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Sind es Comics oder Bücher?

Comic | Graphic Novels

Während im Buchhandel die Umsätze eher sinken, entwickeln sich die Verkäufe im Segment Comics vielversprechend. Trotzdem sind Comics keine Selbstläufer. Die Verlage müssen mit ihren Vertrieben viel Hilfestellung geben, wie ANDREAS ALT auf der Frankfurter Buchmesse erfahren hat.
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Mit dem Etikett »Graphic Novel« haben die Comics in Deutschland neue Leserschichten erschlossen und verstärkt den Weg in den Buchhandel gefunden. In diesem Jahr hat auch die Verlagsgruppe Egmont (früher Ehapa) eine solche Reihe begründet. Auf der Frankfurter Buchmesse stellte sie die Publikationen dieses und des kommenden Jahres, jeweils sieben Bände, vor.

Die Leiterin der Reihe, Lexa Germann, sagte bei dieser Gelegenheit: »Der Begriff ›Graphic Novel‹ nimmt den Lesern die Angst, dass das Buch nur für Kinder geschrieben ist.« In einer Broschüre heißt es: »Über die Bandbreite unserer bisherigen Veröffentlichungen hinaus existieren eine Vielzahl an herausragenden Comicerzählungen, die noch nicht den Weg in die hiesigen Buchhandlungen und Bücherregale geschafft haben. Wir möchten dazu beitragen, den Comic und ganz im Speziellen die Graphic Novel einer breiten Öffentlichkeit schmackhaft zu machen.«

Als »Graphic Novels« haben es Comics geschafft, nicht nur als Medium vom Buchhandel ernst genommen zu werden, sondern auch als Ware. Ihr Weg in die Buchhandlungen ist nicht leicht, auch wenn es in den meisten Läden inzwischen eine Comicecke, zumindest ein Regal mit Mangas, gibt. Aber es genügt nicht, Comics ins Sortiment aufzunehmen und auf Käufer zu warten. Wer das tut, kann mit dem vermeintlichen Umsatzbringer leicht ganz schlechte Erfahrungen machen.

Manche Buchhändler nennen Comics »Micky-Maus-Hefte«

Wenn man sich bei Verlagen umhört, kann man den Eindruck gewinnen, dass unter Buchhändlern eher noch Vorurteile gegen Comics gehegt werden als in der Bevölkerung. Steffen Boiselle, der als freier Handelsvertreter für Carlsen arbeitet, glaubt, dass der Buchhandel auch heute noch Comics gegenüber eher negativ eingestellt ist. »Die Älteren nennen sie ›Micky-Maus-Hefte‹«, sagt er und erinnert an die schwierige Vergangenheit: pädagogische Warnungen bis hin zu Comicverbrennungen in den 1950 er und 1960er Jahren. Aber Carlsen habe es schon 1967 geschafft, die belgische Comicreihe Tim und Struppi in die Buchhandlungen zu bringen. Die Alben wurden in Deutschland einfach »Bücher« genannt. »Ehe die Händler merkten, dass das Comics waren, hatten sie schon ein paar Millionen davon verkauft«, spottet er.

Die Buchmesse ist nicht der richtige Ort, um zu klären, wie das vor fast 50 Jahren wirklich war. Boiselle hat trotzdem noch immer Mühe mit seinem Produkt. Es kommt nicht selten vor, so berichtet er, dass ein Buchhändler zu ihm kommt, weil er gehört hat, dass Comics »in« sind. »Und er nimmt was, verkauft diese Comics auch und ist offen für mehr. Das Problem ist, dass dann auch versucht wird, Sachen zu verkaufen, die nicht funktionieren.« Das Ende vom Lied kann sein, dass der Händler zu dem Schluss kommt: Comics gehen nicht. Nach Überzeugung von Boiselle kommt es auf die Person des Buchhändlers an. Wenn er kein positives Verhältnis zu Comics hat, wird er sich mit dem Verkaufen schwertun. Und er darf nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun.

Um überhaupt zunächst ein Comicpublikum anzuziehen, muss ein Buchladen mit gängigen Titeln beginnen. Dann kann er anspruchsvollere Comics danebenstellen und ausprobieren, ob sie sich auch verkaufen. Dabei darf er aber laut Boiselle nie vergessen, dass er nicht Comics verkauft, sondern Titel – so sei das jedenfalls in Deutschland. Er verdeutlicht das anhand der Johnny Cash-Biografie von Reinhard Kleist: Das sei ein guter Titel, weil er nicht nur Comicfans, sondern auch Musikfreunde und Anhänger des Sängers anspricht. Der Band Castro vom selben Autor ziele weniger über die Comic-Zielgruppe hinaus. Um das Händlern klarzumachen, dafür sind bei Carlsen die Handelsvertreter wie Boiselle da.

Die Zielgruppe von Mangas muss erst mal in den Laden geholt werden

Ähnlich klingt Ute Plaßmann, Vertriebsmitarbeiterin bei Egmont. Auch Mangas verkaufen sich im Buchhandel nicht von selbst. Ihre Leser sind an eine andere Optik und ein schnelleres Lesen gewöhnt als Fans europäischer oder amerikanischer Comics. Sie pflegen die spezielle Manga-Kultur in eigenen Communitys und bei Conventions. Davon muss auch der Buchhändler etwas verstehen, wenn er Mangas ins Sortiment aufnimmt. Da die Auszubildenden in der Regel der Manga-Zielgruppe sehr nahe stehen, empfiehlt Plaßmann, diese mit der Warengruppe zu betrauen. Der Händler muss sich überlegen: Welche Mangas passen in mein Ladenumfeld? Wie sieht meine Kundenstruktur aus? Wie hebe ich die Mangas durch Ladenbau hervor? Mangaleser brauchen Betreuung, so Plaßmann: Der Händler sollte auch mal Zeichenwettbewerbe oder Nachtpartys veranstalten, um die Zielgruppe in seinen Laden zu holen. Nicht zuletzt brauchen die Titel mediale Unterstützung. Die Egmont-Handelsvertreter beraten und unterstützen die Buchhändler dabei vor Ort.

Etwas anders teilt der kleinere Verlag Reprodukt die Comicwelt ein. Vertriebsmitarbeiter Sebastian Oeler unterscheidet Menschen, die gegenüber individuell gestalteten Comics aufgeschlossen sind, und solche, die nicht aufgeschlossen sind. Reprodukt sieht sich selbst als Autorenverlag. Publiziert werden Comics von Künstlern, die persönliche Stoffe verarbeiten. In den Bänden soll ihre Persönlichkeit zu erkennen sein. Reprodukt pflegt seine Autoren. »Unser Programm macht sich ein Stückweit von allein«, sagt Oeler. Vor allem bei deutschen Comiczeichnern wird häufig eine Option auf das nächste Werk wahrgenommen. Bei Titeln ausländischer Autoren ist es nicht ganz so einfach, aber »die Frage ist da eher, wann wir ein Buch machen, nicht, ob wir es machen.«

Oeler grenzt das Reprodukt-Programm damit auch gegen Comicserien ab. Der Verlag arbeitet mit eingeführten Autoren, aber Comicfans, die Serien möglichst komplett sammeln, sind nicht die bevorzugte Zielgruppe. Den Reprodukt-Käufer stellt er sich vielmehr als kulturell Interessierten vor, der sich vom Thema oder Titel des Bandes angesprochen fühlt oder Querverweise zu Literatur oder Film erkennt, der nicht unbedingt schwerpunktmäßig Comics liest, aber auch keine Berührungsängste hat.

Auch Comichändler monierten: »Das sind keine Comics, das ist Kunst«

Der Reprodukt Verlag hat seine Comicbände laut Oeler anfangs vor allem über Comicläden vertrieben, sich dann aber, als eine Buchhandelsauslieferung größere Bestellmengen ermöglichte, immer stärker auf den Buchhandel konzentriert. Reprodukt saß dabei lange zwischen den Stühlen. Im Comichandel hieß es, Reprodukt-Bände seien »keine Comics, sondern Kunst«. Buchhändler sagten dagegen: »Das sind keine Bücher, sondern Comics.« »Die Akzeptanz von Comics in Deutschland verbessert sich, aber das reicht noch nicht, damit wir beruhigt weiter veröffentlichen können. Der Bereich Graphic Novel muss weiter aufgebaut werden«, schätzt Oeler die aktuelle Situation ein.

Oeler stimmt der allgemeinen Einschätzung zu, dass das Etikett »Graphic Novel« beim Verkauf außerhalb der eingeschworenen Comicszene hilft. Er drückt aus, dass es Comics gibt, die auch komplizierte Themen gut vermitteln können. Manche Leute bräuchten einen »Erweckungstitel«, um Comics über die Graphic Novels zu entdecken. Für viele war das Persepolis von Marjane Satrapi, die Geschichte eines Mädchens, das vor der Islamischen Revolution aus dem Iran flieht und später zurückkehrt und das Land aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. (Persepolis erschien in der mit Reprodukt verbundenen Edition Moderne.)

Wichtig ist für Reprodukt die Medienberichterstattung. Dass Bücher aus seinem Programm regelmäßig in den Feuilletons der Zeitungen besprochen werden, hat mehr Interesse von Gelegenheitslesern hervorgerufen und die Akzeptanz im Buchhandel gesteigert. Wie bei Carlsen und Egmont sind auch für Reprodukt Handelsvertreter unabdingbar, um Verlagsprodukte im Buchhandel unterzubringen. »Manche Buchhändler hatten auch früher schon Comics im Laden, aber generell musste man sich sehr anstrengen. Man hatte auch Mühe, seine zehn Lieblings-Graphic Novels aufzuzählen. Das hat sich geändert«, erinnert sich Oeler.

Auch wenn Oeler mit einem Kreis von Läden langfristig gut zusammenarbeitet, sieht er Expansionsmöglichkeiten, auch bei Comicshops: »Viele müssen sich breiter aufstellen. Sie sind vielleicht auf Superhelden spezialisiert, aber das ist keine gesunde Basis. Das Superheldengeschäft ist zusammengebrochen. Wenn der Händler sein Sortiment nicht erweitert und neue Kunden anspricht, kann es jeden Moment vorbei sein.«

| ANDREAS ALT

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