschiedene Prüfungsthesen, etwa zum Motiv der Kindsmörderin, zur Gretchenfrage, zur Symbolik von Fontanes Literatur. Und stößt dabei auf ihre Situation, denkt an Karim, einen Berber, ihre französische Urlaubsbekanntschaft, ihre Liebe.

Jedoch auch an die Zukunft: »Sollen wir in einem Pariser Banlieue hausen, zu dritt in einem fensterlosen Raum, von der Hand in den Mund, Kopf-an-Kopf in engen Betten, Kohlköpfe essen, Nachttöpfe leeren, soll ich Manschettenknöpfe annähen, in Heimarbeit?« Endlos die Fragen. Liebe allein genügt in dieser Realität nicht. Ihre Antwort daher definitiv ablehnend. Ein einzelner lapidar dahingesprochener Satz durchbricht die Pattsituation: Sie hat »ihrem rigiden Zeitplan noch einen Termin hinzugefügt«.

Auch in »Geistgeschichten«, einer Venedigepisode, verliert sich eine Frau in ihren Beobachtungen. In der Umgebung, im Selbst. Nicht zuletzt ihre Reiselektüre sind schon Programm: Rilkes Malte-Roman sowie die Schriften eines alten chinesischen Poeten und Lehrers. Vergewisserung der eigenen Existenz, des Selbst, eine Suche nach dem Sein. Die Erzählerin stößt auf ihr Spiegelbild, auf ein Gemälde Botticellis. Und sie wehrt andere neben sich ab: »In meiner Heftigkeit war ich aufgesprungen und stand nun, auf ihn hinunter sehend, einige Schritte vor ihm… Ich drehte mich um und ging raschen Schrittes davon.« Und verdrängt die Erinnerung an Liebe aus ihren Gedanken.

Rekursivität, die Spiegelung, die endlose Fortsetzung des Seins, der immer wiederkehrende Beginn bestimmt auch das Thema der anderen Geschichten. Ein Geschwisterpaar wird in »Heißen wie er« ins Zentrum gerückt. Der Text spielt in einem südamerikanischen Land. Dort herrscht Diktatur. Die Schwester kämpft als Revolutionärin, demonstriert, wird verletzt. Der Bruder emigriert nach Spanien, wird erfolgreicher Geschäftsmann, kehrt spät in die Heimat zurück. Und beginnt neu. Allerdings nicht ganz neu.

»Herbert verraten« ist eine Psychostudie, in der sich Szenen einer Ehe wiederholen. Hoffnungslose Handlungen zeigen die Beziehungslosigkeit, die Unmöglichkeit von Begegnung. Der Teller wird zum Dingsymbol einer zerstörten Kommunikation. Kontrolle, Zwänge, Ängste gibt es auch in den beiden letzten Kurzgeschichten. Repetition von Erinnerung überlagert von Vergessen bestimmt den Text »Die Höhe der Zeit«, zwanghaftes Beobachten, Beschreiben, ja fast Vermessen des Gegenübers korrespondiert in »Wind« mit dem Versuch von intimer, erotischer Begegnung.

Things that I won´t do for love erzählen erstaunlich verstörende Geschichten. Durchbrechen Gewohnheiten. Steigen in abgründige Welten. Auf jeden Fall lesenswert.

| HUBERT HOLZMANN

Titelangaben
Anette Lang: Things that I won´t do for love
Leipzig: Birnbaum 2012
100 Seiten. 10.- Euro

Reinschauen
Über die Autorin
Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Außenansichten und ein Dromedar

Nächster Artikel

Mr. Moores incredible assembly of strange fiction and immortal ideas

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

Erlesene Tage

Kalender | Literaturkalender 2015 Im Wirbel der entgleisten Jahreszeiten kann man schon mal den Blick auf den anstehenden Wechsel verlieren. Noch ist Muße genug, das Kalenderangebot fürs nächste Jahr zu sichten. Dort erwartet uns ein Vorgeschmack auf neue, spannende Entdeckungen – nicht nur literarischer Art! Von INGEBORG JAISER

Farbe

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Farbe

Farbe ist ein durch das Auge vermittelter und durch das Gehirn aufbereiteter Sinneseindruck, durch Licht hervorgerufen, genauer: durch die Wahrnehmung elektromagnetischer Strahlung der Wellenlänge zwischen 380 und 780 Nanometern, las Sut, der Mensch, sagte er, zähle und messe, er nenne das Wissenschaft, sich selbst einen Homo Sapiens und könne vieles erklären.

Das Rauschen des Ozeans klang wie von ferne zur Ojo de Liebre herüber.

Eldin legte einen Scheit Holz ins Feuer.

Der Ausguck stand auf, tat einige Schritte und löste sich in die Dunkelheit auf.

Die Freiheit, aufzubrechen, wohin er will

Kalender | Claudia Jürgens (Hrsg.): Der Literatur Kalender 2025

Es ist ein schönes Ritual: Jeden Montag einen oder mehrere Kalender umblättern zu können, Neues zu entdecken, Bekanntes wiederzuentdecken und die Woche mit einem kleinen Ausschnitt Literatur zu beginnen. Seit vielen Jahren gibt es in der edition momente (früher Arche Verlag) die wunderbaren Kalender, neben dem Kinderkalender auch den Literaturkalender. Vorab durchgeblättert von GEORG PATZER

Lücken

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Lücken

Die Situation sei verfahren, sagte Farb, zuallererst müsse man den trügerisch strahlenden Lack auflösen und einen Zugang zur Wirklichkeit schaffen.

Er warf einen Blick hinüber zum Gohliser Schlößchen.

Das Maschinenwesen habe sich die Deutungshoheit angeeignet, dessen erdrückende Version der Wirklichkeit komme für den Menschen einer Gehirnwäsche gleich, und es werde ein lange anhaltender, schmerzhafter Prozeß sein, sagte Farb, ein verzweifelter Kampf, diese falschen Bilder zu brechen und die echte Version freizulegen, die Version des Menschen.

Sut lehnte sich zurück und lächelte.

Dämmerung

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Episode der Dämmerung

Ob sie je darauf geachtet hätten, wann die Dämmerung anbreche.

Er mache Witze, sagte McAlister.

Die Sonne gehe unter, spottete Pirelli.

Sut lächelte, und Stille trat ein.

Thimbleman reckte die Arme.

Eldin fühlte nach seinem Schultergelenk.

Wann sie endlich wieder die Schaluppen zu Wasser brächten, wollte Harmat wissen.