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Alles so schön wirr hier

Comic | Roland Hildel: Der bunte Geruch

Töne sehen, Farben schmecken, Zahlen fühlen: Roland Hildel stellt die Synästhesie in den Mittelpunkt seiner ersten Graphic Novel, deren Titel Der Bunte Geruch somit wörtlich zu nehmen ist. SEBASTIAN DAHM ist diesem gefolgt – und auf halbem Weg im Plotwirrwarr hängen geblieben

Roland Hildel: Der bunte Geruch
Es kommt selten vor, dass ein Autor seinem Werk eine Gebrauchsanweisung beilegt. Falls er es dennoch als notwendig erachtet, dann muss er sich entweder sehr missverstanden fühlen, dem Publikum sehr wenig zutrauen, oder einen sehr hermetischen Stil pflegen – vielleicht auch alles zusammen. Zugegeben: Die Gebrauchsanweisung liegt dem Erstling Roland Hildels nicht im eigentlichen Sinne bei. Sie findet sich vielmehr auf der Homepage des Autors, der dort erklärt, dass er weder mit der Ligne Claire noch mit linearen Erzählstrukturen sonderlich viel anfangen kann: »Ich glaube einfach nicht daran.« Ganz alleine möchte er seine Leser mit seinem Werk dann aber doch nicht lassen und so fügt er noch einige erläuternde Worte hinzu: »Wenn ich eine Geschichte erzählen will, dann zerteile und verbinde ich die einzelnen Elemente, bis die Zusammenhänge zwischen diesen einzelnen Teilen zwar möglich, aber nicht zwangsläufig notwendig sind.« Denn: »Der Zweck ist für mich in erster Linie, dass der Leser an verschiedenen Bruchstellen der Geschichte angeregt wird, selbst nach möglichen Verbindungen und Variationen zu suchen.«

Radikale Offenheit

Dieses Programm hält Der Bunte Geruch dann auch mit aller Konsequenz ein: Im Zentrum der Geschichte steht Mia, eine Synästhetikerin mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, die – gejagt von den Schlägern eines unbekannten Auftraggebers – ihre ganz eigenen, undurchschaubaren Ziele verfolgt. Das Ganze wird im Wesentlichen aus der Perspektive des Verlierers Jonas geschildert, der Mia mehr oder weniger durch Zufall über den Weg läuft und in dieses Katz-und-Maus-Spiel hineingezogen wird. Dabei wird schnell klar, dass Hildel es mit seinem Bruchstellen-Prinzip ernst meint: Die Geschichte ist so offen wie nur irgend möglich gehalten. Vergangenheit und Motive der Hauptfiguren werden lediglich angedeutet, scheinbar völlig unbeteiligte Nebenfiguren tauchen auf, nur um zwei Seiten später für immer zu verschwinden, und zwischen den Erzählsträngen klaffen enorme Löcher. Bruchstückhaftigkeit ist also zur Genüge vorhanden, genauer gesagt im Überfluss. Was fehlt, ist eine Geschichte.

Nur nette Bilder

Ist die vollständige Abwesenheit von Erzählstruktur zunächst nur irritierend, so wird sie mit dem Fortschreiten der Story zunehmend ärgerlich, da sich nach und nach der Eindruck völliger Beliebigkeit einstellt: Wahllos werden Episoden aneinandergereiht, die Motive der Figuren sind entweder unklar oder abwegig – und was an inhaltlich nachvollziehbarer Handlung übrig bleibt, ist dann doch eher dünn. Gerne würde der Comic eine gesellschaftskritische Haltung einnehmen. Er scheitert allerdings auch hier – und so bleibt es bei einem nervtötenden misanthropischen Unterton: Die Menschen sind schlecht und ›das System‹ ist böse. Praktisch jede Figur ist entweder verbittert oder traumatisiert, was in schöner Regelmäßigkeit in psychopathischen Gewaltphantasien kumuliert. Dazu gesellen sich offensichtliche sprachstilistische Defizite: Hildels Hauptfiguren holpern durch hoffnungslos verschachtelte Satzungetüme, die wohl intellektuelle Überlegenheit signalisieren sollen, dabei aber lediglich bemüht wirken, während sich die Schläger ausnahmslos eines nur aus grammatikalischen und orthografischen Fehlern bestehenden Kauderwelsches bedienen – stereotyper können Figuren kaum gestaltet sein. Diverse ›echte‹ Rechtschreibfehler bilden das traurige Sahnehäubchen und werfen die Frage auf, ob der Text jemals ein Lektorat gesehen hat.

Da sie in krassem Gegensatz zu der hohen visuellen Qualität der Graphic Novel stehen, treten die Mängel auf der Erzählebene umso stärker zutage. Hildel zerschneidet dunkle Räume mit grellweißen Flächen, lässt die Gesichter seiner Figuren im Schatten versinken und schafft so eine klaustrophobische Film-Noir-Atmosphäre, die zusammen mit der radikalen Skizzenhaftigkeit der Zeichnungen durchaus Potenzial besitzt. Für sich genommen ist das interessant und ansehnlich, aber für eine Graphic Novel zu wenig.

| SEBASTIAN DAHM

Titelangaben
Roland Hildel: Der Bunte Geruch
Aachen: Shaker Media 2013
110 Seiten, 16,90 €

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